Happy Birthday

Hugo Simon: 162 Zentimeter fliegende Energie

Ein Artikel von Andrea Kerssenbrock | 03.08.2022 - 09:24
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Auch mit 80 Jahren ist Hugo Simon dem Springsport immer noch verbunden - inzwischen nicht mehr aktiv im Parcours, aber als Trainer.
© holcbecher.com

„Herr Simon ist ein vielbeschäftigter Mann.“ Die Stimme am anderen Ende der Leitung ist höflich, aber bestimmt. „Hugo Simon – der sitzt gerade auf dem Traktor“, „Ne, der ist in Österreich“. „Versuchen Sie es doch um halb acht Uhr morgens“. Morgens um halb acht ist die Welt noch in Ordnung und Hugo Simon am Apparat. Nein, ein Gespräch vor seinem Geburtstag sei nicht möglich. Fotos, ja gerne, ebenfalls nach dem 3. August. „Kommen Sie doch nach Preding.“

Wochen später, im weststeirischen Preding, feiert Hugo Simon sein glorreiches Comeback nach dem schweren Sturz im März von Ukinda – und seinen 70. Geburtstag. Soeben hat er das Qualifikationsspringen für den Casino Grand Prix am Sonntag gewonnen. Zwei weitere Siege und ein dritter Platz im Grand Prix werden an diesem Turnierwochenende noch folgen. Die blauen Augen strahlen, Hugo Simon ist braungebrannt – „Von der Arbeit“, wie er betont, „ich halte mich fit“. Er schnappt für sich eine Zigarette und fürs Pferd eine Karotte. „Machen Sie doch gleich einmal die Fotos“, drängt er und fügt hinzu: „Sonst wird noch das Pferd ungeduldig – ja, bei mir muss das schnell gehen.“

Das „zeitlose Reit-Phänomen“ hat ihn die Grazer „Kleine Zeitung“ einmal genannt. Hugo Simon macht diesem Titel alle Ehre. Solange er fit sei und Spaß am Reiten habe ,werde er weitermachen, ist in sämtlichen Medien von der ARD bis zum „Weser Kurier“ anlässlich seines 70ers zu hören und zu lesen. Das Publikum dankt es ihm, das weiß er. Warum es ihn so liebt? „Weil ich immer siegen will“, lautet die prompte Antwort. Ungezählt sind all seine Triumphe, über sechs Jahre führte er die Weltrangliste der Springreiter an. Seit seinem Sieg beim CSI** in Ebreichsdorf 2011 ist er der älteste Grand-Prix-Gewinner des internationalen Springsports.

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Mit E.T. war Hugo Simon schier unschlagbar. © Pferderevue

Im Dienste des Erfolgs

Begonnen hat die internationale Springkarriere des Hugo Simon in den 1960ern. Seine Pferde hießen damals Juwel und Fair Lady. Seit 1972 reitet Simon, der im Mährischen geboren wurde, für Österreich. Die Sommerspiele in München waren sein erklärtes Ziel, doch die deutsche FN wollte seine Stute Fair Lady ohne ihn. Da Hugo Simon immer schon ein Mann der Tat war, wechselte er flugs die Staatsbürgerschaft und sprang mit Lavendel zur Freude der rot-weiß-roten Fangemeinde auf Platz vier des olympischen Springbewerbes.

Begeisterung löst „Hugo Nazionale“ nicht nur in Österreich aus. Als er mit Gladstone 1979 erster Weltcupsieger in Göteborg wurde, jubelte ihm das skandinavische Publikum zu wie einem Popstar. Gladstone, mit dem er 1980 auch die olympischen Ersatzspiele gewann, ist nur eines seiner unvergessenen und erfolgreichen Pferde. Flipper, Lavendel, The Freak, Winzer, Amaretto, Apricot D und nicht zuletzt E.T. FRH, der zweifache Weltcupsieger von 1996 und 1997, wurden ebensolche Publikumslieblinge wie ihr Reiter, den die Autorin Cornelia Wumkes einst als „162 Zentimeter fliegende Energie“ bezeichnete.

Seine Energie ist ungebrochen. Nur E.T. und Apricot D genießen den wohlverdienten Ruhestand auf der Weide. Mit Menschenbezug, wie er betont. „Das brauchen die, die kann man nicht einfach wegstellen.“ Hugo Simon sieht sie von seinem Büro aus. Denn so wie er immer noch gerne im Sattel sitzt, denkt er auch nicht daran, in seiner Firma leiser zu treten – „Man nennt das Geldverdienen“ –, und er habe das unglaubliche Glück, dass sein Sponsor, der Simon, „gut mit dem Hugo kann“.

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© Leitgeb

Abschied von E.T. und Apricot D
Mit den beiden Starpferden E.T. und Apricot D verlor Springreiterlegende Hugo Simon am 4. Jänner 2013 nicht nur zwei einstige Größen des internationalen Turniersports, sondern zwei Partner, die sein Reiterleben nachhaltig geprägt hatten. Arnim Basche lässt die beeindruckende Laufbahn dieser beiden Ausnahmetalente noch einmal Revue passieren. Weiterlesen ...

Hugo Simon ist zweifellos ein fleißiger Mann. Der Reitmeister ist bekannt dafür, seine Pferde dressurmäßig zu gymnastizieren wie kaum ein anderer. Die klassische Ausbildung seiner Pferde ist ihm schlicht unverzichtbar. Simon, der seine Dressurausbildung bei Trainergrößen wie Heinrich Boldt und Josef Neckermann absolvierte und Dressurprüfungen bis zur Klasse S geritten ist, lehrt dies auch in seinem Ausbildungsstall in Weisenheim am Sand. Leider unterrichtet er, dessen aktive Laufbahn sich bereits über drei Generationen erstreckt und der noch von Micky Brinkmann, dem legendären Bundestrainer der deutschen Springreiter, trainiert wurde, nur mehr wenig.

Als Ausbilder zahlreicher Nationenpreisreiter wie Dietmar Gugler, Sören und Lars Pedersen, Rulof Bril und Otto Becker, nun Bundestrainer der deutschen Springreiter, konzentriert er sich heute mehr auf seinen jeweiligen Bereiter. Mit Stolz und auch ein wenig Wärme in der Stimme verweist er auf Axel Schmidt. Der hat seinen Caldato seit Simons Schulterverletzung im März so gut in Schuss gehalten, dass er hier in Preding so souverän zum Sieg reiten konnte. Im übrigen trete der junge Bereiter demnächst zur Reitlehrer- und Richterprüfung an.

Hugo Simon sucht seine Pferde am liebsten selbst aus. Er hat ein gutes Auge und ein gutes Gespür – ein Erbe seines Vaters, wie er ausführt. Dieser war Pferdehändler und setzte den kleinen Hugo bereits mit acht Jahren aufs Pferd. Von nun an legte der Junge seine Wege in den Dorfladen wie auch seine ersten Parcours auf dem Rücken eines Haflingers zurück. Trainiert wurde er vom Vater und von Artur Jost. Geritten hat er viele verschiedene Pferde, so wie sie in einem Handelsstall eben kommen und gehen. Dann und wann erlaubte die Mutter ihm das Fußballspielen. Die frühe Beziehung zum Pferd prägt sein Leben bis heute.

Im Dienste der Pferde

Für Hugo Simons Pferde ist ihr Reiter ein echter Volltreffer. Sie stehen an erster Stelle, ihr Wohl über seinem. Und wenn er schlecht gelaunt ist? Dann steigt er nicht aufs Pferd, „niemals!“ Das ist seine Devise. „Dem Pferd muss es gut gehen“, sagt er. Man glaubt ihm.

Entspannung finden die Springpferde des Hugo Simon auf Spazierritten. Nur der freie Koppelgang hat sich für seine Sportpferde nicht bewährt. Zu groß ist die Gefahr von Verletzungen, „die sind viel zu temperamentvoll. Wenn kein Reiter sie bremst sind Beine und Hufe immer in Gefahr.“ Zum Grasen und Seele baumeln lassen geht es daher lieber an der Hand der PflegerInnen. Reitet Hugo Simon zu Hause ebenfalls aus oder macht er das nur in den Rocky Mountains? Sein ganzes Gesicht leuchtet ob der Erinnerung an seinen Ritt durch die kanadische Wildnis, den er anlässlich seines 65. Geburtstages mit seinen beiden besten Freunden verwirklicht hat. „Jaa, das war schön!“ strahlt er noch heute. Und natürlich reitet er seine Pferde zu Hause auch mal spazieren „nach der Arbeit, denn das brauchen die einfach!“

Seine Pferde müssen Persönlichkeiten sein und siegen wollen. „Das will nicht jedes Pferd, manchen ist es egal“, stellt er klar. Er pflegt einen fairen Umgang mit den Pferden, belohnt sie nach der Prüfung immer selbst. Sie kennen ihn und halten Ausschau nach ihm. Selbst die scheuen Charaktere wie Ukinda einer war, kommen bald gelaufen, wenn der Meister ruft. Persönliche Beziehungen sind extrem wichtig, zu Pferden wie zu Kindern betont er. Kurz spricht er von seiner Frau Margit, die er kürzlich geheiratet hat. Die Glückwünsche nimmt er mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken entgegen. Damit ist der Ausflug in sein Privatleben auch schon zu Ende.

Der private Hugo Simon ist nicht greifbar. Man weiß, dass er nicht des Geldes wegen reiten muss. Als erfolgreicher Unternehmer genießt er den Luxus der Unabhängigkeit und der freien Entscheidungen. Hugo Simon ist Vater von drei Kindern, Tochter Conny und Sohn Philipp aus der Ehe mit Gabi sind bereits erwachsen. Seine Tochter Marie Estelle aus einer anderen Verbindung geht noch zur Schule.

Spring- und Tischmanieren

Zurück zu den Pferden. In Preding hat Hugo Simon den schweren Parcours mit Caldato und C.T. eindrucksvoll absolviert. Beide Pferde bleiben fehlerfrei – ein Sieg, ein fünfter Platz. Der Mann ist und bleibt eine Klasse für sich. Woher das kommt? Von viel harter Arbeit und den vielen unterschiedlichen Pferden, die er im Laufe seiner Karriere geritten hat. „Man lernt von jedem Pferd etwas.“ Wobei ihm die temperamentvollen die lieberen sind. Stute, Hengst, Wallach, das ist egal. Die Stuten seien halt Stuten. Zyklusabhängig? Er nickt – und die Hengste gehören in der Tat nur in professionelle Hände. Es passieren halt immer wieder schlimme Unfälle, wenn Hengste außer Kontrolle geraten. „Man muss streng sein und immer auf der Hut“.

Streng hält es die Springreitikone auch mit Ordnung und Sauberkeit: „Alles muss schön sein!“ Ein sauber planiertes Viereck, ein ordentlich ausgerüstetes Pferd – das gehört bei ihm einfach dazu. Stil und ein gepflegtes Auftreten sind im wichtig, sei es beim Reiten oder einem guten Essen, das ebenfalls auf einen schön gedeckten Tisch gehört und zu dem man entsprechend angezogen geht. „Falsch gekleidet fühlt man sich dann gar nicht wohl, oder?“ Mit einer ausholenden Armbewegung weist er auf seine Turnierausstattung: alles picobello, auf den Seitenwänden des LKW und der Turnierkisten prangen in goldenen Lettern auf rotem Untergrund Name und Initialen des Hugo Simon. Rote Autos mag er besonders, war in einem der zahlreichen Interviews zu lesen.

Bei der Siegerehrung in Preding gibt’s eine blaue Schleife. Hinter der siebzigjährigen Springikone reitet der zweitplatzierte Nachwuchsreiter Thomas Reif zur Siegerehrung ein. Wie der Zufall es will, ist auch er der Sohn eines Pferdehändlers, hat die Möglichkeit, viele Pferde zu reiten. Ob er hier Potenzial sieht? Hugo Simon bleibt diplomatisch und wünscht dem österreichischen Springsport „noch viele Hugos und Frühmanns!“ Gefragt nach der Turnieratmosphäre, an die er sich am allerliebsten erinnere, antwortet Hugo Simon mit einer weiteren unverfänglichen Aussage. „Am schönsten ist das Reiten bei mir zu Hause“, sagt er mit großem Nachdruck.

Zu Hause in der deutschen Pfalz, da war Hugo Simon in seiner aktivsten Zeit wenig. Rund 45 Wochenenden pro Jahr hat er auf den großen Turnierplätzen dieser Welt verbracht. Für seine Reiterkollegen ist er seit vier Jahrzehnten ein ganz Großer, gerne gesehen auf den Parcours dieser Welt, ein Zugpferd für Veranstalter. Einer, der es versteht, alt und jung zu begeistern, weil „immer gute Stimmung ist, wenn der Hugo da ist“, wie Mario Bichler dem Altmeister Lorbeeren streut. Siegertypen mag man eben.