Hätte Alexander der Große bereits über einen Hufschutz für seine Pferde verfügt, wer weiß, wie weit er sein Reich noch ausgedehnt hätte. So aber musste er auf seinem Zug nach Indien regelmäßig Pausen einlegen, damit das abgenutzte Hufhorn seiner Reittiere nachwachsen konnte. Reitervölker aus dem Fernen Osten waren die ersten, die lange vor Christi Geburt ihren Pferden Hufeisen verpassten – und bis heute hat sich an der Notwendigkeit, Hufe von Gebrauchspferden zu schützen, nicht viel geändert. Doch ein Eisenbeschlag hat nicht nur positive Effekte, mittlerweile weiß man auch durch wissenschaftliche Untersuchungen, dass er sowohl den Huf selbst als auch die nachfolgenden Gelenke nachhaltig schädigen kann. Prof. Dr. Dietrich Girtler von der Klinik für Orthopädie bei Huf- und Klauentieren der veterinärmedizinischen Universität Wien sieht die Sache pragmatisch: „Der Beschlag ist ein notwendiges Übel. Besser wäre es natürlich, die Pferde nicht zu beschlagen. Aber wenn der Abrieb größer ist als der Nachschub, dann braucht der Huf einen Schutz.“ Die Suche nach Alternativen zum Eisen war und ist daher Anlass für immer neue Überlegungen und Anstrengungen. Vor allem von der Entwicklung neuer Kunststofftechnologien verspricht man sich viel – und tatsächlich hat der Kunststoffbeschlag in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. An der Wiener Klinik für Orthopädie steht man den neuen Entwicklungen aufgeschlossen gegenüber, „meine prinzipielle Einstellung ist die, dass man sich diesen neuen Technologien nicht verschließen darf. Man muss die Beschläge kennen, um dann bewerten zu können, wo die Vorteile und auch eventuelle Nachteile liegen“, meint dazu Prof. Girtler.
Viele Vorteile
Befassen wir uns zunächst mit den Vorteilen: Erster, augenscheinlicher – oder besser: handgreiflicher – Vorzug des Kunststoffbeschlags ist sein Gewicht: Er ist wesentlich leichter als ein Eisenbeschlag, in der Regel ca. um zwei Drittel, die Pferde gehen dadurch freier und lockerer, und die Gliedmaßen sind auch weniger belastet. Durch den Kunststoff ist auch eine bessere Dämpfung gewährleistet, Stöße werden vom Material absorbiert, auch treten keine hochfrequenten Schwingungen wie beim Eisenbeschlag auf (sogenannter Klirreffekt).
Durch die Elastizität und Verformbarkeit des Materials kann der Huf eine ähnliche Dynamik wie ein Barfußhuf entfalten. „Der unbeschlagene Huf gibt auch in der Senkrechten nach, weil der Huf elastisch ist und sich den Unebenheiten des Bodens bis zu einem gewissen Grad anpasst. Dadurch werden die Gelenke geschont. Durch ein Eisen ist der Huf zwar geschützt und wird stabil, aber die Krafteinwirkung kann sich in den Gelenken auswirken.“ (Prof. Girtler) Durch die nahezu ungestörte Hufdynamik nicht nur in der horizontalen (sogenannter Hufmechanismus), sondern auch in der vertikalen Ebene ist auch die Durchblutung des Hufes insgesamt wesentlich verbessert, was längerfristig zu einer besseren Hufhornqualität und weniger Hufproblemen beiträgt. Ebenfalls von Vorteil – so Prof. Girtler – sei die geschlossene Form der Kunststoffbeschlags: „Der unbeschlagene Huf fußt als ganzer am Boden, auch die Sohle trägt mit. Wenn der Huf mit einem offenen Eisen beschlagen ist, trägt nur der Tragrand, der Strahl hat meist keinen Bodenkontakt, somit kann der Hufmechanismus nicht optimal funktionieren. Der Strahl muss Kontakt mit dem Boden bzw. beim geschlossenen Eisen mit dem Quersteg haben, weil Gegendruck notwendig ist, damit die Trachten arbeiten können und der Hufmechanismus in Gang kommt.“ Trotz des verbesserten Hufmechanismus’ ist der Hornabrieb im Trachtenbereich beim Kunststoffbeschlag geringer als beim Eisen, dadurch bleibt auch die Stellung der Hufachse während der gesamten Beschlagsperiode gleich.
So viele Vorteile sollten eigentlich überzeugen. Ein Grund, warum bisher viele ReiterInnen dennoch vor dem Einsatz von Kunststoffbeschlägen zurückschreckten, war seine geringere Haltbarkeit gegenüber dem Eisen. Gerade hier gibt es allerdings große Verbesserungen, so dass man – bei korrektem Beschlag – Werte wie beim Eisen erreichen kann (kann! nicht muss). Tatsächlich erreicht mancher Kunststoffbeschlag im objektiven Test wesentlich bessere Abriebwerte als das herkömmliche Stahleisen. Die Firma Cera hat ihren Beschlag Hippoflex® von der Höheren technischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt Wien XX im Vergleich mit Stahleisen auf Abrieb testen lassen. Verblüffendes Ergebnis des Gutachtens: Im standardisierten Test „weisen die Kunststoff-Hufbeschläge bei gleicher Belastung und gleichem Schleifweg einen geringeren Verschleiß auf als die Stahl-Hufbeschläge“. Woher rührt aber der subjektive Eindruck, Kunststoffbeschläge hielten weniger aus? Dazu muss man folgendes wissen: Pferde, die den gleitenden Eisenbeschlag gewöhnt sind und sich daher einen rutschenden Gang angewöhnt haben, nutzen anfangs die Kunststoffbeschläge schneller ab. Nach einer kurzen Gewöhnungsphase stellen sie sich aber auf ihre natürliche Gangart um. Lassen Sie sich also nicht gleich entmutigen, sondern geben Sie dem Kunststoff eine zweite Chance. „Meist muss man die ersten zwei Beschlagsperioden etwas kürzer ansetzen, danach kann man in der Regel die gewohnten Intervalle einhalten“ – so Hufspezialist Herby Mende, der bereits viel Erfahrung mit alternativen Beschlägen gesammelt hat und auch laufend Protoypen und Beschläge testet, die sich noch im Entwicklungsstadium befinden.
Die Bodenhaftung und damit die Gleitphase mit den meisten Kunststoffbeschlägen ist ähnlich wie mit dem Barfußhuf. Produkte, die zu sehr bremsen, sind weniger empfehlenswert, da die Bremsenergie die Gelenke belasten kann. Für besseren Halt gibt es für die meisten Produkte Stollen und Widiastifte sowie Einlagen gegen das Aufstollen im Winter.
Die Transparenz der meisten Beschläge ist ebenfalls von Vorteil, da sie dem Schmied insofern die Arbeit erleichtert, als er beim Aufnageln die weiße Linie sehen kann. Und nicht zuletzt hat der Kunststoffbeschlag einen weiteren Vorteil: Er ist wesentlich weniger verletzungsträchtig als ein Eisenbeschlag. Kronen- und Ballentritt kommen praktisch nicht mehr vor, und auch Raufereien mit anderen Pferde, z. B. auf der Koppel, verlaufen mit einem „Turnschuh“ wesentlich weniger dramatisch als mit eisenbewehrten Hufen.
… und einige Einschränkungen
Nach so viel Lob sollen aber auch die Schattenseiten eines Kunststoffbeschlags nicht verschwiegen werden. Der erste Nachteil, der dem Pferdebesitzer ins Auge sticht, sind die Kosten: Durchschnittlich muss man zwischen e 22,– und e 36,– mehr pro komplettem Beschlag rechnen. Auf Dauer verringerte Tierarztkosten, so die Hersteller, sollten die Bilanz allerdings wieder ausgleichen.
Nächster heikler Punkt: Der Schmied muss mitspielen. Und vielleicht ist gerade Ihr Schmied besonders traditionsbewusst, schwört auf Feuer und Eisen und hat mit dem neumodernen Zeug nichts am Hut. Da heißt es dann, diplomatisch und behutsam ans Werk gehen und ihn mit guten Argumenten überzeugen. Kann er Ihnen aber plausibel begründen, daß Kunststoffbeschläge für Ihr Pferd nicht geeignet sind, so sollten Sie ihm Glauben schenken. Stimmt er dem Experiment aber zu, so ist zu beachten, dass der Beschlag auch für den Hufschmied eine gewisse Umstellung bedeutet. Der Huf muss wirklich plan vorbereitet sein, da eventuelle Unebenheiten nicht durch Aufbrennen retuschiert werden können. Der Beschlag muss so gehandhabt werden, wie es vom Hersteller vorgeschrieben ist, d. h. die Schmiede müssen mitunter auch spezielle Kurse und Schulungen besuchen (wozu nicht alle Hufschmiede bereit sind). Erkundigen Sie sich vorher, ob Ihr Schmied Erfahrungen mit diesen Beschlägen hat – oft kann auch der Hersteller weiterhelfen. Auf keinen Fall sollten Sie versuchen, den Beschlag selbst anzubringen – auch wenn Sie den Eindruck haben, dass dies möglich sein sollte. Wenn finanzieller Aufwand und Ihr Hufschmied nicht dagegen sprechen, können Ihnen aber immer noch die Hufe Ihres Pferde einen Strich durch die Rechnung machen: Durch die verbesserte Hufdynamik, vor allem durch die vertikalen Verformungsmöglichkeiten, die der Huf durch den Kunststoffbeschlag wiedergewonnen hat, liegt auf den Nägeln eine erhöhte Spannung. Für Pferde mit schlechtem, brüchigen Horn oder dünnen Hufwänden ist dieser Beschlag daher nicht geeignet. Die Praxis zeigt allerdings, daß nach einem Jahr Kunststoffbeschlag das Hufhorn wesentlich gesünder und stärker ist. Vielleicht kommt eine Übergangslösung mit Klebebeschlägen in Frage, die ebenfalls erhebliche Fortschritte gemacht haben.
Aus der Praxis weiß man inzwischen auch, dass der Steg, den der Beschlag für seine Stabilität benötigt und der sich positiv auf den Hufmechanismus auswirkt, beim Reinigen des Strahls Probleme verursachen kann. Steinchen und Schmutz können sich darunter verfangen und Druckstellen verursachen. Entweder füllt man den geringen Zwischenraum mit einem elastischen Material aus, das zusätzlich dämpft, oder man wählt einen Beschlag mit anders geformter Querstrebe – z. B. das Modell von HippOtech™ mit einem Einschnitt über der Strahlfurche – oder aber Sie plagen sich ein bißchen mehr und adaptieren Ihre Putztechnik.
Wenig anpassungsfähig
Der Hauptnachteil des Kunststoffbeschlags liegt allerdings bis jetzt in seiner beschränkten Anpassungsfähigkeit. Das Stahleisen kann man warm und kalt verformen und bearbeiten und individuell anpassen, auch kann ein guter Schmied einen „Maßschuh“ schmieden, wenn das Eisen von der Stange den Bedürfnissen des Pferdes nicht genügt. „Ein generelles Problem beim Kunststoffbeschlag ist, dass man ihn dem Huf nicht exakt anpassen kann. Jeder Huf hat eine andere Form, neben dem regelmäßigen gibt es zahlreiche unregelmäßige wie den bodenweiten, den bodenengen, den diagonalen, den spitzgewinkelten, den stumpfgewinkelten, den Huf der bärenfüßigen Stellung… Und dann gibt es noch die kranken Hufe, die auch einen speziellen Beschlag brauchen.“ (Prof. Girtler) Im Bereich des orthopädischen Beschlags wird das Stahleisen daher wohl noch länger konkurrenzlos bleiben. Aber auch nicht jeder gesunde Huf kann mit Kunststoffbeschlägen geschützt werden, der Anwendungsbereich ist im wesentlichen auf halbwegs gerade, symmetrische Hufe limitiert. „Regelmäßige Hufe und keine Ganganomalien sind die Voraussetzungen für den Kunststoffbeschlag.“ (Prof. Girtler). Ein generelles Ende der Eisenzeit ist also noch lange nicht in Sicht. Um die negativen Auswirkungen des Eisens zu mindern, empfiehlt Prof. Girtler die Verwendung dämpfender Einlagen wie z. B. Luwex. „Das ist ein guter Kompromiss zu einem guten Preis-Leistungsverhältnis. Alle unsere Patienten werden so beschlagen.“
Einsatz im Sport
Allgemein herrscht die Meinung vor, dass Kunststoffbeschläge prinzipiell nur für Freizeitpferde geeignet sind, die nicht viel gearbeitet werden und meist auf der Koppel stehen. „Wir haben das probiert – und bei wirklicher Beanspruchung, also zwei Stunden Arbeit täglich mindestens, hält auch der beste Kunststoffbeschlag maximal vier Wochen“ – so Hufschmied Georg Rys. Sein Kollege von der veterinärmedizinischen Universität, Hufschmiedemeister Enno Laube, bestätigt diesen Befund. „Es gibt heute schon wirklich gute Produkte, aber im Bereich des Abriebs gibt es bei starker Beanspruchung nach wie vor Probleme.“ Positiver sind die Erfahrungen von Vielseitigkeitsreiter Harald Riedl, der seit einem halben Jahr den easywalker testet und so zufrieden ist, daß mittlerweile alle seine Pferde auf grün-gelben Sohlen laufen. Sieben bis acht Wochen hält ein Beschlag, so Riedl, ein paar Wochen mehr wären auch noch drin, aber lieber geht er auf Nummer sicher.
Ähnliche Wege wie die österreichische Firma Horse Shoe Technologies geht auch die Schweizer Firma Hippo Dynamix AG mit ihrem elastischen Hufschutz Dynamix®. Eine Zeitlang marschierte man sogar vereint, bis sich die Schweizer wegen Meinungsverschiedenheiten bezüglich des Zeitpunkts der Markteinführung des neuen Produkts zurückzogen und die Österreicher alleine weitermachten. Die Schweizer arbeiten zur Zeit an einer verbesserten Form des Kunststoffbeschlags, der bessere Abriebwerte haben und im Herbst am Markt sein soll.
Therapeutische Verwendung
Wenn wir oben meinten, dass im orthopädischen Hufbeschlag das Stahleisen unangefochten ist, so muss man hinzufügen, dass es Indikationen gibt, wo nur mit einem Kunststoffbeschlag therapiert werden kann. Zum Beispiel bei Hufrehe, die man früher – an manchen Kliniken bis heute – mit einem Eiereisen versorgt hat, ist man heute dazu übergegangen, ein Jahr lang einen Kunststoff-Klebebeschlag zu verwenden, der das Horn möglichst schonend schützt.
Auch bei Podotrochlose (Hufrollenerkrankung) und Arthrosen wirken sich die stoßdämpfenden Eigenschaften eines Kunststoffbeschlags positiv aus und können die Beschwerden merklich lindern. Den idealen Beschlag, der sich für jedes Pferd und jeden Anwendungsbereich eignet, wird es wohl nie geben. Aber je mehr Alternativen zur Verfügung stehen, desto größer ist die Chance, dass das einzelne Pferd optimal versorgt wird.
Kunststoffbeschläge – wann und für wen?
Falls Sie sich überlegen, Ihr Pferd auf Kunststoffbeschläge umzustellen, sollten Sie folgende Punkte beachten.
- Prinzipiell ist der Kunststoffbeschlag dem Eisenbeschlag vorzuziehen – durch seine beschränkte Anpassungsfähigkeit ist er jedoch in seinen Anwendungsmöglichkeiten beschränkt. Besprechen Sie Ihren Wunsch mit Ihrem Tierarzt und Ihrem Hufschmied und vergewissern Sie sich, dass Ihr Pferd sowohl von seiner Hufform als auch von seinem Gangbild her überhaupt für diesen Beschlag in Frage kommt.
- Lassen Sie sich darüber informieren, welche Kunststoffbeschläge Ihr Schmied kennt und mit welchen Beschlägen er bereits Erfahrungen gesammelt hat; nötigenfalls konsultieren Sie auch mehrere Schmiede oder lassen sich von den Herstellern jemanden empfehlen; sprechen Sie auch über etwaige Mehrkosten und Alternativen zum Kunststoffbeschlag (z. B. Eisen mit dämpfender Einlage).
- In der Regel können Pferde, die normalerweise keinen Hufbeschlag brauchen, weil sie wenig gearbeitet werden, für Perioden höherer Beanspruchung gut mit einem Kunststoffbeschlag geschützt werden; ist Ihr Pferd einen Eisenbeschlag gewöhnt, sollten Sie sich dessen bewusst sein, dass Ihr Pferd eine Umstellungsphase auf den neuen Beschlag braucht und sich dieser zunächst möglicherweise schneller abnutzen wird; sollte sich das Problem nach zwei bis drei Beschlagsperioden nicht gebessert haben, ist der Beschlag für Ihre Anwendungszwecke wahrscheinlich nicht geeignet; Kunststoffbeschläge haben teils sehr unterschiedliche Eigenschaften, und nicht jedes Pferd kommt mit jedem Beschlag zurecht.
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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 7/2002 erschienen. Pferderevue AbonnentInnen können ihn zusammen mit über 40.000 weiteren in unserem Online-Archiv kostenlos nachlesen. Einfach unter Service/Online-Archiv einloggen und in allen Heften aus 25 Jahren Pferderevue zum Nulltarif blättern!
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