Lena Binder ist erst 19 Jahre jung, lässt aber seit Jahren immer wieder mit Top-Platzierungen bei wichtigen Events aufhorchen. Im Mai hatte sich die Wienerin mit einem 5. Platz im Weltcup-Grand-Prix von Szilvásvárad (HUN) über 1,55 m sogar die Olympiaqualifikation für Paris erritten. Erst am vergangenen Wochenende reüssierte Binder anlässlich des CSI Arena Nova im Final der Silver Tour, ritt alle ihre älteren Kollegen an die Wand und sicherte sich auf L-Tangelo‘s Boy den Sieg in diesem Weltranglistenspringen über 1,45 m.
Sporteinstieg aufgelegt
Dass die junge Frau ihren Weg in den Springsport finden würde, scheint aus heutiger Sicht kaum verwunderlich, denn ihre Mutter Ingrid Binder ist begeisterte Amateurreiterin und ihr Vater Anton Martin Bauer aus der heimischen Springsportszene kaum wegzudenken. Als zweifacher Olympiateilnehmer und sechsfacher Staatsmeister übernahm er 2011 die Verantwortung für die sportlichen Erfolge der österreichischen Junioren und Children für den OEPS und führte das Children-Team 2012 zu einer EM-Silber- und 2014 zu einer EM-Gold-Medaille.
Die Förderung des springbegeisterten Nachwuchses war dem Erfolgsreiter immer schon ein großes Anliegen, umso mehr bei der 2005 geborenen eigenen Tochter. „Eigentlich saß ich auf dem Pferd, bevor ich gehen konnte“, erzählt Lena. Zuerst auf Shetti Charly, auf dem sie schon mit zwei Jahren täglich ritt – natürlich mit Hilfe von Erwachsenen. Zu ihrem fünften Geburtstag bekam sie dann Pony Rosi geschenkt – ein großartiger Anblick, denn es war über und über mit roten Herzstickern verziert. Doch so schön das Pferdchen auch war, als die Festgäste alle gemeinsam „Happy Birthday“ anstimmten, nahm Lena Reißaus.
Die ersten Reitstunden mit Papa und Rosi gefielen ihr im Gegensatz dazu deutlich besser, denn da lernte sie richtig reiten, das Pony auch im Trab und im Galopp selbst zu führen und erste Sprünge über 70 cm zu meistern. Tief in Lenas Erinnerung eingeprägt hat sich auch die erfahrene Fuchsponystute Lady Foxx, mit der nach dem Reiterpass auch der Einstieg in den Pony-Turniersport gelang. Mit ihr hatte das damals achtjährige Mädchen die ideale Partnerin für erste Parcours, und so stellten sich auch schnell erste Erfolge ein. Bereits 2014 gab es eine Silbermedaille mit dem niederösterreichischen Ponyteam bei der Österreichischen Meisterschaft. Und weil alles so gut lief, startete die zehnjährige Lena bereits 2015 auch auf Großpferden.
Die besten Lehrmeister
„Ich habe es wirklich meinem Papa zu verdanken, dass ich immer sehr gute und vor allem sehr verlässliche Pferde zur Verfügung hatte, von denen ich immens viel lernen konnte“, so Lena. Eine davon war die Stute Imany van de Middlestede, auch Mimi genannt. Sie gab dem Mädchen die notwendige Sicherheit, um auch Höhen bis zu 1,40 und 1,45 m zu springen. Den Einstig in den internationalen Springsport ermöglichte ihr aber dann der Wallach Lancelot TN, den sie vom besten Freund ihres Vaters, Axel Wöckener, zur Verfügung gestellt bekam. Mit ihm bestritt sie 2017 auch ihre erste Children-Europameisterschaft in Šamorín (SVK). Später durfte Lena dann auch den Hengst Viper Van Huize Ruisdael reiten, mit dem ihr Vater erfolgreich im Casino-Grand-Prix gestartet war. „Die Zeit mit diesen Pferden hat mich sehr geprägt und mir unzählige wertvolle Erfahrungen beschert“, zeigt sich die Berufsreiterin noch heute dankbar. „1,40 m waren für mich damals wirklich hoch, das ging nur mit Pferden, zu denen ich absolutes Vertrauen hatte.“
Neben guten Pferden waren auch Fleiß, Disziplin und Durchhaltevermögen vonnöten, um heute, mit nur 19 Jahren, im großen Springsport Fuß zu fassen. Und den eigenen Vater zum Trainer zu haben, birgt neben vielen Vorteilen manchmal auch ein bisschen Konfliktpotenzial. „Papa ist ganz allgemein beim Training sehr genau, da wird jede Kleinigkeit gesehen und korrigiert. Bei mir war er dann noch ein bisschen strenger und ehrgeiziger. Das ist manchmal nicht so einfach in so einer Vater-Tochter-Konstellation. Aber ich habe bald begriffen, dass er immer nur das Beste für mich will und ich sicher nicht so weit gekommen wäre, wenn ihm meine Fehler egal wären. Deshalb funktioniert das gemeinsame Training bis heute immer noch super!“, gesteht Lena Binder. Wenn ihr Vater einmal keine Zeit hat, hilft Christian Schranz aus. Auch auf den Abreiteplätzen sind die beiden oft miteinander zu sehen.
Über den Tellerrand
2020, als Lena den Umstieg ins Juniorenlager geschafft hatte, verbrachte sie eineinhalb Monate in Nordrhein-Westfalen auf der Anlage von Axel Wöckener. Der international erfolgreiche Springreiter hat sich die Ausbildung besonders talentierter Springpferde zur Aufgabe gemacht – da konnte die damals 15-Jährige eine Menge lernen. Mit ihrem Spitzenpferd Viano Z, dem Nachkommen ihres hochgeschätzten Hengstes Viper, hatte sie sich für ihre Zeit in Deutschland das Ziel gesteckt, mehr Erfahrung und Sicherheit über größere Höhen zu gewinnen. Aber der Einblick in das Training der jungen Pferde und die Möglichkeit, auch einige von ihnen zu reiten, erwiesen sich ebenso als unbezahlbar. „Ich habe unglaublich viel von dort mitgenommen und dazugelernt und konnte in der eigentlich kurzen Zeit auch viele Freunde gewinnen. Es hat mir großen Spaß gemacht!“, erinnert sie sich.
Der 2011 geborene Viano Z entwickelte sich zu Lenas absolutem Herzenspferd. Schon vierjährig kam er zu ihr in den Stall. „Er war zwar unglaublich sensibel, aber trotzdem leicht zu reiten. Er hat mir so eine Sicherheit gegeben, dass ich es leicht in höheren Klassen geschafft habe. Er vermittelte mir immer das Gefühl, dass ich ihn gegen jedes Hindernis reiten könnte – er würde es springen. Es hätte zwar passieren können, dass er einen Fehler macht, aber er hätte niemals aufgegeben. Wir hatten so eine starke Bindung – er hat immer auf mich aufgepasst. Das Einzige, was mit ihm unmöglich war: über einen Sprung zu reiten, neben dem ein Mensch stand. Ging der zwei Schritte weg, war wieder alles in Ordnung. Ich habe das irgendwie verstanden und mich darauf eingestellt.“ Leider erlitt Viano Z im heurigen Jänner einen tragischen Unfall, bei dem er sich das Bein brach und eingeschläfert werden musste. Ein schwerer Schlag für Lena!
Immer das Beste geben
Für große Parcours hat Lena Binder zurzeit nur die 13-jährige Contendro-I-Tochter Celina zur Verfügung. Aber die Schimmelstute macht sich ganz ausgezeichnet bis in Höhen von 1,55 m. Das bewies sie in den vergangenen Monaten mehrfach, besonders eindrucksvoll aber in Ungarn, wo Lena im Weltcupspringen über genau diese Höhe den fünften Platz bei 44 Starter:innen holte und viele erfahrene Profis hinter sich ließ. Ganz nebenbei schaffte sie mit diesem Ergebnis auch die Qualifikation für Paris.
Wie geht es einer noch so jungen Reiterin vor und während einer so großen, herausfordernden Aufgabe? „Ich bin vor einem solchen Parcours immer sehr nervös. Ich weiß, ich schaue von außen nicht so aus, aber wenn man sozusagen als Küken inmitten der Elite reitet, überlegt man schon, was die Leute so über einen denken. Trotzdem bin ich natürlich unglaublich froh und dankbar, dass ich trotz meiner jungen Jahre bei solchen Events dabei sein darf und gute Ergebnisse bringen kann. 1,55 m – das ist schon hoch und so ein Parcours eine Leistung. Aber ich weiß auch, dass ich fleißig war und viel dafür gearbeitet habe, damit so etwas gelingen kann.“
Lena Binder hofft in naher Zukunft auf die Möglichkeit, ihren ersten Parcours über 1,60 m in Angriff nehmen zu können. „Ich reite immer mit der Einstellung, dass ich mein Bestes geben möchte. Wenn es dann doch in die Hose geht, weiß ich, dass das jedem passieren kann. Selbst wenn ich in einer solchen Prüfung drei Stangen runterräume, ist es eigentlich egal, denn die Erfahrung kann mir keiner mehr nehmen. Es ist allein schon eine unglaubliche Chance, bei einem Vier-Sterne-Turnier den Besten bei ihrer Vorbereitung zuzuschauen!“, erklärt Lena ihre Motivation. Mit Celina hätte sie auch dafür die perfekte Partnerin. Die spielt zwar manchmal ein bisschen die Diva, aber dennoch vertraut ihr die junge Reiterin blind.
Neben dem Sammeln von Erfahrungen in den höheren Klassen hofft Lena Binder auf eine Entsendung zur U21-Europameisterschaft im Juli in Kronenberg (NED). Mit Viano Z bestritt sie eine weitere EM in der Altersklasse Children 2019 und zwei als Juniorin in den Jahren 2021 und 2023. Nun stünde ein Championat in der Abteilung der Jungen Reiter am Programm. Aber auch als Ersatzreiterin nach Paris würde sie sehr gerne fahren – sollte sie gefragt werden. „Was wäre das für eine abnormale Erfahrung!“, kommt sie ins Schwärmen.
Jede Menge Arbeit
Natürlich steht zu Hause indes die ganz normale, tägliche Arbeit an. Seit ihrem Schulabschluss 2023 an der Leistungssportschule St. Pölten reitet sie auf der heimatlichen Anlage, dem Equo Reitsportzentrum in Zwentendorf, durchschnittlich acht Pferde pro Tag. „Ich habe acht Turnierpferde und wir züchten jedes Jahr sieben Fohlen. Im Moment haben wir 16 Drei- und Vierjährige im Stall, die ausgebildet werden. Ich muss außerdem mit meinen Pferden das Loch nach oben, zu Celinas Ausbildungsstand, schließen. Da gibt es viel zu tun!“ Von acht bis 18 Uhr verbringt die Berufsreiterin ihre Tage im Stall. Wenn der Sommer naht, werden die meisten Trainingseinheiten auf die frühen Morgenstunden verlegt, damit man möglichst vor der heißesten Zeit wieder fertig ist.
Daneben überlegt die engagierte junge Frau, die Möglichkeit für Kadermitglieder zu nutzen und die Matura von zu Hause aus zu machen. Das würde aber nach zehn Stunden im Stall und diversen Turniereinsätzen im In- und Ausland jede Menge Selbstdisziplin von ihr fordern. Ihre Mutter würde eine solche Entscheidung jedenfalls begrüßen, denn so stünden Lena alle beruflichen Wege offen. „Ich sehe das eigentlich genau so“, erklärt Lena, denn schließlich kann sie heute noch nicht mit Sicherheit sagen, ob sie nicht in ein paar Jahren vielleicht doch noch Medizin studieren will.
Wenn sie aber heute die Augen schließt und sich ihre Zukunft vorstellt, spielen Pferde und der Springsport die Hauptrollen. „Es wäre schon mega cool, Parcours über 1,60 m zu reiten und mein Bestes für Österreich zu geben. Einfach alles, was möglich ist, rauszuholen. Dafür wäre es auch toll, noch einmal in einem anderen Ausbildungsbetrieb im Ausland Erfahrungen zu sammeln“, träumt Lena vor sich hin. Und es ist ganz offensichtlich, dass ihr Sprung in genau diese Richtung schneller, als man denkt, zur Realität werden könnte.