Alles begann mit einem Youtube-Video. Darauf zu sehen waren ein Hund und ein Pferd, die miteinander spielten. Besonders interessant daran: Bei Hund und Pferd handelt es sich um Jäger und Beute, um Raubtier und Fluchttier. Das Video erreichte schließlich die italienische Tierverhaltensforscherin Elisabetta Palagi von der Universität Pisa. Sie war von dem aufeinander abgestimmten Verhalten der beiden Tiere so fasziniert, dass sie gemeinsam mit ihren Student*innen eine Studie zum gemeinsamen Spielverhalten von Hunden und Pferden ins Leben rief.
Die Partnerschaft zwischen dem Raubtier Hund und dem Fluchttier Pferd wurde stark vom Menschen beeinflusst. Das ermöglicht es den beiden Arten, friedlich zusammenzuleben. So wurden quasi Feinde zu Freunden. Ein Pferd könnte einen Hund problemlos verletzen, das Pferd als Fluchttier tendiert dazu, Angst vor wolfsähnlichen Tieren zu haben. Beide Arten wurden jedoch vom Menschen domestiziert und haben die Fähigkeit, die Mimik ihrer Artgenossen und die des Menschen zu erkennen. Das Erkennen der Mimik bringt eine weitere Fähigkeit mit sich: Sowohl Hund als auch Pferd können sich gut auf die Emotionen anderer Lebewesen einstellen. Das spiegelt sich im gemeinsamen Spielverhalten wider: Beide Arten lesen die Mimik des anderen und ahmen diese sogar nach.
Blindes Vertrauen zwischen Raub- und Beutetier
In der zweimonatigen Studie analysierte Palagi mit ihren Student*innen hunderte YouTube-Videos von spielenden Pferden und Hunden, 20 davon wurden schließlich für die Studie selektiert. Die Aufnahmen ließen deutliche Rapid Facial Mimicry (RFM) erkennen. Darunter versteht man die sogenannte emotionale Ansteckung. Beim Menschen etwa ein unwillkürliches Lächeln, wenn man seinerseits angelächelt wird. Diese emotionale Ansteckung war auch bei den ungleichen Spielgefährten zu beobachten. Zwölf Hunde und zehn Pferde auf den Videos öffneten im Spiel ihr Maul und zeigten die Zähne. Dieses Verhalten, das von den Forscher*innen als „relaxed open-mouth display“ bezeichnet wird, war kein Zeichen von Aggression. Ganz im Gegenteil: Die Tiere setzten es spielerisch und deeskalierend ein. Auch andere Verhaltensweisen wurden von Hund und Pferd gespiegelt. Etwa täuschten sie Bisse an, jagten einander, sprangen, schoben oder schlugen sich.
Ein weiteres bemerkenswertes Verhaltensmuster ist die „Selbstbehinderung“, die im Rahmen dieser Studie erstmals zwischen Pferd und Hund nachgewiesen werden konnte. Dabei begab sich eines der Tiere bewusst in eine sich selbst benachteiligende Rolle, indem es sich hinlegte, auf den Rücken rollte oder den Kopf absenkte. Auf den Menschen umgemünzt ist das Verhalten mit dem eines Elternteils vergleichbar, das das Kind beim Kartenspiel bewusst gewinnen lässt. Die Hunde setzten ihre Waffen, die Zähne und Krallen, bedacht ein. Die Pferde minimierten ihren physischen Vorteil, die Körpergröße, indem sie sich klein machten und hinlegten. Die Tiere setzten das Verhalten gezielt ein, um ihr Gegenüber zum Spiel zu animieren und ihre spielerische Absicht kundzutun. „Diese Muster wären eigentlich gefährlich für das Tier, wenn sie in nicht spielerischen Kontexten ausgeführt worden wären – und die Tatsache, dass sie dies tun, zeigt uns, dass unsere Probanden einander blind vertrauten", sagte Palagi gegenüber TheHorse.com.
Die genaue Analyse der Verhaltensweisen von Hund und Pferd im gemeinsamen Spiel ergab noch ein überraschendes Ergebnis. So verschieden die beiden Arten auch sein mögen, im Spielstil ließen sich keine markanten Unterschiede feststellen. Daraus lasse sich schließen, dass Hund und Pferd eine gemeinsame Spiel-Sprache entwickelt haben. Und für ein bisschen Spaß scheinen Raub- und Fluchttier sogar ihre Urinstinkte beiseite zu schieben.