Die Vorstellungen von einem gelungenen Ausritt können zwischen Pferd und Reiter stark differieren. Der häufigste Streitpunkt betrifft das Tempo. Während der erholungsuchende Ausreiter im gemächlichen Tempo entspannen möchte, findet so manches Pferd ein paar hundert Meter Renngalopp erst so richtig befreiend.
Von der pferdischen Begeisterung für schnelle Bewegungen einmal abgesehen, gibt es aber noch andere Gründe, warum Pferde schneller werden als vorgesehen. Ist der Vierbeiner gegenüber sämtlichen reiterlichen Hilfen völlig unempfänglich, spricht man vom Durchgehen.
Ein im Galopp durchgehendes Pferd stellt für den Reiter, sich selbst und Dritte eine große Gefahr dar. Wenn ein Pferd plötzlich losprescht, gibt es oft kein Halten mehr. Ist es passiert, ist Ursachenforschung wichtig, um so einen Ausbruch in Zukunft vermeiden zu können.
Meist ist Angst oder Erschrecken der letzte Auslöser vor so einem Run ins Ungewisse. Deshalb hilft jegliche Form von Schreck- und Gelassenheitstraining - nicht nur dabei, das Pferd mutiger zu machen, sondern auch dabei, zu lernen, in Angstsituationen auf den Menschen zu hören und nicht sofort dem natürlichen Pferdeinstinkt der schnellen Flucht zu folgen.
Ein weiterer Faktor, der zum Durchgehen führen kann, ist Schmerz. Ein drückender Sattel, ein zu scharfes Gebiss und in manchen Fällen wohl auch ein grober Reiter bereiten dem Pferd Schmerzen und erhöhen seinen Stresslevel. Auch dadurch kann Panik und Fluchtinstinkt ausgelöst werden. Bei Durchgängern sollte man deshalb immer zunächst die Ausrüstung überprüfen und sich fragen, ob sie dem Pferd auch wirklich passt. Ein Pferd, das beim Anblick von Sattel oder Gebiss nervös hin und her trippelt, mit den Zähnen knirscht oder andere Stressanzeichen zeigt, hat vermutlich Schmerzen beim Reiten. Das schwächt natürlich sein Nervenkostüm und auch seine Neigung, sich artig zu benehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich den reiterlichen Hilfen entzieht oder plötzlich in Panik verfällt, steigt damit drastisch.
Übungen zur Tempokontrolle
Um zu jeder Zeit Herr über Gangart und Geschwindigkeit des Pferdes zu sein, sollten Reiter vor allem bei Vierbeinern mit ausgeprägtem Laufwillen gezielt an der Tempokontrolle arbeiten. Der Grundstein für dieses Training wird auf dem Reitplatz gelegt. Wer sein Pferd hier nicht im Griff hat, sollte das Reiten im Gelände besser auf die lange Bank schieben und vorerst noch im gschützten Umfeld der Reitanlage trainieren.
Ein braves Pferd im Viereck ist allerdings noch noch lange kein Garant für einen gelassenen Geländepartner. Denn für viele Pferde ist das Reiten draußen eine völlig andere Situation – was auf dem Viereck klappt, kann auf einem Feldweg schnell vergessen sein. Aus diesem Grund bieten sich Übungen an, die direkt im Gelände trainiert werden. Dabei handelt sich um eine Mischung aus Gehorsamkeits- und Gelassenheitsübungen. Es ist wichtig, sich dafür Zeit zu nehmen, denn mit Zeitdruck ist es nahezu unmöglich, selbst die Gelassenheit zu haben, die für so ein Training nötig ist.
Zunächst gilt es einen passenden Trainingsort zu finden. Man benötigt einen Weg, der sich auch als Galoppstrecke eignet, also eine Strecke, die weit fort von Gefahrenquellen wie Straßen oder Gräben ist und einen geeigneten Boden für einen schnellen Galopp bietet.
Um üben zu können, das Pferd unter Kontrolle zu halten, wenn ihm gerade nach rennen zumute ist, muss man eine Situation schaffen, in der das Pferd auch tatsächlich loslaufen möchte. Aus diesem Grunde macht man nun etwas, von dem man vielleicht gehört hat, dass man es nie machen soll: Man lässt das Pferd mehrmals hintereinander auf der ausgewählten Strecke galoppieren. Dadurch entsteht im Pferd die Erwartungshaltung, dass es dort immer galoppieren darf. Je größer sie ist, desto mehr werden die folgenden Übungen auch bewirken.
Zu Beginn soll das Pferd lernen, dass man die Galoppstrecke auch im Schritt bewältigen kann. Versuchen Sie, ganz ruhig zu bleiben, auch wenn Ihr Pferd aufgeregt ist. Denken Sie an den entspannten Reiterhintern, atmen Sie tief und langsam, denken Sie vielleicht auch an eine schöne, ruhige Musik, wenn Ihnen das hilft. Auch die Zügelführung sollte Entspannugn signalisieren. Gaukeln Sie Ihrem Pferd vor, dass Sie seine Aufregung gar nicht bemerken. Dennoch: bleiben Sie wachsam. Macht das Pferd einen Trabschritt oder versucht es sogar, anzugaloppieren, halten Sie es kurz zurück, gehen aber danach sofort wieder in Ihre Entspannungshaltung. Auch wenn Sie das häufig wiederholen müssen: bleiben Sie ruhig. Sie können auch mitten auf der Strecke eine Pause einlegen. Lassen Sie Ihr Pferd grasen oder kraulen Sie es ein wenig. Auch einmal abzusteigen und die Natur zu genießen, hilft dem Pferd zu verstehen, dass es jetzt nicht ums Rennen geht. Und wenn es wirklich zu nervös ist, um Schritt gehen zu können, dann führen Sie es die Strecke entlang. Und dann wieder zurück. Alles im Schritt. Wie oft Sie dafür üben müssen, kann sehr stark variieren.
Wenn das schließlich klappt, können Sie beim nächsten Mal folgende Übung ausprobieren: Auf der Galoppstrecke wird nun getrabt, mit langem Hals, möglichst losgelassen. Trab, wieder Schritt, wieder Trab, gemütliche Stehpause. Üben Sie dies abwechselnd und wenn möglich in beide Richtungen.
Wenn dies kein Problem mehr darstellt, darf beim nächsten Mal wieder galoppiert werden. Genauso ruhig wie im Trab, so losgelassen, wie es die Ausbildung des Pferdes zulässt. Gehen Sie die Strecke öfter hintereinander, mal im Trab, mal im Galopp. Parieren Sie das Pferd auf halber Strecke durch, gehen Sie ein Stück im Schritt weiter, dann galoppieren Sie wieder an – und so weiter. Das Pferd soll alle Gangarten auf dem Weg gehen können und sich jederzeit wieder durchparieren lassen. Üben Sie immer wieder, bis das Pferd die Strecke so akzeptiert, als wäre sie die Reitbahn.
Sibylle Ortner