Die neuen Mannschaftsolympiasieger im Springreiten kommen aus Großbritannien: Scott Brash, Harry Charles und Ben Maher jubeln über Gold! © holcbecher.com
Ben Maher (Dallas Vegas Batilly) und Scott Brash (Jefferson) verzeichneten in diesem Mannschaftsfinale jeweils nur einen Zeitfehler, Harry Charles (Romeo 88) schaffte einen von insgesamt lediglich sieben Nullfehlerritten in dieser hochspannenden Nationen-Entscheidung.
Neun statt zehn
Nur neun Nationen nahmen den Kampf um die Medaillen in Angriff, da der Mexikaner Hank Guerreiro sein Pferd Porths Maestro aus „tierärztlichen Gründen“ zurückziehen musste und es – im Gegensatz zur Dressur – bei den Springreitern keine „Nachrücker“ gibt. Bereits bei den ersten Reitern zeigte sich, dass dieser Parcours wahrlich olympiawürdig ist: von den Ausmaßen der Sprünge her, aber auch von der Linienführung und der Sprunggestaltung. Man fühlte sich sogar ein wenig an das legendäre Stadthallenderby erinnert mit Stephansdom und Donauturm, hier standen halt der Arc de Triomphe und der Eiffelturm mitten im Viereck.
Deutschland im Pech: Statt Olympiasieg nur Rang fünf
Nach den ersten beiden Reiter:inen der Teams lag Großbritannien (1) knapp vor Frankreich (3) und den USA (4).
Gestern noch souverän die Besten in der Mannschaftsquali und als einziges Team fehlerfrei, diesmal nach jeweils einem Abwurf durch Christian Kukuk auf Checker und Richard Vogel auf United Touch - Philipp Weishaupt blieb auf Zineday Null - nur Fünfte: Team Deutschland hadert mit dem ungewöhnlichen Olympiamodus.
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Die in der Qualifikation so souveränen Deutschen durften zu Recht ein wenig mit dem Reglement hadern, denn hätte man die beiden Tage zusammengezählt – wie bei Welt- und Europameisterschaften ja üblich – hätte das Team von Bundestrainer Otto Becker über Gold jubeln dürfen. So mussten man sich mit 8 Fehlerpunkten aus dem Finale mit Rang 5 begnügen.
Enges Rennen um Bronze
Aber auch die Niederlande zeigten sich nicht vom Glück verfolgt: Schlussreiter Harrie Smolders' Zeitfehler brachte sie in der Endwertung auf 7 Punkte. Als bei Julien Epaillard dann auch noch eine Stange fiel und auch die Franzosen dieselbe Punkteanzahl aufwiesen, musste die schnellere Zeit entscheiden und die hatten eben die Heimreiter – um gerademal 57 Hundertstelsekunden!
Mit gebrochenem Mittelhandknochen - Harry Charles fiel beim CHIO Aachen vom Pferd, im Mannschaftsfinale lieferte der junge Brite eine spitzenmäßige Nullrunde - zu Olympia-Gold!
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USA und Großbritannien batteln um Gold
Dann kam es zum Showdown zwischen USA und Großbritannien. McLain Ward dirigierte Ilex souverän über die 18 (!) Sprünge und der Druck lag jetzt auf Scott Brash. Sein Jefferson klopfte zwar einmal an, in der Dreierkombination kamen sowohl Reiter als auch Pferd ein wenig ins Schwimmen, aber am Ende blieben alle Stangen oben und der eine Zeitfehler bedeutete Gold für das britische Team. Das übrigens in ähnlicher personeller Zusammensetzung wie vor 12 Jahren in London antrat, allerdings stand da vor Charles der Vorname Peter (Harrys Vater) und Nick Skelton durfte damals auch noch starten, weil es ja noch Vierermannschaften gab.
US-Ersatzreiter Karl Cook beeindruckte in beiden Team-Springen mit seiner Caracole de la Roque - das Duo blieb zweimal fehlerfrei und räumte alle Zweifel an seiner Nominierung aus.
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Großartiger Sport
Insgesamt eine spannende und hochwertige Springprüfung, die der Spanier Santiago Varela und der Franzose Grégory Bodo mit einem exzeptionellen Parcoursbau krönten. Verdiente Sieger, schöne Bilder, Spannung für die Besucher und Begeisterung beim Heimteam, das von Staatspräsident Emmanuel Macron vor Ort prominent unterstützt wurde.
Alle Ergebnisse im Detail gibt es hier.
Blog: Olympiageflüster aus Versailles (8)
Meist kennt man die Damen und Herren nur von den TV-Bildern. Da fiebern sie im Kiss-and-Cry-Corner, wie das heute auf gut Deutsch heißt, mit steinernen Mienen mit, wenn ihre Schützlinge im Parcours oder im Dressurviereck reiten. Die Rede ist von den Equipechefs! Aber ihre Hauptarbeit findet in erster Linie hinter den Kulissen statt. Administration, Meetingsteilnahmen und Organisation stehen da im Vordergrund.
Thomas Tesch, Österreichs Chef d’Equipe in der Vielseitigkeit, fasst es zusammen: „Wir müssen den Reiter:innen sämtliche administrativen Belange abnehmen, sodass sie sich nur auf das Reiten konzentrieren können. Natürlich müssen wir uns auch um den restlichen Betreuerstab kümmern, um die Reiter:innen bestmöglich zu unterstützen. Wir treffen die Entscheidungen über die Aufstellung des Teams, den gesamten Teamauftritt und die Startreihenfolge – und darüber hinaus agieren wir oft als Mädchen für alles.“ Der Steirer Tesch kann auf keine klassische Reiterkarriere zurückblicken und wuchs bei seinem Onkel in Mürzzuschlag auf. Der war internationaler Geländebauer, Tesch begleitete ihn zu vielen Bewerben und hat daher schon lange Kontakte zu allen österreichischen Kaderreiter:innen. Der 42-Jährige sammelte auch Erfahrung als Turnierleiter und Veranstalter und seit 2016 hat er die Funktion des Bundesreferenten für Vielseitigkeit inne. Sein Resümee nach Paris: „Nach den Spielen ist vor den Spielen. Nächstes Jahr ist die EM dazu da, das Team zu festigen, 2025 bei der WM in Aachen geht es schon um sieben Olympia-Plätze, im vorolympischen Jahr 2027 haben wir wieder die Chance, uns als Team für LA zu qualifizieren. Ich gehe davon aus, dass die Vielseitigkeit in den USA wieder vertreten sein wird. Fix ist, dass es dort meine letzte Olympiade als Equipechef sein wird. Ich werde das dann zwölf Jahre gemacht haben, dann müssen neue Besen her, die kehren besser!“
In der Dressur ist Diana Wünschek seit 14 Jahren als Equipechefin bei Championaten und Meisterschaften im Einsatz. „Damals ist Thomas Lang, der diese Funktion innehatte, an mich herangetreten, ob ich das nicht machen möchte. Und seit damals bin ich dafür verantwortlich. Natürlich geschieht die Organisation im Vorfeld in Zusammenarbeit mit dem OEPS-Büro: Transporte veranlassen, Hotelzimmer bestellen, besonders bei den Nachwuchschampionaten müssen wir uns selber kümmern. Im Erwachsenenbereich macht das der Organisator oder hier das ÖOC. Und dann sind die Sichtungen vorzuschreiben, wie kommt überhaupt jemand ins Team, Pflicht- und Wahlturniere vorschreiben und am Ende dann auswählen, wer fährt.“ Der Papierkram stellt dabei die größte Herausforderung dar. „Es gibt tausend Listen, die man erstellen muss, wer in welchem Zimmer wohnt, welches Pferd wo hinkommt.“ Seitdem die Auslosung der Startreihenfolge durch einen Computer-Zufallsgenerator vorgenommen wird, haben Equipechefs auch nicht mehr den „Schwarzen Peter“ sollte es einmal nicht ideal laufen, so wie gestern bei den Springreiter:innen. „Aber ich habe schon einmal den Platz 1 gezogen, die Reiterin war nicht böse. Das war Lilly Messner und sie hat ganz lieb gesagt, juchhu, ich eröffne die Europameisterschaft!“
Wünschek begann ihre reiterliche Karriere im Springreiten, dann wechselte sie zur Dressur und nach Ende der Aktivenzeit übernahm sie den derzeitigen Betreuerposten, den sie weiterhin mit Leidenschaft ausübt.
Angelika May, die bei den Springreitern erst seit 2023 als Chef d’Equipe im Amt ist, war in ihrem Zivilberuf angesehene Richterin (spezialisiert auf Familienrecht) und verfügt über eine Mediatorenausbildung – kein Nachteil in ihrer Position.
„Ich war das erste Mal als Equipechefin 2023 in St. Gallen dabei. Da hat mich Sabine Seeburger-Schranz, die zur gleichen Zeit bei einem wichtigen anderen Turnier im Einsatz war, darum gebeten. Nach ihrem Rücktritt hat der OEPS beschlossen, dass ich mit zur Europameisterschaft in Mailand fahren darf. Diese Bronzemedaille, die werde ich mein Leben nie vergessen.“
Interessant auch ihre Wurzeln im Springsport: „Ich war nach der Matura ein Jahr lang Turnierpferdepflegerin bei der Familie Fuchs und habe damals Thomas und Markus Fuchs betreut. Nach diesem Jahr begann ich Jus zu studieren und bin mit zwei Pferden sehr erfolgreich bis M und leichte S geritten. International bin ich nur wenig geritten, dafür arbeitete ich für einen Pferdehändler und bin in Belgien mit belgischer Lizenz und in England mit englischer Lizenz an den Start gegangen. Das war eine ganz spannende sportliche Zeit.“
Nach ihrer Pensionierung als Richterin ist sie u.a. als Schriftführerin im OEPS-Direktorium tätig. „Als Equipechefin sehe ich es als meine Aufgabe, den Reitern alles abzunehmen, außer das Reiten. Die ganze Koordination, auch mit den Medien, mit den Fotografen, die Laufereien am Turnier. Allfällige Dinge ausräumen, wenn die Richter ein Problem haben oder ein Steward ein Problem hat, dann die Auswahl des Teams, die Reihenfolge des Teams. Da ich in meinen ersten zwölf Jahren meines Berufslebens Anwältin war, sehe ich auch meine Aufgabe als Anwältin des Teams aufzutreten. Deswegen bin ich auch so bedacht darauf, dass das Team mit mir offen umgeht, weil ich nur dann, so wie ein Anwalt, in der Lage bin, die Anliegen zu transportieren, sei es jetzt gegenüber einem Veranstalter oder sei es gegenüber dem Verband.“
Nach der Olympiaquali erstellte sie auch gemeinsam mit Max Kühner, der letztes Jahr als sportlicher Leiter engagiert wurde (der Posten des Springreferenten ist derzeit unbesetzt) eine strategische Planung mit konkreten Turnierteilnahmen. Und so war der Weg nach Paris auch für alle transparent, als Journalist habe ich es mit diesen drei Personen leichter als bei vielen anderen Championaten in der Vergangenheit - und dafür möchte ich auf diesem Weg auch einmal danke sagen!
Ernst Kopica