Forschung

Zickige Stute, leistungsbereiter Hengst? Männliche Pferde schon in der Bronzezeit beliebter

Ein Artikel von Pamela Sladky | 09.07.2020 - 13:46
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Stuten haben das Image, schwieriger zu sein als ihre männlichen Kollegen. ©Nadine Haase - stock.adobe.com

Wenn Reiter den verschiedenen Pferdegeschlechtern typische Charaktereigenschaften zuordnen sollen, herrscht in der Regel große Übereinstimmung. Wallache werden gerne als „zuverlässig“ und „unkompliziert“ tituliert, Hengste haben den Ruf „selbstbewusst“, „ehrlich“, wenn auch „nicht unbedingt anfängergeeignet“ zu sein.

Weniger freundliche Attribute gibt es für Stuten. Häufig werden sie als „zickig“ und „launisch“ bezeichnet und gelten als weniger leistungsbereit als ihre männlichen Kollegen. Möglich, dass morderne Reiter mit ihrer Meinung nicht alleine dastehen. Eine neue Studie aus Frankreich legt nahe, dass Menschen schon vor tausenden Jahren eine vorgefasste Meinung über geschlechterspezifische Eigenschaften von Pferden hatten.

Die ersten Pferde wurden wahrscheinlich vor etwa 5500 Jahren auf den weitläufigen Grasebenen der eurasischen Steppe domestiziert. Davor hatte der Mensch sie wegen ihres Fleisches gejagt. Schon länger bestand unter Forschern die Vermutung, dass männliche Pferde im frühen Eurasien weiter verbreitet waren als Stuten. Das legte die große Anzahl von Hengsten nahe, die man zusammen mit menschlichen Überresten an Jahrtausende alten Orten gefunden worden waren.

Forscher unter der Leitung von Antoine Fages, Paläogenomiker an der Universität Paul Sabatier in Toulouse, Frankreich, wollten diesem Phänomen näher auf den Grund gehen. Sie analysierten historisches Erbgut aus den Knochen von 268 Pferden, die man an dutzenden Orten in ganz Eurasien ausgegraben hatte. Einige dieser Pferde waren gezielt begraben worden, andere auf Müllstätten entsorgt. Die ältesten Funde datierten auf eine Zeit um 40.000 v. Chr. zurück.

An den ältesten Standorten fanden die Forscher ein ausgewogenes Verhältnis von Stuten und Hengsten, was darauf hindeutet, dass die frühen Eurasier auf beide Geschlechter gleichermaßen Jagd gemacht haben. Auch die Menschen der Botai-Kultur, von denen angenommen wird, dass sie vor etwa 5500 Jahren zu den ersten gehörten, die Pferde in Zentralasien domestizierten, zeigten noch keine Präferenz für ein Geschlecht gegenüber dem anderen.


Siegeszug der Pferdemänner

Vor etwa 3900 Jahren kam es jedoch zu einer tiefgreifenden Verschiebung: Von diesem Zeitpunkt an dominierten in vielen Kulturen Eurasiens männliche Pferde. Die Forscher fanden bei archäologischen Ausgrabungen dreimal mehr Hengste als Stuten. Doch woher rührt dieser Überschuss an Pferdemännern? Laut Fages könnte dies auf eine neue „Vision des Geschlechts“ beim Menschen zurückzuführen sein, die durch den gesellschaftlichen und technologischen Wandel vorangetrieben wurde.

Die Männer der Bronzezeit wurden durchwegs anders geschmückt, bestattet und in der Kunst dargestellt als Frauen – ein Muster, das bei ihren steinzeitlichen Vorgängern nicht zu finden ist. Viele Forscher interpretieren dies als Beweis für die Veränderung des männlichen Status, der durch die Entstehung von Fernhandelsnetzwerken und die Metallproduktion maßgeblich beeinflusst wurde und Männern gesellschaftlich Auftrieb verlieh.

Es sei durchaus vorstellbar, dass die Menschen dieselben Vorstellungen, die sie in Bezug auf ihr Gesellschaftsbild hatten, zunehmend auch auf ihre Pferde anwandten und sich so nach und nach die Meinung geformt habe, männliche Pferde seien mächtiger oder fähiger als Stuten, argumentieren Fages und Kollegen im "Journal of Archaeological Science: Reports". Sollte dies tatsächlich zutreffen, wäre es ein Beleg dafür, dass geschlechterspezifische Vorurteile bereits seit Tausenden von Jahren sowohl die menschliche als auch die tierische Welt geprägt haben könnten, so Fages.
 

Waren Hengste Wegwerfprodukte?

Die Anlehnung an menschliche Geschlechtervorstellungen ist eine Theorie für den Hengstüberschuss in archäologischen Funden. Es gibt aber auch andere. So sei es durchaus denkbar, dass Stuten wegen ihres besonderen Wertes für die Zucht mehr geschätzt und damit besser behütet waren, mutmaßt Ernest Bailey, Genetiker an der Universität von Kentucky, USA. Hengste könnten demnach eher als verzichtbarer gegolten haben, was das gehäufte Auftreten von Überresten männlicher Pferde auf bronzezeitlichen Müllhaufen erklären würde. Antoine Fages spekuliert, dass die Überreste der vermissten Stuten, falls vorhanden, an Orten entsorgt worden sein könnten, die bislang noch nicht entdeckt wurden.

Vielleicht fand der Mann der Bronzezeit, ganz so wie viele moderne Reiter, Stuten aber auch schlicht zu launisch, um auf ihnen in die Schlacht zu reiten - wenngleich dieses Vorurteil in der Wissenschaft keine Bestätigung findet. Laut einer im März dieses Jahres veröffentlichten Studie aus Australien sind Stuten unter dem Sattel keineswegs „schwieriger“ als Wallache oder Hengste. Im Versuch hatte es nämlich "keinerlei Hinweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede im Zusammenhang mit dem Verhalten beim Reiten“ gegeben.