Studie

Unfälle mit Kindern und Pferden nehmen deutlich zu

Ein Artikel von Pressemitteilung | Red. | 05.07.2024 - 14:48
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Laut Studie sind die „typischen Unfallopfer“ Mädchen in der Pubertät - was deutliche Auswirkungen auf Sicherheitsverhalten und Risikolust hat. © Christiane Slawik www.slawik.com

In die Studie des Forschungszentrums für Kinderunfälle des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE flossen alle Unfälle ein, die von 2015 bis 2023 im in Zusammenhang mit einem Pferd an der Grazer Uni-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie und an der Uni-Klinik für Orthopädie und Traumatologie bei Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre behandelt wurden. Insgesamt fielen in diesem Zeitraum 1.215 Fälle an. An 495 Personen der Behandlungsjahre 2021 bis 2023 wurde zudem ein Fragebogen ausgesandt, um mehr über die Hintergründe zum Unfallgeschehen zu erfahren. Letztlich konnten 140 Fälle/Fragebögen in die erweiterte qualitative Analyse einbezogen werden.


Typisches Unfallopfer: die 12-Jährige Reiterin

Rund 170 Kinder- und Jugendunfälle in Zusammenhang mit Pferden werden jährlich an den Grazer Universitätskliniken für Kinder- und Jugendchirurgie sowie für Orthopädie und Traumatologie behandelt. „Wenn wir den gesamten Zeitraum von 2015 bis 2023 in Dreijahresperioden abbilden, zeigt sich, dass die Anzahl der behandelten Unfälle mit Pferden sukzessive angewachsen ist. Knapp 42 % der insgesamt 1.215 Unfälle ereigneten sich in den letzten drei Jahren“, so Univ.-Prof. Dr. Holger Till, Präsident des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE und Vorstand der Grazer Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie.

Die Unfälle mit Pferd lassen sich in drei Gruppen einteilen:

  • 72 % der jungen Unfallopfer verletzen sich beim Reiten
  • 24 % beim Umgang mit dem Pferd an sich
  • 4 % beim Voltigieren

Pferde und Reitsport sind besonders für Mädchen attraktiv. Kein wunder also, dass auch knapp 96 % der behandelten Kinder und Jugendlichen weiblich sind. Der Altersschnitt bewegt sich um die 12 Jahre. „Markant ist bei Reitunfällen außerdem, dass die Anzahl der ‚Unfallwiederholer mit 11,4 % fast viermal so hoch ist wie im klinischen Gesamtgut“, so Dr. Peter Spitzer vom Forschungszentrum für Kinderunfälle.


Hoher Anteil an schweren Verletzungen

Die schweren Verletzungen betreffen bei Unfällen mit Pferden vor allem die Arme und Hände sowie überdurchschnittlich oft den Kopf. „Der Anteil an schweren Verletzungen ist vor allem beim Reitsport mit knapp 40 % und einer stationären Aufnahmequote von 17 % sehr hoch. Bei Reitunfällen finden sich Frakturen mit 27 % am häufigsten, gefolgt von Schädel-Hirn-Traumata und Bänderrupturen“, weiß Till.

Beim Umgang mit dem Pferd jenseits vom Reitsport beläuft sich der Anteil an schweren Verletzungen auf 22 %, beim Voltigiersport auf 29 %. Bei der Unfallgruppe „Umgang mit dem Pferd“ werden die Beine und Füße mit knapp 50 % (Hinaufsteigen des Pferdes auf den Fuß) am häufigsten verletzt. Beim Voltigieren sind ebenfalls die Beine und Füße mit 37 % am häufigsten von Verletzungen betroffen.

Neun von zehn Verletzungen, die sich beim Reiten ergeben, sind Folgen eines Sturzes vom Pferd. In der Unfallkategorie „Umgang mit dem Pferd“ ist der Tritt vom Pferd (38 %) Spitzenreiter, gefolgt von „Pferd auf Fuß/Hand gestiegen“ (33 %). Danach folgen mit je 9 % Bissverletzungen und Verletzung durch Zügel/Zaumzeug. Beim Voltigieren entfallen 71 % auf den Sturz vom Pferd, gefolgt vom Sprung vom Pferd (sowohl gewollte Sprünge/geplanter Abgang im Rahmen der Übung als auch Notfallsprünge bei missglückten Übungen am Pferd).


Unfallursache Fluchtreflex

Die verunfallten Kinder und Jugendlichen schätzen sich mit mehr als 90 % als sehr routiniert ein. Spitzer: „Was auffällt, ist, dass nur 19 % sich selbst in der Verantwortung für den Unfall sehen – zumeist ja ein Sturz vom Pferd. Für knapp jeden zweiten Vorfall wird das Pferd ‚verantwortlich gemacht‘. So wird vor allem angegeben, dass sich das Pferd erschreckt habe. Es sollte in Reitstunden offenbar immer wieder vermittelt bzw. darauf hingewiesen werden, dass Pferde grundsätzlich Fluchttiere und daher eher schreckhaft sind.“ Bei unbekannten oder neuen Pferden ist die Herausforderung noch größer. So gaben 45 % der Befragten als (Mit-)Grund für den Unfall an, dass das Pferd für sie „neu“ war.


Helm inzwischen Standard

Was positiv in der Studie auffällt: Einen Reithelm zu tragen ist mittlerweile Standard. Für fast alle Befragten gehört er einfach dazu wie Reithose und Reitstiefel. Auch Rückenprotektoren sind heute deutlich weiter verbreitet als noch vor einigen Jahren. Gut die Hälfte der befragten verunfallten Personen war mit Schutzweste unterwegs.


Unfall mit Folgen

Viele der verunfallten Kinder und Jugendlichen sind gleich nach dem Unfall wieder auf das Pferd gestiegen. 35 % gaben jedoch an, dass sie an körperlichen und psychischen Folgen leiden. „Manchmal hat eine Verletzung sogar die Konsequenz, dass die Kinder bzw. Jugendlichen mit dem Reiten aufhören – entweder aus eigener Überzeugung oder auf Drängen der Eltern. Dies unterstreicht wieder einmal die These, dass gesunde Bewegung nur dann nachhaltig ausgeübt wird, wenn sie möglichst frei von schwerwiegenden Unfällen und Verletzungen ist“, betont Spitzer.


Pferde sicher genießen

Alles in allem zeigt die Studie, dass der Pferdesport trotz seiner Faszination erhebliche Unfallrisiken birgt – ganz besonders für junge Reiter. Die „typischen Unfallopfer“ befinden sich in der Pubertät, was deutliche Auswirkungen auf Sicherheitsverhalten und Risikolust hat. Hier sind vor allem Eltern und Trainer gefragt, ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein und Vorsicht an den Tag zu legen, um den das Unfallrisiko zu minimieren. Das Forschungszentrum für Kinderunfälle nennt in diesem Zusammenhang die folgenden Sicherheitstipps:

  • Eine bekannte Strecke verleitet zu mehr Lockerheit. Routine beeinflusst das Unfallgeschehen letztlich negativ. Bewusstes und konzentriertes Reiten ist immer essenziell.
  • Bei einem neuen oder ungewohnten Pferd ist größere Vorsicht geboten und ein Herantasten mit größerer Konzentration angeraten.
  • Aufgrund der großen Unfallenergie ist das Tragen adäquater Sportkleidung und Schutzausrüstung (Helm, Reitweste, Reitstiefel/-schuhe) unverzichtbar.
  • Ausbildungs- und Trainingsstunden mit professionellen Reitlehrer sind unbedingt notwendig.
  • Vor einer Trainingsstunde ist es sinnvoll, nicht nur den Körper aufzuwärmen, sondern auch den Kopf, indem man sich Risiken und Sicherheit vor Augen führt. In der Reitgruppe sollen die zentralen Themen von Sicherheit und Sporttechnik gemeinsam bedacht und allenfalls spezielle Herausforderungen für das kommende Training besprochen werden.
  • Nach einem Unfall sollte eine Ursachenanalyse im Sinne einer Lernmöglichkeit in das Training integriert werden.