Zucht

Der Trakehner bleibt

Ein Artikel von Eva Schweiger | 19.10.2023 - 17:21
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Der Trakehner ist lebendiges Kulturerbe: geschichtsträchtig und zugleich sehr zeitgemäß. © Katharina Knapp

Sie dürfen sich als die älteste Reitpferderasse Deutschlands bezeichnen, ihre Abstammung lässt sich lückenlos bis ins frühe 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Bis heute sind sie die einzige reingezüchtete Sportpferderasse Europas, und das, obwohl ihre Population nach dem Zweiten Weltkrieg schlagartig auf kaum 1000 Tiere zusammenbrach. Anfang des Jahres 2022 wurde ihre Zucht gar zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands ernannt: die Trakehner. Heute moderne, rittige und sehr talentierte Sportpferde, damals weltbekannte Kavallerie- und Reitpferde von bester Qualität. Ursprünglich eine ostpreußische Rasse, heute auch in Österreich zu Hause – zum Beispiel im steirischen Gestüt Murtal (trakehnergestuet-murtal.at), geschaffen vor genau zehn Jahren von Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz, 280 Jahre nach Eröffnung des ostpreußischen Hauptgestüts Trakehnen im Jahr 1732.
 

Vergangenheit: Pferde von Weltruhm

Damals erhielten die Pferde, die in Ostpreußen schon seit dem 13. Jahrhundert gezüchtet worden waren, ihren heutigen Namen und das bis heute bekannte Brandzeichen, die Elchschaufel. Ende des 19. Jahrhunderts schließlich war die Trakehner Pferdezucht bereits weltweit berühmt und geschätzt, Trakehner wurden sogar nach Amerika, Afrika und Asien exportiert. Etwa 1000 Pferde lebten im Hauptgestüt, dessen Zuchtagenden – ganz nach sprichwörtlich preußischer Manier – präzise aufgezeichnet wurden. Auch die Pferde prüfte man systematisch auf ihre Leistung und legte höchsten Wert auf Charakter und Reiteignung, das Fundament der seit damals auf diese Werte selektierenden Trakehnerzucht.

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Das weltberühmte Bandzeichen der Trakehnerpferde: die Elchschaufel © www.Slawik.com

Die härteste aller Prüfungen sollte für die Trakehner dann jedoch die Zeit der Weltkriege werden. Schon im Ersten Weltkrieg wurde das Hauptgestüt evakuiert, ein Großteil der Pferde konnte im Westen in Sicherheit gebracht werden, das Gestüt allerdings wurde schwer beschädigt. Nach dem Krieg ging es an den Wiederaufbau von Gestüt und Zucht, nun aber unter anderen Voraussetzungen: Statt fürs Militär sollten die Trakehner im Reitsport ihre Fähigkeiten zeigen. Und das gelang sehr erfolgreich, die olympischen Medaillen 1936 zum Beispiel gingen in großer Zahl an Trakehner.

Dann aber kam der Zweite Weltkrieg, dessen letzte Monate für die ostpreußische Bevölkerung und ihre Pferde zu einer regelrechten Apokalypse wurden. Auf der Flucht vor der Roten Armee Richtung Westen, die gezwungenermaßen viel zu spät und unter widrigsten Umständen vor sich ging, verloren unzählige Menschen und Pferde ihr Leben. So gelangten von den 27.000 Zuchtpferden, die damals im Trakehner Zuchtgebiet registriert waren, nur etwa 1100 in Sicherheit auf heutiges deutsches Bundesgebiet. Die Stutbücher sowie die besten Trakehner Zuchtstuten und Beschäler wurden nach Russland gebracht, wie auch später noch weitere Pferde aus der geretteten Population. Die wenigen endgültig in Deutschland verbliebenen Trakehner waren zu allem Unglück außerdem in alle Winde zerstreut – an eine geordnete Weiterzucht wäre nicht zu denken gewesen, hätten sich nicht einige vertriebene Pferdeleute das hehre Ziel gesetzt, die Pferderasse ihrer Heimat wieder aufleben zu lassen. Man gründete 1947 den Trakehner Verband, der bis heute die Ursprungszucht und den Zuchtfortschritt sichert.

Als im März 2022 schließlich die Entscheidung fiel, die Trakehnerzucht zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands zu ernennen, jubelte der Verband über den Erfolg seiner mehrjährigen Bemühungen um die Auszeichnung. Der Trakehner – eine lebende Legende also. Aber absolut kein lebendes Fossil, kein Pferd fürs Museum, wie Anette Ganter, Gestütsleiterin des Trakehner Gestüts Murtal, betont: „Der Trakehner ist eine moderne, sportlich höchst leistungsfähige Rasse, die eine sehr lebendige, präsente Rolle im Reitsport der Gegenwart spielt. Die Ernennung der Trakehner Zucht zum immateriellen Kulturerbe sehe ich da, ehrlich gesagt, eher kritisch, da das Trakehnerpferd kein verstaubtes Kulturerbe und auch nicht als solches gesehen werden soll!“

Die Reinzucht in ihrer althergebrachten Form zu erhalten, und damit auch die kulturhistorische Bedeutung der Rasse, ist unbestritten ein Hauptanliegen der heutigen Trakehnerzüchter:innen. Zugleich gilt es nun aber auch, die Geschichte weiterzuschreiben, die Reiter:innen von heute auf den Geschmack des Trakehners zu bringen, und die Eignung des Trakehners für den modernen Reitsport züchterisch zu sichern. Nur so wird er auf Dauer weiterhin Bestand haben können.

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Der Trakehner gilt bis heute als Reitpferd bester Güte. © Katharina Knapp

Gegenwart: Neue Heimat

Der Mythos Trakehner übt bis heute große Faszination aus. Die Geschichte dieser heimatlosen, vertriebenen Rasse, die nur knapp ihrem Aussterben entrinnen konnte, hat auch Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz in ihren Bann gezogen. Nur wenige Tage nach seinem Tod am 22. Oktober haben wir das Gestüt Murtal besucht. Es war sein persönliches kleines Paradies, der Ort, an dem er seiner Leidenschaft für die Pferde, ganz besonders aber für die Trakehner, ein Zuhause gab. 2012 erwarb er am Trakehner Hengstmarkt seine ersten neun Trakehner und gründete für sie ein Gestüt in der Steiermark. Eine urdeutsche Rasse in Österreich? „Eigentlich schließt sich damit ein Kreis“, erzählt Anette Ganter. „Für die Urbarmachung des sumpfigen Waldgebiets in Ostpreußen, das später dann zur Heimat des Trakehners wurde, hat König Friedrich Wilhelm I. nämlich einige Hundert vertriebene Salzburger Protestanten in Ostpreußen aufgenommen. Sie siedelten sich dort an und züchteten auch Pferde. Die Trakehner haben also tatsächlich eine historische Verbindung zu Österreich.“

Die FN-Pferdewirtschaftsmeisterin und Zuchtrichterin übernahm Anfang 2013 die Leitung des Gestüts Murtal und steht operativ und strategisch hinter Mateschitz’ Vision, die Rasse auf höchstem Qualitätsniveau und immer im Sinne des Pferdewohls zu züchten. Sie lebt und arbeitet am Gut Admontbichl, dem Hauptstandort des Gestüts oberhalb des steirischen Ortes Obdach. Die ersten angekauften Pferde kamen 2012 noch am Murhof in Großlobming, wenige Kilometer vom Red-Bull-Ring in Spielberg entfernt, unter. Heute ist der Murhof das Reich der Bereiter:innen des Gestüts, die hier die Nachwuchspferde trainieren und bis in die höchsten Klassen der Dressur fördern. Eine große Reithalle und ein Außenreitplatz mit den Maßen 50 mal 100 Meter, sechs Hektar Koppeln und Weiden, ein Stuten- und ein Hengststall mit insgesamt 35 Boxen gehören zu dieser Anlage, die direkt neben dem Schloss Großlobming, heute als Hotel genutzt, liegt.

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Gestütsleiterin Anette Ganter mit dem gestütseigenen Oldenburger Deckhengst For Austria © Katharina Knapp

2016 schließlich waren dann die neuen Gestütsgebäude rund um das historische Schloss Admontbichl fertiggestellt, und die Zuchtstuten und Jungpferde bezogen ihr neues Zuhause. 45 Hektar Land bieten hier Platz für eigene Heuproduktion, ausgedehnte Weiden, großzügige Ställe sowie Führanlage, Longier-, Bewegungs- und Reithalle. Die historische Bausubstanz des Schlosses Admontbichl – einer ehemaligen Außenstelle des Stifts Admont, erstmals erwähnt im 11. Jahrhundert – und einiger Nebengebäude wurde behutsam restauriert und gesichert. Die neuen Gebäude sind zu einem großen Teil aus Holz errichtet, die Ställe hell, luftig und sehr geräumig. Durch die Stallgassen gehen wir auf unserem Rundgang über säuberlich gefegtes Holzstöckelpflaster, die Pferde heben gelassen interessiert die Köpfe vom abendlichen Heu. Über den Türen verraten die Boxenschilder ihre Namen, Geburtsdaten und Abstammungen – nur ein paar von vielen Details, die zeigen, wie sehr jeder einzelne Teil des kleinen Gestütskosmos hier geachtet und geschätzt wird.

Anette Ganter und ihre Assistentin Katharina Knapp können zu jedem Pferd eine Geschichte erzählen, sie kennen die Leistungen, die herausragenden Ereignisse und Erfolgsgeschichten, genauso aber auch die Missgeschicke und tragischen Momente jedes Pferdelebens. Als die Mutterstuten mit ihren Fohlen für die Nacht in den Stall geführt werden, stellen sie die kleinen Nachwuchsstars voller Stolz vor. Und tatsächlich: Schon die Jüngsten unter den Trakehnern haben eindeutig das gewisse Etwas, das besondere Quäntchen Adel und Wachheit, das die Rasse für ihre Kenner:innen so unvergleichlich macht.   

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Das historische Gut Admontbichl bei Obdach (Steiermark) ist einer der beiden Standorte des Gestüts Murtal. © Katharina Knapp

Zukunft: Für das Pferdewohl

An hervorragenden Leistungen, an Medaillen, Schleifen und Pokalen hat sich in der kurzen Zeit, die die Trakehner Zucht im Murtal nun besteht, bereits eine beeindruckende Menge angesammelt. Qualität, bewiesen auch durch sportliche Leistungen, geht für Zuchtleiterin Anette Ganter vor: Alle zur Zucht eingesetzten Stuten sind leistungsgeprüft und prämiert, und ihre erfolgreiche Vorstellung im Sport ist Ganter ein wichtiges Anliegen. Es ist schließlich ein offenes Geheimnis, dass gerade die Mutterlinien für die Qualität jeder Zucht ausschlaggebend sind, und in der Trakehnerzucht wird sowieso seit jeher ganz besonderes Augenmerk auf die Stutenfamilien gelegt. Sogar die Namensgebung orientiert sich bei den Trakehnern am Weiblichen: Die Fohlennamen müssen mit dem Anfangsbuchstaben der Mutter beginnen.

Das einzige 2022er Stutfohlen des Gestüts, Kaja Rouge aus Dietrich Mateschitz’ erklärter Lieblingsstute Kajana, sowie der Hengstanwärter Prior aus der Perlmutt (seit diesem Jahr Elitestute und mehrfach siegreich bis S**) und Nordstream aus der Nordlicht (2020 Beste der vierjährigen und älteren Trakehnerstuten des Zuchtbezirks Bayern/Österreich) wurden allesamt bei der Fohlenmusterung mit Prämienpunktezahlen bewertet. Diese Erfolge zeigen, dass das Zuchtkonzept des Gestüts aufgeht, und noch viel mehr, dass die Trakehner ihren Platz im modernen Pferdesport verdienen.

Das immer wieder vor aller Augen zu beweisen, ist Aufgabe der am Gestüt beschäftigten Bereiter:innen Friederike „Hexe“ Schulz-Wallner, Ewald Streicher und Barbara Strubreiter. Unterm Sattel haben die drei hier allerdings nicht ausschließlich Trakehner. Zum Beispiel auch der gekörte Oldenburger Hengst For Austria (For Romance x  Diamond Hit), seine Rassegenossin Wolkenspiel (Vitalis x Ampère), die 2022 in den Brillantring der vierzehn Besten der Oldenburger Stutenschau in Rastede (GER) einzog, oder der vielversprechende AWÖ-Nachwuchs Double Win aus den gestütseigenen Eltern Double Hit und Himbeere werden von ihnen gefördert.

Ohne sich also allzu sehr auf die Trakehner zu begrenzen, versucht man vor allen Dingen, Pferde unter den bestmöglichen Bedingungen aufwachsen und ihr Potenzial entfalten zu lassen. Das sah auch Dietrich Mateschitz so. „Unserem Chef ging es nie um die Erfolge. Er wollte vor allen Dingen, dass es den Pferden gut geht. Darum hat er auch nie Reitsportler gesponsert – er hat immer gesagt: 

Ein Mensch kann selbst entscheiden, wie weit er im Sport geht, ein Pferd nicht.


Dietrich Mateschitz

Die sportliche Förderung unserer Pferde war für ihn absolut nebensächlich, im Vordergrund stand immer das Pferdewohl.“ Darum war und ist man auch bei den Verkäufen der Zuchtprodukte wählerisch: Die wenigen Pferde, die pro Jahr zum Verkauf stehen, gehen nur an beste, handverlesene Plätze, und der Kontakt zu den neuen Besitzer:innen wird langfristig gepflegt.

Dass die Pferde rundum gut versorgt werden, war Dietrich Mateschitz’ Hauptanliegen. Das soll auch weiterhin Geltung haben: Anette Ganter und ihr Team wollen das Gestüt im Sinne des Gründers weiterführen, auch wenn „mit ihm eine große Quelle an Motivation und Inspiration verloren gegangen ist“. Seine Visionen aber bleiben lebendig: Dietrich Mateschitz initiierte noch im Jahr seines Todes die Planung einer EU-Besamungsstation in Fohnsdorf zur Nutzung der eigenen Hengste sowie mit Platz für bis zu zwanzig Gaststuten, die hier in Zukunft unter besten Bedingungen zur Besamung oder zum Abfohlen aufgestallt werden können. Auch eine moderne Pferdeklinik wird auf dem weitläufigen Areal entstehen. „So lief es immer ab: Er hat uns gefragt, was die Pferde brauchen, oder welche Ideen wir hatten, und dann sagte er: ‚Dann macht’s mal.‘“

Diese Visions- und Tatkraft ist es, die an Dietrich Mateschitz selbst und an seinen Projekten fasziniert hat. Und Faszination ist es auch, der er mit seinem Trakehner Gestüt ein Denkmal setzte: der Faszination für das Pferd, aber auch dem Wohl der Pferde. Ein Erbe, das inspirierender nicht sein könnte!   

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Trakehnerliebhaber Dietrich Mateschitz mit seiner Lieblingsstute Kajana ©www.Slawik.com

Buchtipp

Auf eine Reise durch die vier Jahreszeiten im Gestüt entführen Anette Ganter und Katharina Knapp in ihrem 2021 erschienenen Bildband  „Trakehner – Gestüt Murtal: Edle Pferde im Land der Zirben“. In vielen Fotografien und wenigen Worten lernt man in diesem Buch die Pferde kennen, die dort ihre Heimat gefunden haben – aber nicht als namenlose Menge, sondern jedes ganz individuell: Da tobt die junge Harfenspiel durch den tiefen Schnee, galoppiert der übermütige Rauhreif über eine Frühlingswiese, schnaubt die hübsche Himmelsrose in die Kamera. Jedes hat eine ganz besondere Ausstrahlung, jedes eine eigene Geschichte. Und auch wenn es die Geschichte der Trakehnerrasse und des Gestüts Murtal sind, die auf den ersten Buchseiten ausführlich beschrieben werden, während jene der Gestütspferde sich auf wenige Stichworte beschränkt, so hat man doch das Gefühl, sie auf diesen knapp 250 Seiten kennenzulernen. Die optische Aufmachung unterstreicht das Flair der Bilder: gedeckte Farben, schwarze Schrift auf grauen Seiten am Anfang und Ende des Buchs. Statt Hochglanz und spektakulärer Showmomenten gibt es stimmungsvolle Panoramen und poetische Zitate.  Vom wenige Tage alten Fohlen bis zum erstmals siegreichen Nachwuchs-Sportpferd zeigt das Buch so den Werdegang der steirischen Trakehner. Das Hauptaugenmerk aber liegt auf den freien, ausgelassenen, wilden oder auch friedlichen Momenten auf der Weide und im Stall – auf dem eigenen Leben der Pferde eben. Ein Band zum Träumen und Genießen!

Ganter, A. & Knapp, K.: Trakehner – Gestüt Murtal: Edle Pferde im Land der Zirben. Benevento Verlag Salzburg 2021, 243 Seiten, gebundene Ausgabe 35 Euro, ISBN-13 9783 71090 1393