Distanz

One Hell of a Ride: 160 abartige Kilometer durch die Dordogne

Ein Artikel von Pamela Sladky | 24.10.2024 - 12:06
IMG-20240908-WA0102.jpg

Stephanie Kunz und "Koko" sind das erste österreichische Duo, das zwei Championate ins Ziel gebracht hat.
© privat

Bei der Weltmeisterschaft der Distanzreiter in Monpazier Anfang September ritt Stephanie Kunz mit ihrem 13-jährigen Shagya-Araber-Hengst Kuhaylan Zaid 111 (Kohekon) als erste Österreicherin seit 18 Jahren ins Ziel. Sie belegte Platz 45 von 118 Startern auf der 160 km langen Strecke, die aufgrund starker Regenfälle und Gewitter besonders schwierige Bedingungen bot. Im Interview lässt sie den schwierigsten Ritt ihrer Karriere noch einmal Revue passieren.


Frau Kunz, die WM liegt ja jetzt schon einige Wochen zurück. In der Retrospektive: Wie war’s für Sie?

Also das war gleichzeitig das Abartigste und Geilste, das ich jemals gemacht habe. Ich war ja jetzt schon auf einigen Championaten und Sartilly, damals die Weltreiterspiele vor genau zehn Jahren, die waren schon auch beeindruckend und heftig von der Strecke und vom Wetter her. Montpazier war wie ein Sartilly 2.0, nur noch ärger. Die Strecke war sehr technisch und schwierig, das habe ich im Vorfeld gewusst, immerhin ist das ist ja eine WM und kein Kindergeburtstag. Vor dem Start hatte ich schon etwas Sorge, weil Regen angesagt war. Bei dieser WM hat der Regen sowieso neue Dimensionen für mich bekommen. Dazu 120 Pferde, die eine halbe Runde auf der Rennbahn laufen, dann zweimal eine 90-Grad-Kurve bei enger Streckenführung und feuchtem Gras. Da musst du dein Pferd echt gut unter Kontrolle haben, sonst kann bei solchen Bedingungen ganz schnell etwas passieren.

In der Realität war’s dann noch ein gutes Stück ärger, als ich es mir ausgemalt habe. Und fünf in der Früh hat es zu regnen begonnen, eine Dreiviertelstunde später hat der Himmel dann komplett die Schleusen geöffnet, es gab ein Gewitter mit Blitz und Donner, und es hat geschüttet wie aus Kübeln. Beim Start war noch finstere Nacht, wir hatten zwar alle Stirnlampen, zu sehen war trotzdem nichts, weil von oben der Regen kam und die Pferde bei den warmen Temperaturen richtig gedampft haben. Wenn man auf den Boden geschaut hat, hat man nur Nebel gesehen.

Ich habe mich nur voll auf mein Pferd verlassen können, weil ich gewusst habe, das wird der Wahnsinn werden vom Boden her. Man wusste nicht, ob man gerade im Wald oder auf einer Wiese reitet, Asphalt konnte man hören, aber sonst hat man zu Beginn vom Geläuf so gut wie nichts mitbekommen. Jana Kupper, die mit mir in Monpazier am Start war, hat mir geraten, mich bei einer Brücke nach ca. 8 Kilometern links zu halten, weil rechts große Steine und Löcher wären. Ich habe im Rennen nicht einmal annähernd mitgekriegt, wann ich da wo über eine Brücke geritten wäre.

Abartig_geil_IMG-20240905-WA0036_cPrivat.jpg

Österreichs WM-Starterinnen Stephanie Kunz und Jana Kupper in Monpazier. Kupper zog nach dem vierten Gate zum Wohl ihres Pferdes Talisman el Takko zurück.

Das klingt nach ganz unglaublichen Bedingungen. Sind damit alle Starter:innen zurechtgekommen?

Es gab schon in der ersten Runde recht viele Ausfälle, weil einige mit dem Pferd zu Sturz kommen sind oder sich Pferde aufgrund der schlechten Sicht vertreten haben. Wirklich sehen konnte man anfangs nur, wenn es geblitzt hat. Das war, wie wenn man kurz den Lichtschalter einschaltet. Da konnte ich mich dann orientieren, ob wir uns auf einer Wiese oder im Wald befinden. In solchen Momenten habe ich mir gedacht, das Schlimmste, was mir jetzt noch passieren kann, ist, dass mich der Blitz erschlägt. So ist es wohl nicht nur mir gegangen. In meiner Gruppe war es mucksmäuschenstill. Ich glaube, jeder, der da mitgeritten ist, hat sich gedacht: Was zum Teufel mache ich da eigentlich?


Bei den Weltreiterspielen 2014 in Caen hatten die schwierigen Umstände schlimme Unfälle zur Folge. Das war diesmal nicht so, oder?

Stimmt, das gab es diesmal gar nicht. Im Vergleich zu vor zehn Jahren hat sich das Niveau unter den Teilnehmern aber auch enorm verbessert. Drei Viertel aller Reiter bei der WM waren echte Profis, die das hauptberuflich machen und nicht so wie ich Hobbyreiter sind, die das neben ihrem Brotberuf praktizieren. Das sind Leute, die damit Geld verdienen und auf einen richtigen Pool an Pferden zurückgreifen können. Da hat sich der Sport wirklich extrem weiterentwickelt. Das gilt auch für die Reiter aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und aus Qatar. Früher wurden die immer sehr belächelt mit ihrem Reitstil. Heute können wirklich alle sehr gut reiten, sitzen auch sehr gut auf dem Pferd.


Wobei es auf Distanz-Laien vermutlich immer noch befremdlich wirkt, wenn von 120 Pferden nicht einmal vier Dutzend ins Ziel kommen …

Das stimmt schon. Wenn man sich wenig oder gar nicht mit dem Distanzreiten befasst, dann denkt man sich bei solchen Zahlen „Um Gottes Willen!“ Aber tatsächlich ist es so, dass die Veterinäre heute wirklich nichts mehr anbrennen lassen. Sobald ein Pferd nur irgendwie schief schaut, ist man schon draußen. Die Kontrollen sind wirklich sehr, sehr streng und auch sehr engmaschig, damit es nicht mehr zu so unschönen Zwischenfällen kommt wie vor einigen Jahren noch. Unsere Disziplin ist unter allen Pferdesportarten mittlerweile mit Sicherheit die, wo die Pferde am strengsten und am öftesten kontrolliert werden. Da hat sich wirklich sehr viel getan.


Sie haben schon die EM im vergangenen Jahr in der Wertung beendet, jetzt sind Sie nach 18 Jahren die erste Österreicherin, die eine WM erfolgreich ins Ziel bringt. Was bedeutet das für Sie?

Ich bin unheimlich stolz auf die Leistung meines Pferdes und auf mein ganzes Team. Für mich sind diese Ergebnisse einfach der Wahnsinn. Mein Mann hat gesagt, dass es überhaupt noch keine Österreicherin im Distanzsport gegeben hat, die eine EM und eine WM mit dem gleichen Pferd hintereinander gefinisht hat. Das ist für mich eigentlich der Ritterschlag.


Das klingt so ein bisschen nach „Besser geht’s eigentlich nicht mehr.“ Welche Ziele haben Sie sich noch gesetzt – oder anders: Haben Sie noch Ziele im Distanzsport?

Ich muss ehrlich sagen, nach meiner Rückkehr aus Frankreich bin ich ein bisschen in ein Loch gefallen. Ich dachte mir „Wahnsinn, was soll jetzt noch kommen?“ Witzigerweise ist erst zu Hause die ganze Anspannung von mir abgefallen. Erst da habe ich realisiert, was ich gerade erreicht habe! Als Sportler trainiert man oft viele Jahre auf ein Ereignis hin, und dem wird alles untergeordnet. Freizeit in dem Sinn gibt es oft nicht,  ebenso wie irgendwo länger auf Urlaub hinfahren oder Party machen. Stattdessen wird schon in der Früh mit dem Training begonnen, der Trainingsplan erstellt, es gibt einen eigenen Futterplan, etc. Speziell in der Distanz ist das Training extrem aufwendig. Da geht es nicht nur darum, dem Pferd die Kilometer möglichst schonend in den Körper oder in die Beine zu bringen, da braucht es auch schnelles Galopp-Training auf der Rennbahn und Dressur-Training. Viele haben das gar nicht am Schirm, aber ohne Dressurtraining gibt es für mich kein Distanzreiten. Die Pferde müssen dich die ganzen Kilometer möglichst effizient tragen, damit sie selbst gesund bleiben. Auch unter diesem Aspekt bin ich wahnsinnig stolz auf mein Pferd. Es gibt nicht viele Hengste, die auf dem Niveau laufen, noch dazu so konstant. Er hat jetzt vier 3*-Distanzen hintereinander ohne Ausfall bewältigt. Das ist für einen Hengst schon eine besondere Leistung.


Warum? Wo liegt der Unterschied zu einem Wallach oder einer Stute?

Hengste laufen sehr ressourcenschonend, es könnte ja hinter dem nächsten Baum eine Stute stehen, die gedeckt werden will. Hengste sparen sich deshalb immer noch ihre Kräfte auf, schließlich kann man ja nie wissen, was passiert. Deshalb sind sie im internationalen Spitzen-Distanzsport eher die Ausnahme. Vielleicht auch, weil es  immer auch eine gewisse Challenge ist mit einem Hengst. Mein Koko ist mittlerweile zum Glück ein echter Vollprofi. Der weiß, es geht auf ein Rennen, und da macht er seinen Job. Das war früher anders, da hat er mich um den Platz geschliffen und alles niedergebrüllt und ich hab mir nur gedacht: Um Gottes Willen, was für ein Albtraum, was hab' ich mir da nur angetan. Heute ist er absolut cool und konzentriert. Als wir bei der WM am letzten Gate beim Pulsmessen waren, ist neben uns der neue Weltmeister gefeiert worden. Da wurde geschrien und applaudiert – nicht unbedingt die Umgebung, die man sich beim Pulsmessen wünscht. Da kann ein Pferd auch ganz schnell aufdrehen, und dann sind die Werte im Eimer. Ich war in Schockstarre und mein Hengst ist einfach so cool gestanden, dass ich dachte: Okay, ich glaube, ich bin doch noch nicht fertig mit meinem Rennen ...

IMG-20240906-WA0033(1).jpg

© privat

Nach 160 Kilometern, langer Anreise, langer Rückreise: Wie sieht es da mit der Nachsorge, der Regeneration für ein Distanzpferd aus?

Ehrlich gestanden ist mir am meisten die lange Anfahrt im Magen gelegen. 1800 Kilometer auf drei Tage aufgeteilt, das ist schon kein Zuckerschlecken. Es geht ja nicht nur darum, dass man das Pferd für diesen Tag X monatelang vorbereitet und trainiert, man muss dann auch schauen, dass man das Pferd so hinbringt, dass es dann die Leistung genau an dem Tag überhaupt abrufen kann. Wir haben das Gott sei Dank perfekt managen können. Wir sind schon früher in einen Stall in unmittelbarer Nähe zum WM-Austragungsort angereist. Dort hatte er eine Box mit Paddock und konnte sich super von der Reise erholen. Direkt zum Veranstaltungsort sind wir erst sehr spät gefahren, um den großen Rummel noch etwas zu entgehen. Das hat viel gebracht. Andere Teilnehmer, darunter auch einige Profis, haben die Reisestrapazen unterschätzt, und ihre Pferde hatten dann gesundheitliche Probleme und konnten gar nicht an den Start gehen. Auch die Heimfahrt sind wir sehr behutsam angegangen und haben ihn letztlich auch sehr gut nach Hause gebracht. Koko steht mit sechs anderen Pferden gemeinsam auf einer riesigen Weide. Da kann er sich nach eigenem Gutdünken bewegen, das tut ihm nach einem Rennen richtig gut. Alles in allem hat er die WM super weggesteckt.


Was steht jetzt noch für Sie und Koko auf dem Plan?

Nach Frankreich habe ich erst gemeint, ich höre jetzt mit dem Reiten auf, es gibt nichts mehr, was das noch toppen kann. Aber jetzt war ich dann doch auf der – ebenfalls verregneten – Staatsmeisterschaft im Mühlviertel, allerdings mit einem anderen Pferd. Koko und ich werden in Ungarn noch ein nationales Rennen, einen kleinen 60er, gehen. Der Hengst ist – Entschuldigung, wenn ich das so sage – eine richtige Rampensau. Der braucht das Publikum. Deshalb lassen wir die Saison gemütlich mit einem 60-km-Ritt ausklingen und dann war's das.


Dann wünschen wir Ihnen und Koko ein anfeuerungsfreudiges Publikum und endlich einmal einen Ritt ohne Regen!

Danke, das wäre tatsächlich mal eine nette Abwechslung!