Unter der Leitung von RA Dr. Nina Ollinger ging dieser erste Kongress seiner Art am 30. November über die Bühne, der Purkersdorfer Stadtsaal (NÖ) war prall gefüllt und online via Livestream waren zusätzlich über 100 Interessierte dabei. Geboten wurden den Teilnehmer:innen ein hochkarätiges Programm aus zwölf im 30-Minuten-Takt startenden Vorträgen. Die Blickwinkel auf den Tierschutz und die Ethik in der Pferdewelt, die dabei vermittelt wurden, waren ebenso vielfältig wie die Hintergründe und Kompetenzen der Referent:innen – von der Veterinärmedizin über das Pferdtraining und den Leistungssport bis zu Recht und zu Wissenschaft.
Gesellschaftliche Ansprüche und Grenzen der Pferde
Den Auftakt machte Dr. Svenja Springer, Forscherin am Messerli Forschungsinstitut, mit einer Diskussion über empirische Ethik. Sie zeigte, dass der Schutz von Tieren oft Kompromisse erfordert – vergleichbar mit einer vollen Tasse, in die ein neuer Anspruch integriert werden muss. Ob wirtschaftliche Interessen oder persönliche Ziele weichen müssen, bleibt eine Frage künftiger Entscheidungen.
Was bei diesen Entscheidungen nie außer Acht gelassen werden darf, sind die physiologischen und psychischen Grenzen der Pferde. Prof. Mag. Dr. Robert Stodulka, Tierarzt, Ausbilder und Gutachter für Pferdesport und eine Reihe weiterer Fachgebiete, zeigte eindrücklich auf, wie sehr die artspezifischen Besonderheiten des Pferdes unseren tierschutzgerechten Umgang mit ihm prägen müssen. Ob beim Reiten eines Parcours oder beim Einsteigen in den Anhänger: Pferde sehen ihre Umwelt von Grund auf anders als wir Menschen, und sich buchstäblich mit ihrer Sicht der Dinge auseinanderzusetzen, ist Grundvoraussetzung für einen fairen und gewaltlosen Umgang. Andererseits gilt es auch, ihre körperlichen Limits zu kennen: Welche Schmerzen, teils sogar Verletzungen im Kehlbereich z. B. zu eng gerittene Pferde erleiden, führte Stodulka, der das biomechanisch korrekte Reiten zu einem seiner Hauptthemen gemacht hat, dem Publikum einmal mehr vor Augen.
Auch mental können Pferde vieles nicht, was wir ihnen gerne andichten. Der Grund liegt beim fehlenden präfrontalen Cortex, erklärte Wolfgang Rust, der neben vielen anderen Funktionen auch als Reitlehrer und mit seiner eigenen Online-Reitschule erfolgreich ist. Im Unterschied zum Menschen, aber auch zu Hunden und Katzen besitzen Pferde dieses Hirnareal nicht, das beispielsweise fürs Pläneschmieden und für strategisches Denken zuständig ist. Hier funktionieren sie also ganz anders als wir, lernen anders, haben weniger komplexe Möglichkeiten, ihr Verhalten zu steuern. Sein Pferd möglichst gut zu kennen, zu wissen, wie es geprägt ist und in Stresssituationen reagiert, ist für den Pferdemenschen daher oberstes Gebot. Erst dann kann Harmonie im Team Pferd-Mensch entstehen.
Der Mensch als Schlüssel zur funktionierenden Partnerschaft
Dass nach Schema F zu funktionieren nicht jedes Pferdes Sache ist, weiß auch Pferde- (und Menschen-)Trainer Mag. (FH) Martin Wimmer. Wenn sogenannte Problempferde bei ihm landen, schilderte Wimmer in seinem Vortrag, müsse zuallererst der Mensch sein Verhalten anpassen. „Will ich eine Antwort, muss ich das passende Energielevel nutzen, damit mein Gegenüber sie geben kann.“ Denn grundsätzlich sind Pferde durch ihre angeborene Neugier an uns interessiert, und mit dieser Neugier als Antreiber wird Kooperation mit Freude möglich. Pferde jenseits des Standards zu glücklichen Partnern zu machen, die ihre Aufgaben gerne übernehmen.
Springtrainerin Katharina Schmidt-Gentner lenkte den Blick auf den Druck von (über)ambitionierten Besitzern. Reitanfänger:innen sollten lernen, dass Ziele nicht immer erreicht werden. Fairness, Disziplin und Geduld seien der Schlüssel zum langfristigen Erfolg und zum Wohl des Tieres.
Regeln und Verantwortung im Pferdesport
Mag. Petra Choc appellierte an Turnierreiter:innen, ihre Pferde ehrlich zu beurteilen, bevor sie zu Wettbewerben antreten. Dies sei fair gegenüber dem Tier und anderen Starter:innen. Bei Verstößen gegen die Regeln können Disziplinarverfahren drohen, wie Dr. Doris Täubel-Weinreich erläuterte. Diese gelten jedoch nur für OEPS-Mitglieder und sind keine Strafverfahren im rechtlichen Sinne.
Dr. Constanze Zach, FEI-Tierärztin, unterstrich die umfassenden Regelwerke der FEI: „Alles steht drin – nur tun muss man es.“ Ganz anders empfindet Dr. Eva Pieler, seit 2013 Amtstierärztin in Niederösterreich, die Reglements, nach denen sie in ihrer Tätigkeit handeln muss. Die Befugnisse der Behörden und ihrer Vertreter sowie deren Möglichkeiten, bei nicht tierfreundlichen Pferdehaltungen effektiv einzugreifen, seien sehr begrenzt, die Anforderungen des Tierschutzgesetzes bzw. der relevanten Tierhaltungsverordnung zum Teil schmerzlich gering.
Missstände in der Pferdehaltung
Dass in der Pferdehaltung nach wie vor viel schiefläuft, wusste eine weitere Tierärztin unter den Referent:innen – Dr. Christine Hinterhofer – deutlich zu vermitteln. Ihr Vortrag, der auf den Tierschutz im Freizeitbereich fokussierte, gab dem Publikum merkbar immer wieder zu denken. Liegeflächen ohne Einstreu, gefährliche Sperrmüll-Ecken in Paddocks, Matsch bis zum Karpalgelenk, mit Futterkübeln verstellte Tageslichtluken eines alten Stalls: Diese und viele weitere, oft nicht so offensichtliche aber genauso vermeidbare Missstände vermindern das Pferdewohl viel zu häufig – und außerdem unnötig.
Ethik und Leistung: Kein Widerspruch
Den deutlichsten Zuspruch der Teilnehmer:innen gewann Mag. Lukas Ornauer, der hauptberuflich als Trainer für Reiten und Fitness tätig ist, und es verstand, das Konzept Leistung in ein neues Licht zu rücken. Einen schlechten Ruf habe die Leistung in unserer heutigen Gesellschaft, so Ornauer, dabei gehe es um nichts anderes als das Suchen, Finden und Verschieben von Grenzen, „und das darf auch anstrengend sein.“ Wer sich nicht anstrengen will, der kann sich nicht verbessern – aber geht es im Leben nicht genau darum? „Dass die Gesunderhaltung des Pferdes das Gegenteil von Leistungssport sein soll, ist Unsinn. Leistungssteigerung ist doch nicht ungesund!“ Und dass ein Turnier nichts anderes sei als Wettkampf, sei ebenso falsch, denn vor allen Dingen gehe es um die Beurteilung des eigenen Ausbildungsweges durch kompetente Außenstehende. Den Schlüssel sieht Ornauer darin, zu lernen Niederlagen zu akzeptieren, zu scheitern.
Mut zur Debatte
Zu guter Letzt ergriff noch einmal Dr. Nina Ollinger, das Wort. Nicht nur, um die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten in Pferdefragen zu erläutern (die, weil Tiere juristisch de facto immer noch als Sachen behandelt werden, oft wenige sind), sondern vor allem auch, um den Referent:innen für Ihren Mut zu danken, die „heiße Kartoffel“ anzugreifen und klare Worte zum Tierschutz in der Pferdewelt zu finden.