Minimaler Aufwand, maximales Ergebnis: Ein solches Training wünscht sich vermutlich jeder – egal ob für sich selbst oder fürs Pferd. Die vom deutschen Horseman Michael Geitner entwickelte Equikinetic kommt diesem Ideal schon sehr nahe. Das zumindest sagt ein Feldversuch, den die Zeitschrift Cavallo 2013 zusammen mit 20 ReiterInnen in Stuttgart und München durchgeführt hat. Bereits nach wenigen Wochen Training hatte der Großteil der Pferde enorme Fortschritte gemacht. Die Pferde waren fitter, besser bemuskelt, und dicke Pferde hatten deutlich abgenommen. Was aber macht das Geitnersche Fitnesskonzept so besonders effektiv?
Equikinetic verknüpft Longenarbeit am Kappzaum mit modernsten Erkenntnissen aus der Sportmedizin. Das Zauberwort heißt High Intensity Intervall Training, kurz HIIT. „HIIT hat sich nicht nur beim Menschen zum Muskelaufbau bewährt“, erklärt Geitner, „auch die Pferde profitieren so sehr davon, dass Equikinetic inzwischen in vielen Kliniken zur Reha eingesetzt oder empfohlen wird.“
In der Praxis gestaltet sich das Training wie folgt: Die Pferde werden an der Longe in einer stabilen und kontinuierlichen Innenstellung und Biegung gearbeitet – für eine Minute lang. Danach kommt ein Handwechsel, gefolgt von einer 30 bis 45 Sekunden dauernden Pause, die entweder im Schritt oder im Stehen verbracht werden kann. Im Anschluss folgt eine weitere einminütige Arbeitsphase. Wer mit Equikinetic startet, beginnt mit acht Arbeitseinheiten, später werden sie auf maximal zwölf Stück aufgestockt. Auf jede Trainingseinheit folgt eine Pause von mindestens 48 Stunden, um den Muskeln die nötige Regenerations- und Wachstumsphase zu ermöglichen.
Kurz, knackig, nachhaltig
Intervalltraining hat gegenüber herkömmlichen Trainingsmodellen den Vorteil, dass ein effizienterer Muskelaufbau und eine gesteigerte Konditionsleistung in einem kürzeren Zeitraum erzielbar sind. Durch den periodischen Tempowechsel und die abwechselnde Muskelbelastung steigert sich die Leistung besonders effektiv. In den Pausen wird zwar die Herzfrequenz etwas niedriger, die Muskulatur hingegen erholt sich kaum. Der Körper versucht, die Stoffwechselbelastung und die starke Beanspruchung der Muskulatur dem Trainingsniveau anzugleichen. Das wiederum löst eine Stressreaktion aus, auf die der Organismus das nächste Mal vorbereitet sein will. Er reagiert mit Muskelwachstum und Konditionsaufbau.
Laut Geitner ist das Prinzip der Intervalle für das Pferd sofort total eingängig. „Pferde werden schon nach ein paar Einheiten auf den Pieps des Timers konditioniert. Nach der anstrengenden Arbeitsphase kündigt er die erlösende Pause an. Damit hat der Signalton einen belohnenden Charakter.“ Die fixe Zeitvorgabe hat noch einen weiteren Vorteil. „Der Mensch kommt nicht in Versuchung, die ohnehin gute Seite des Pferdes noch stärker zu arbeiten und die schlechte weiter zu vernachlässigen.“
Laut Geitner ist genau dieser Effekt für Equikinetic-Neulinge ein echtes Schlüsselerlebnis: „Da fängt man mit der guten Seite an, hört den Timer und denkt sich, das kann doch keine Minute gewesen sein. Auf der schlechten Hand meint man: Wann klingelt es denn endlich, die Zeit müsste doch schon längst um sein?“ Worin sich Equikinetic noch vom herkömmlichen Longieren unterscheidet: Das Pferd wird nicht auf einem gewöhnlichen 20-Meter-Zirkel in der Reitbahn gearbeitet, sondern in einem aus Dualgassen geformten Quadrat mit acht Metern Seitenlänge. Bei gleichmäßiger Innenstellung und Biegung entsteht darin automatisch ein regelmäßiger Kreis. Denn die Gassen liefern nicht nur eine gute optische Orientierungshilfe, sie verhindern auch wirkungsvoll ein nach innen Drängeln bzw. ein Ausscheren mit der Hinterhand. Und noch einen Vorteil hat das Gassen-Quadrat. „Durch die Quadratvolte haben Sie einen klar vorgegebenen Weg. Pferde werden Störungen von außen eher ausblenden und lernen, sich zu konzentrieren“, verspricht Geitner.
Die Ausrüstung
In der Equikinetic wird ausschließlich mit Kappzaum gearbeitet. „Ein Knotenhalfter ist nicht zum Longieren geeignet, auch eine Trense nicht“, findet Geitner. Über den Kappzaum lässt sich das Pferd präzise im Genick stellen, der Kopf wird gleichmäßig zur inneren Seite bewegt. Das empfindliche Pferdemaul bleibt dabei unbehelligt. Unverzichtbar sind auch die Dualgassen. Hier werden entweder vier Gassen zu je zwei Schläuchen oder vier Schläuche und zwölf Pylonen benötigt. Letztere funktionieren gut als äußere Begrenzung, wenn nicht genug Schläuche zur Verfügung stehen. Von der Verwendung gewöhnlicher Holzstangen rät Geitner dringend ab: „Wenn Pferde müde werden, stolpern sie gerne mal über die Ecken der Gassen. Mit Holzstangen ist die Verletzungsgefahr einfach zu groß.“
Um nicht ständig auf die Uhr schauen oder Runden zählen zu müssen, hat sich für das Intervalltraining die Verwendung eines Timers bewährt. Die gewünschte Zahl der Arbeitsphasen und Pausen lässt sich im Vorhinein eingeben, sodass man sich während des Trainings ganz auf sein Pferd konzentrieren kann. Mit der richtigen App (auf GooglePlay oder im Appstore gibt es reichlich Auswahl) kann heute jedes handelsübliche Smartphone gut als Timer genutzt werden. Eine Kurzlonge mit drei bis fünf Metern Länge und eine Touchieroder Bogenpeitsche komplettieren die Ausrüstung. Hilfszügel sind tabu. „Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass kein Pferd in einer auferlegten Zwangshaltung vernünftig arbeiten kann“, sagt Geitner. „Es soll lernen, reell von hinten nach vorne gearbeitet zu werden. Durch das vermehrte Untertreten der Hinterhand wird auch die gewünschte Kopf-/Halshaltung erreicht. Das Pferd soll in eine freiwillige Dehnungshaltung gelangen und jederzeit die Möglichkeit haben, eine stark brennende Muskulatur zu entlasten.“
Der Anfang
Für das Equikinetic-Training ist vorbereitende Bodenarbeit nicht zwingend notwendig. Nicht einmal das Longiertwerden muss das Pferd dafür kennen und können. Allerdings funktioniert die Methode besser, je klarer die Körpersprache des Menschen und je besser die Grunderziehung des Pferdes, besonders in Sachen Halfterführigkeit, ist. Die Erfahrungen aus seinen Kursen haben Michael Geitner gezeigt, dass das System „eigentlich ganz leicht zu erlernen ist, es braucht lediglich etwas Gefühl. Dann kann man es sich sogar aus dem Buch oder aus einem Video selbst erarbeiten“.
Die Technik
Ohne vorbereitende Übungen geht es also gleich zu Beginn in die Quadratvolte. Der Weg wird durch die ausgelegten Gassen vorgegeben. Mit ihrer Hilfe kann man sich leichter orientieren – und der Kreis wird auch tatsächlich rund. Das Pferd wird während des gesamten Trainings auf Schulterhöhe begleitet. Geitner nennt das „geführtes Longieren“. Anfangs bewegt sich der Mensch dabei noch relativ dicht am Pferd, ähnlich wie bei der Arbeit an der Hand. „Das geführte Longieren und die kurze Entfernung machen es möglich, schnell und präzise einzugreifen, um das Tempo zu regulieren“, erklärt er. In dieser Position gelingt es außerdem am leichtesten, die korrekte Innenstellung und Biegung durch die Einwirkung am Kappzaum herzustellen. Kleine Impulse mit dem Gertenknauf an der Schulter des Pferdes halten es auf Spur und verhindern, dass es auf die innere Schulter fällt. Derart geht es während der Arbeitsphasen zunächst im Schritt durch die Quadratvolte.
Auch wenn die Gangart auf den ersten Blick wenig dynamisch und kaum anstrengend wirkt, ist Equikinetic laut Geitner auch im Viertakt durchaus effektiv. Wichtig ist allerdings, dass das Pferd nicht lustlos dahinschlurft, sondern raumgreifend, fleißig und gleichmäßig mit ein bis drei Hufspuren Übertritt der Hinterhand voranschreitet und Stellung und Biegung über die gesamte Arbeitseinheit konstant aufrechterhält. Mit zunehmender Ausbildung wird das Training durch den Trab ergänzt. Der muss nicht von Beginn an kraftvoll und dynamisch sein, am Anfang ist genau jenes Tempo richtig, in dem es dem Pferd noch möglich ist, Stellung und Biegung zu halten. Hat es an Kraft und Balance gewonnen, lässt sich auch das Tempo steigern.
Galoppiert wird im Equikinetic-Training jedoch nicht. „Der Galopp ist hier ungeeignet und auch nicht nötig. Die meisten Pferde kommen im Galopp zwar irgendwie durch die Acht-Meter- Volte, die Gefahr einer Fehlbelastung ist dabei aber einfach zu groß“, findet Michael Geitner. Obwohl die Arbeit im Quadrat durch die relativ kurzen Arbeitsphasen und die vielen Pausen keinen besonders anstrengenden Eindruck vermittelt, mahnt Geitner vor einem übermäßigen Ehrgeiz des Pferdebesitzers. „Man sollte mit dem Training auf jeden Fall klein anfangen, sich langsam herantasten und das Pferd nicht überfordern.“ Beherzigt man diesen Rat, sei die Equikinetic „ein wahres Breitbandantibiotikum für diverse Probleme unter dem Sattel sowie für Jung-, Reha- und Sportpferde“.
Buchtipp
Equikinetic, das Longentraining im Quadrat mit Intervalltimer, ist so wirkungsvoll wie simpel. Es ermöglicht, nach einem einfach auszuführenden Trainingsplan zu arbeiten, und ist für jeden Reiter ein effektives Mittel, um sein Pferd gezielt zu fördern. Das Buch liefert alles Wissenswerte über das Intervalltraining à la Geitner, vom anatomischen Hintergrundwissen und sportmedizinischen Erkenntnissen bis hin zu detaillierten Erklärungen zu Ausrüstung, Technik und Trainingsaufbau.
Equikinetic
Pferde effektiv longieren
von Michael Geitner und Alexandra Schmid
168 Seiten, 25,60 Euro
erschienen und erhältlich bei Müller Rüschlikon
www.paul-pietsch-verlage.de