Forscher:innen gehen davon aus, dass rund die Hälfte aller deutschen Boxenpferde im Alter zwischen 12 und 14 Jahren an einer chronischen Atemwegserkrankung leidet. Ursache dafür ist die dicke Luft in den Ställen, ein ungesundes Gemisch aus Staub, Pilzsporen, Bakterien, hoher Luftfeuchtigkeit und Ammoniak.
Chronisch hustende Pferde sind im Management sehr aufwändig. Wichtigster Baustein auf dem Weg zum annähernd beschwerdefreien Tier ist eine optimierte Haltung, die auf viel frische Luft und eine drastisch minimierte Allergen-Exposition setzt. Dazu braucht es möglichst staubfreie Einstreu und ebensolches Raufutter. Allerdings ist gutes Heu von erstklassiger Qualität fast so schwer zu finden, wie die berühmte Nadel in ebendiesem. Also braucht es Methoden, um mittelmäßiges Heu so zu behandeln, dass es auch für Lungenpatienten verträglich wird.
Eine beliebte und sehr wirkungsvolle Methode ist hier das Bedampfen. In speziellen Geräten wird das Heu auf beinahe 100 Grad erhitzt. Bei diesen Temperaturen werden lebende Mikroorganismen zerstört, zudem werden lungengängige Partikel gebunden und das Futter damit auch für Pferde mit empfindlichen Atemwegen genießbar. So weit, so genial.
Doch die Hitze bekommt nicht nur unerwünschten Inhaltsstoffen nicht. Wie eine Gruppe deutscher Forscher:innen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) herausgefunden hat, werden auch wichtige Eiweißstoffe unter den saunaähnlichen Bedingungen im Bedampfer beschädigt.
„Ein Großteil der Proteine und darin enthaltenen, wichtigen Aminosäuren kann dann nicht mehr im Dünndarm verdaut werden, geht dem Pferd also durch die Behandlung verloren. Einzelne dieser Proteinbestandteile sind für Pferde aber essenziell und sie können auch nicht über den Dickdarm aufgenommen werden", erklärt Prof. Dr. Annette Zeyner vom Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften der MLU.
Fast die Hälfte des verdaulichen Proteins geht verloren
Um das zu zeigen, untersuchten die Forschenden verschiedene Heuproben. Im bedampften Pferdefutter fanden sie vermehrt Produkte, die bei der sogenannten Maillard-Reaktion entstehen und auf eine Schädigung der im Heu befindlichen Proteine hindeuten. Dabei handelt es sich um eine Reaktion, die auch während des Kochens, Backens oder Bratens von Lebensmitteln abläuft und für die Bräunung oder die Entfaltung von Aromastoffen verantwortlich ist. Eine Erklärung, warum bedampftes Heu von den Pferden offenbar als besonders schmackhaft empfunden wird.
Ähnlich wie bei Angebratenem hat das verbesserte Geschmackserlebnis aber auch seine Nachteile. „Proteine bestehen aus Aminosäuren. Durch die Bedampfung werden diese geschädigt und bilden neue Komplexe mit Zuckern im Heu“, weiß Erst-Autorin der Studie Caroline Pisch von der MLU. Die derart veränderten Proteine sind für die Pferde nur schwer verdaulich. Im Rahmen der Studie verringerte sich der Anteil an für den Dünndarm verfügbarem Protein durch das Bedampfen um fast die Hälfte.
Das kann, wenn hauptsächlich bedampftes Heu gefüttert wird, laut Zeyner zu einer Unterversorgung mit Proteinen führen. Besonders für heranwachsende Pferde oder säugende Stuten problematisch, zumal junge Pferde Proteine für ihr Wachstum, Stuten für die Milchproduktion benötigen.
Bekommt ein Pferd zu wenig Protein, ist das nicht immer leicht zu erkennen. Die Symptome sind unspezifisch und werden oft erst bei deutlicher Unterversorgung offenkundig. Betroffene Pferde zeigen häufig einen gestörten Muskelaufbau, aber auch ein stumpfes oder struppiges Haarkleid mit sogenannten Hungerhaaren – vereinzelte, lange Haare im Pferdefell, sind möglich.
Bedampfen trotzdem sinnvoll
Also besser doch nicht dampfen und stattdessen wässern oder auf Heuersatzprodukte zurückgreifen? Trotz der vorliegenden Studie müssen Pferdehalter:innen dem angeschafften Bedampfungsgerät noch lange nicht den Stecker ziehen. Bedampftes Heu ist aufgrund der quasi Keimfreiheit gerade für Atemwegspatienten theoretisch ein sehr gutes Futter, so Prof. Dr. Annette Zeyner. Dem Risiko einer Proteinunterversorgung könnten Pferdehalterinnen und -halter durch die zusätzliche Gabe proteinreichen Futters wie Bierhefe und Sojaschrot oder durch hochwertige proteinreiche Ergänzungsmittel vorbeugen. Auf diese Weise ist der Eiweißbedarf sicher gedeckt und das Pferd darf weiterhin sein aromatisches, atemwegsfreundliches Heu genießen.
Die Studie "Effect of Hay Steaming on the Estimated Precaecal Digestibility of Crude Protein and Selected Amino Acids in Horses" von Pisch C. et al. wurde im Fachmagazin Animals (2022) veröffentlicht und ist hier abrufbar.