Mit der Wissenschaft ist das so eine Sache. Es gibt kaum ein Thema, zu dem es nicht Studien mit völlig unterschiedlichen Ergebnissen gibt. Das liegt zum einen an den unterschiedlichen Rahmenbedingungen, unter denen wissenschaftliche Arbeiten durchgeführt werden. Auch Methoden und Definitionen können bisweilen gravierend differieren. Und dann ist da auch noch der Faktor Mensch, der immer wieder für ein gewisses Maß an Subjektivität sorgt.
Insofern ist es also nicht weiter verwunderlich, dass es auch rund um den richtigen Zeitpunkt für den Trainingsbeginn von Pferden sehr unterschiedliche Ansichten gibt. Nicht nur unter Reitern, Züchtern und Pferdebesitzern, auch in der Wissenschaft.
Prof. Dr. Uta König von Borstel, angesehene Pferdewissenschaftlerin und Gründungsmitglied der Internationalen Gesellschaft für Pferdewissenschaften (ISES), wollte es genau wissen und hat in den Studiendatenbanken dieser Welt nach Arbeiten rund um die Thematik gesucht. Ihr Ziel war es, die vorhandene wissenschaftliche Literatur zu den Auswirkungen von Trainings- und Wettkampfstarts auf die Gesundheit und die Dauer der Leistungskarriere von Pferden zu überprüfen und zu analysieren. Ihre Literaturrecherche brachte 21 Studien hervor, die sich mit dem kontroversen Thema auseinandersetzen. Die Ergebnisse hat Uta König von Borstel in einer Metaanalyse ausgewertet und ist dabei auf durchaus überraschende Erkenntnisse gestoßen.
Unerwartetes Ergebnis
Die erste werden Verfechter des späten Anreitens vermutlich nicht gerne lesen. Ein signifikant größerer Anteil der Studien, nämlich 71 Prozent, sehen im frühen Trainingsbeginn einen Vorteil. Und zwar sowohl für die Skelettgesundheit als auch für die Dauer wettbewerbsorientierten Laufbahn. Der Großteil der Arbeiten legt also nahe: Wer schon in jungen Jahren trainiert, ist fitter und länger leistungsbereit. Negative Auswirkungen wurde dem frühen Einstieg ins Training bzw. ins Turniergeschehen hingegen nur in 10 Prozent der Studien attestiert. Die übrigen 19 Prozent brachten unwesentliche oder widersprüchliche Ergebnisse hervor.
Als möglichen Grund für dieses für die meisten doch eher überraschende Ergebnis gibt König von Borstel die zusätzliche Bewegung an, die ausschlaggebend für den positiven Effekt frühen Arbeitens sein könnte. Selbst unter den besten Bedingungen der modernen Pferdehaltung werde das für die Evolution bestimmte Fortbewegungsniveau kaum erreicht. Man könne davon ausgehen, dass deshalb jede zusätzliche Form der Bewegung hilfreich für die Entwicklung eines gesunden Bewegungsapparates ist.
Die Vorteile eines frühen Trainingsbeginns wurden übrigens unabhängig von der Art der Arbeit oder dem Mindestalter beim ersten Einsatz im Wettkampf gesehen (z. B. Rennpferde: 2 Jahre, Dressur- und Springpferde: 3 Jahre). Relativierend wirft Uta König von Borstel ein, dass die Ergebnisse der populationsbezogenen Studien durch eine gewisse Vorauswahl verfälscht sein könnten: Möglicherweise enthalten die Gruppen älterer Pferde einen höheren Anteil von Pferden auf, die nur aufgrund von gesundheitlichen oder leistungsbezogenen Problemen zu einem späteren Zeitpunkt ins Training geholt bzw. auf Turnieren gestartet wurden und somit von vornherein schon (gesundheitlich) belastet gewesen sein könnten.
Auf die Haltung kommt es an
Bemerkenswert ist jedoch, dass auch die verfügbaren Untersuchungen mit kontrolliertem Studiendesign gesundheitliche Vorteile für einige Pferde aufzeigen, die ihre Ausbildung bereits in sehr jungen Jahren begonnen haben. Allerdings gibt es hier einen entscheidenden Faktor, der sich in der Frage ob gesundheitlich zuträglich oder schädlich als Zünglein an der Waage erweist: die Haltung. Wie die Metaanalyse der 21 vorliegenden Arbeiten ergab, dürfen die Auswirkungen eines frühen Trainingsbeginns nämlich nicht unabhängig von den Haltungsbedingungen beurteilt werden. Denn während Pferde aus Gruppenhaltung mit Weidegang von einem zusätzlichen (frühen) Training profitieren, wirkt sich dasselbe Training für junge Pferde aus Boxeneinzelhaltung schädlich auf die Skelettstruktur aus.
Letztlich liegt die Deutsche Reiterliche Vereinigung also gar nicht so falsch damit, wenn sie in ihrer Broschüre „Anreiten und Ausbilden von jungen Pferden“ anführt, dass es bei der Jungpferdeausbildung nicht so sehr auf das Wann, sondern vielmehr auf das Wie ankommt. Nur dass dieses Wie nicht bei der Art und Weise des Trainings aufhört, sondern vor allem auch das so wichtige Thema der Haltung der Pferde mit einschließt.
Die Metaanalyse "Influence of age at first training or competition start on health and duration of competition careers in horses: a review and meta-analisis" von Prof. Dr. Uta König von Borstel wurde anlässlich der 14. ISES Jahreskonferenz vorgestellt. Eine Zusammenfassung steht auf der ISES Webseite zum Download zur Verfügung.