Dass es auf die Frage, wie viel Gewicht ein Pferd schadlos tragen kann, keine einfache Antwort gibt, weiß man auch bei der TVT. In ihrem kürzlich neu veröffentlichten Merkblatt „Reitergewicht: Beurteilung der Gewichtsbelastung von Pferden unter Tierschutzgesichtspunkten“ versucht die Tierärztevereinigung dieses schwierige Thema von mehrere Gesichtspunkten her zu beleuchten und Pferdebesitzern vernünftige Ansätze für den Umgang in der Praxis an die Hand zu geben.
„Es ist unbestritten, dass zusätzliches Gewicht auf dem Rücken eines Pferdes zu Veränderungen sowohl in der Anatomie als auch im Bewegungsablauf führt. Die Gewichtsbelastung des Rückens führt zu einem verstärkten Durchbiegen der Wirbelsäule nach unten und einer Versteifung in der seitlichen Bewegung. In der Bewegung sind u.a. eine Verlängerung der Standphase und eine Verkürzung der Hängephase der einzelnen Gliedmaßen messbar. Diese Veränderungen sind abhängig von der Höhe der Gewichtsbelastung und können auf Dauer zu Schmerzen und chronischen Veränderungen v.a. am Rücken und den Beinen führen“, heißt es im Merkblatt.
In diesem Zusammenhang wird die Wichtigkeit einer guten Ausbildung hervorgehoben. Hat ein Pferd gelernt, unter dem Reiter seinen Rücken aufzuwölben, ist es in der Lage einen Teil der Gewichtsbelastung zu kompensieren. Dies, so die Tierärzte, würde die Bedeutung der korrekten Vorwärts-Abwärts-Bewegung während des Reitens bzw. des Longierens ohne Reitergewicht unterstreichen. Den gegenteiligen Effekt hat ein nicht passender Sattel. Er kann die die auftretenden Schmerzen durch die Gewichtsbelastung sogar noch deutlich verstärken.
Doch wie viel verträgt ein Pferd nun, ohne Schaden zu nehmen? Die in jüngerer Vergangenheit immer wieder zitierte 15-Prozent-Grenze – das Gewicht von Reiter und Ausrüstung sollte 15 Prozent des Pferdegewichts nicht übersteigen – sieht man auch bei der TVT als Ideal. Allerdings hätten Untersuchungen festgestellt, „dass weniger die Gewichtsbelastung im Verhältnis zum Körpergewicht des Pferdes entscheidend für die Tragfähigkeit des Pferdes war, sondern vielmehr die Breite der Lende und der Umfang des Röhrbeins. Je breiter die Lende und je größer der Röhrenumfang im Verhältnis zum Körpergewicht des Pferdes, desto geringer die Muskelschäden mit höherer Gewichtsbelastung. Das erklärt, warum Ponys in Relation zu ihrer Körpermasse tendenziell mehr Gewicht tragen können.“
Einen guten Hinweis auf die Stabilität des Fundaments und damit auf die tatsächliche Tragfähigkeit gibt laut TVT deshalb der sogenannte „Röhrbeinbelastungsindex“.
Je höher der Wert, desto belastbarer das Pferd. Hierbei erzielen kräftige Robustponys mit einem Wert von 4,5 bis 6 eine relativ höhere Belastbarkeit, als vergleichweise grazile Pferde wie Vollblutaraber (4,1) oder Pasopferde (3,8).
Haflinger, Quarter Horse und Kaltblüter keine Gewichtsträger
Auch wenn die meisten Pferdebesitzer diese Einschätzung vermutlich auch ohne Kenntnis des Röhrbeinbelastungsindex getroffen hätten, die Ermittlung des RI hält auch einige Überraschungen parat. Demnach bringt es der Durchschnittshaflinger auf einen Indexwert von gerade einmal 3,6. Auch Quarter Horses, die trotz ihrer geringen Größe häufig mit viel Gewicht durch schwere Westernsättel und große Reiter erheblich belastet werden, zählen mit einem RI von 3,9 nicht gerade zu den Parade-Gewichtsträgern. Noch weniger stabil ist laut Berechnung das Fundament von schweren Rassen wie dem Süddeutschen Kaltblut. Die eng mit dem Noriker verwandte Arbeits- und Zugpferderasse bildet mit einem RI von 3,0 das Schlusslicht unter den 24 aufgeführten Rassen.
Den höchsten Röhrbeinindex erzielten in der Berechung der TVT Minishettis. Sie liegen mit einer 9,5 unangefochten auf Platz eins, gefolgt von Shetlandpony (7,5), Highland-Pony (5,4), Huzule (4,9) Fellpony (4,9) und Welsh B (4,8). Gute Voraussetzungen zum Gewichtsträger attestiert die Tierärztevereinigung auch dem Islandpferd, das mit einem RI von 4,7 an siebter Stelle rangiert. „Islandpferde werden seit Jahrhunderten auf eine reiterliche Nutzung durch erwachsene Reiter gezüchtet. Trotz ihrer relativ geringen Widerristhöhe und des dadurch auch geringeren Gewichts gegenüber anderen Pferden und Kleinpferderassen haben Isländer in den vergangenen Jahrhunderten einige Besonderheiten entwickelt, die sie befähigen, relativ hohe Gewichte relativ schadlos zu tragen.“
Diese Einschätzung wurde 2107 auch in einer Studie wissenschaftlich bestätigt. Während die meisten Ergebnisse vorangegangene Untersuchungen bei anderen Pferderassen bestätigten, lagen Isländer mit dem Gewichtsverhältnis Reiter:Pferd von durchschnittlich 22,7 Prozent etwas über der bei anderen Pferden ermittelten Belastungsgrenze. Allerdings wies dieses Ergebnis eine sehr hohe Varianz von 17 % - 27,5% auf – nicht jeder Isländer ist damit automatisch der geborene Gewichtsträger.
Und so lautet letztlich auch das Fazit des Merkblattes. Wieviel Gewicht ein Pferd tatsächlich (er)trägt, ist so individuell wie die Pferde selbst und von sehr vielen verschiedenen Faktoren abhängig. „Neben dem Körpergewicht und der Größe des Pferdes spielen z. B. auch Alter, Trainings- und Bemuskelungszustand sowie der BCS und der Pferdetypus eine entscheidende Rolle. Aber auch außerhalb des Pferdes selbst liegende Faktoren wie Nutzungsart, -dauer und -intensität, Reitvermögen des Reiters oder scheinbar unwichtig erscheinende Faktoren wie Wetter, Jahreszeit und Bodenbeschaffenheit beeinflussen die Belastbarkeit eines Pferdes entscheidend. Daher ist die Beurteilung der Belastbarkeit eines Pferdes eine von vielen Faktoren beeinflusste individuelle Angelegenheit, zu der entsprechendes Fachpersonal (z.B. der Tierarzt und der Trainer) hinzugezogen werden sollte.“
Ungeachtet dessen stellt die Tierärztevereinigung aber klar: "Bei einer Gewichtsbelastung von 20 % ihres eigenen Körpergewichtes kommt es bereits zu merklichen Veränderungen vor allem in der Muskulatur der betroffenen Pferde in Form von Verspannungen und Verhärtungen. Eine so hohe Gewichtsbelastung kann daher nur unter optimalen Bedingungen toleriert werden, wenn die Pferde, wie beispielsweise Islandpferde, einen entsprechend belastbaren Körperbau aufweisen, in einem sehr guten Trainingszustand sind und die geforderte Leistung eher moderat ist.
Gewichtsbelastungen von 25 % oder gar 30 % der Körpermasse eines Pferdes gehen zunehmend mit Schäden an der Muskulatur einher und können auf lange Sicht dauerhafte Schäden am Rücken und dem gesamten Bewegungsapparat verursachen. Sie sind somit nach derzeitigem Wissensstand als tierschutzwidrig anzusehen."
Röhrbeinbelastungsindex nach Rasse
Nr. |
Pferderasse |
Körpergewicht (kg) |
Röhrbeinumfang (cm) |
RI |
1 |
Minishetland-Pony |
120 |
11,4 |
9,5 |
2 |
Shetland-Pony |
190 |
14,0 |
7,4 |
3 |
Welsh B |
330 |
16,0 |
4,8 |
4 |
Huzule |
350 |
17,3 |
4,9 |
5 |
Konik |
370 |
16,0 |
4,3 |
6 |
Deutsches Reitpony |
380 |
17,0 |
4,5 |
7 |
Islandpferd |
380 |
18,0 |
4,7 |
8 |
Highland-Pony |
400 |
21,5 |
5,4 |
9 |
Norweger |
420 |
18,5 |
4,4 |
10 |
Pasopferd |
440 |
16,7 |
3,8 |
11 |
Arabisches Vollblut |
450 |
18,3 |
4,1 |
12 |
Achal-Tekkiner |
450 |
18,6 |
4,1 |
13 |
Kabardiner |
450 |
18,9 |
4,2 |
14 |
Fell-Pony |
450 |
22,0 |
4,9 |
15 |
Englisches Vollblut |
460 |
20,3 |
4,4 |
16 |
Quarterhorse |
470 |
18,2 |
3,9 |
17 |
Haflinger |
520 |
18,8 |
3,6 |
18 |
Knabstrupper |
560 |
19,0 |
3,4 |
19 |
Württemberger |
590 |
20,0 |
3,4 |
20 |
Bayrisches Warmblut |
600 |
21,5 |
3,6 |
21 |
Hannoveraner |
600 |
22,0 |
3,7 |
22 |
Trakehner |
650 |
20,0 |
3,1 |
23 |
Süddeutsches Kaltblut |
770 |
23,0 |
3,0 |
24 |
Litauisches Kaltblut |
800 |
25,7 |
3,2 |