Springen

Nieberg gewinnt überraschend in Aachen

Ein Artikel von Ernst Kopica | 03.07.2022 - 19:33
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Sensationssieger beim traditionsreichen Rolex Grand Prix beim CHIO Aachen 2022: Gerrit Nieberg aus Deutschland gewinnt das prestigeträchtigste Springen in einem hochdramatischen Stechen. © holcbecher.com

Nick Skelton, Michael und John Whitaker, Scott Brash, Eric Lamaze, Rodrigo und Nelson Pessoa, Meredith Michaels-Beerbaum, Ludger Beerbaum, Marcus Ehning, Jeroen Dubbeldam, Jos Lansink, Franke Sloothaak, Paul und Alwin Schockemöhle, Piero D’Inzeo, Hans Günter Winkler - die Liste jener Reiter, die in Aachen den Großen Preis gewinnen konnten ist lang und prominent. Und natürlich stehen auch Thomas Frühmann und Hugo Simon auf dieser Tafel beim Einritt in das riesige Sprungareal in der Soers.

Jeder Springreiter träumt davon einmal hier eingraviert zu werden. Bis ins Jahr 1927 reicht die Geschichte dieser Springprüfung zurück, lediglich in den Jahren 1940 bis 1946 sowie 2020 musste die Prüfung ausfallen. Zur gleichen Zeit ausgetragen dürfte der Stellenwert des CHIO Aachen für den Pferdesport die gleiche Bedeutung haben wie Wimbledon für den Tennissport oder die Tour de France für den Radsport.
 

Springen der Superlative

Insgesamt 1,5 Millionen Euro gab es diesmal zu gewinnen, allein 500.000 Euro streifte der Gewinner Gerrit Nieberg ein. Einen zusätzliche Anreiz bietet Sponsor Rolex seit einigen Jahren bei den sogenannten Major Turnieren, zu denen neben Aachen auch Genf, Spruce Meadows und ’s-Hertogenbosch gehören. Wer dreimal hintereinander einen Grand Slam-GP gewinnt, kassiert einen Zusatzbonus von einer Million, ein Kunststück, das bisher nur Scott Brash gelang. Zwei Siege innerhalb eines Jahres werden mit 250.000 bzw. 500.000 (wenn in Folge gewonnen) honoriert, ein vierter Erfolg nach dem Grand Slam bringt noch eine weitere Million. Daniel Deußer hätte heute die Gelegenheit auf diese Prämie gehabt, scheiterte mit Vorjahressiegerin Killer Queen als Vierter aber knapp.

Nach zwei Jahren Publikumsabsenz drängten sich die Besucher:innen heuer wieder auf den Tribünen, Organisationschef Frank Kempermann, der dieser Tage zum letzten mal in Aachen die Fäden in der Hand hatte, gab auch stolz die Gesamtbesucherzahl bekannt: 356.800!

Elektric Blue zu gut

40 Reiter:innen und ihre Pferde hatten sich in den Qualifikationen das Startrecht für dieses Mega-Springen gesichert und Parcoursbauer  Frank Rothenberger baute für den ersten Umlauf gleich ordentliche Anforderungen auf.

Für Max Kühner war die Reise leider bereits nach dem sechsten Sprung zu Ende. Ein Abwurf in der Dreierkombination und vier Fehlerpunkte bedeuteten schließlich das Aus für Elektric Blue P: „Er ist leider zu gut gesprungen, war zu hoch über dem Hindernis und hat dabei den Schwung verloren. Ärgerlich, aber Elektric Blue P hat seine Sache trotzdem gut gemacht!“ Kühner durfte zu diesem Zeitpunkt als Zehnter zwar noch auf ein Weiterkommen in Runde zwei hoffen, zu dem die besten 18 antreten durften. Aber am Ende fehlten dann doch 96 Hundertstelsekunden.

Dabei strotzte Kühner zu Mittag noch vor Selbstvertrauen, im Interview ließ er die letzten Tage Revue passieren: „Diese ganze Woche war schon ganz schön stressig. Zweimal hin- und herpendeln zwischen Monaco und Aachen, aber der Aufwand hat sich gelohnt. Die Nacht nach dem Sieg in Monaco war allerdings sehr kurz, da wir heute erst um 3 Uhr Früh in Köln gelandet sind. Aber es hat mich so sehr gefreut das Springen mit EIC Coriolis des Isles gewonnen zu haben. Er ist wirklich gut in Schuss und lieferte ja schon die Woche zuvor beim Nationenpreis in Ebreichsdorf die Doppelnull.“ Eine der ersten Gratulanten in Aachen waren übrigens OEPS-Mannschaftskollegen Victoria Max-Theurer und Stefan Lehfellner.
 

Nieberg überrascht

Zurück zum Großen Preis: In der zweiten Runde wuchsen die Schwierigkeiten weiter an, die Zweierkombination mit überbautem Wasser und eine schwierige Schlusslinie forderten den 18 Paaren alles ab. Und daran sollten auch große Namen scheitern wie etwa der Olympiasieger Ben Maher auf Explosion W, Christian Ahlmann und Steve Guerdat. Beim Jump-off der besten Fünf schien alles für Scott Brash und Hello Jefferson zu laufen, kaum jemand traute einem anderen Reiter eine schnellere Zeit zu. Auch Gerrit Nieberg legte vorerst verhalten los, unbekümmert donnerte er aber die Schlusslinie hinunter und der Aufschrei nach seiner Bestzeit war wohl bis nach Niederlande und Belgien zu hören.
 

Wall of Fame in Aachen statt Fußballkarriere

Dass ein gutes Pedigree im Reitsport nicht nur für Pferde wichtig ist, beweist Gerrit Nieberg, dessen Vater Lars jahrzehntelang die deutsche Springsportszene prägte. Als Gestütsleiter und Trainer konnte er seinen Filius allerdings erst recht spät zum Springsport motivieren, in der Jugend wollte Gerrit in erster Linie Fußballprofi werden. Und nunmehr ziert sein Name die berühmte Tafel am Aachener Richterturm. Das könnte der Beginn einer großen Reiterkarriere gewesen sein. Noch blieb Nieberg bescheiden. Auf die Interviewfrage, ob er realisierte, dass er etwa schaffte, was seinem Vater nie gelang, meinte er: „Er hat aber in seiner Karriere so viel erreicht, da bin ich noch weit entfernt davon!“


Abschied von der Stimme der Soers

Für einen Österreicher endete in Aachen hingegen eine wunderbare Karriere im Sport: Sprecher Christian von Plettenberg kommentierte sein letztes Turnier und zitierte zu seinem Abschied Hans-Heinrich Isenbart: „Bei allem was wir tun und denken, vergessen wir die Pferde nicht!“

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