Uruguay, Departement Lavalleja, Blutfarm Don Ramón, auf der der Veterinär und Universitätsprofessor Dr. Fernando Perdigón und sein Kollege Dr. Gabriel Maruri bis vor kurzem das Hormon PMSG gewonnen haben. York Ditfurth, Präsident des Tierschutzbundes Zürich, und seine Kollegin Sabrina Gurtner recherchieren seit Wochen vor Ort. Auf den verlassenen Weiden finden sie den Kadaver einer toten Stute, aus ihrem Hinterleib hängt ein toter Fötus. Um ihre Beine, Kopf und Schweif ist die Erde aufgewühlt vom Todeskampf, der Stunden gedauert haben muss. York Ditfurth: „Wir haben jeden Schädel, den wir auf den Weiden und im Wald gefunden haben, untersucht, da war nirgendwo ein Einschussloch.“ Nicht einmal eine Kugel sind die leidenden, sterbenden Tiere ihren Ausbeutern wert. Mittlerweile ist Perdigón mit seinen Stuten ins Hinterland gezogen, Nachbarn hatten Anzeige wegen der Pferdekadaver und der umhertaumelnden Stuten auf dem Gelände erstattet.
Eigentlich wollten der Tierschutzbund Zürich und die Animal Welfare Foundation (TSB|AWF) nur die Zustände in den Pferdeschlachthöfen untersuchen, die in großem Stil Pferdefleisch auch in die EU exportieren. Als „Nebenprodukt“ ergab sich eine umfangreiche Recherche über die sogenannten Blutfarmen, die Hölle für Pferde. Über ein Jahr lang hat man vor Ort die Fakten zusammengetragen, die ein grauenvolles Bild ergeben: Auf vier Farmen in Uruguay, die drei Firmen gehören, werden Zehntausende trächtige Stuten wochenlang zur Ader gelassen, um aus ihrem Blut ein Hormon zu gewinnen, das vor allem in der Schweinezucht eingesetzt wird. Der Rohstoff wird in Pulverform oder als Serum exportiert und von Pharmafirmen weltweit verarbeitet.
Einträgliches Geschäft
Seit rund 30 Jahren gehe das so, so Ditfurth – und ist ein einträgliches Geschäft. „Nach den Zollunterlagen, die uns vorliegen, ist das Hormon aus Stutenblut das zweitwichtigste Exportgut Uruguays nach Frankreich, allein die Firma Syntex SA exportierte im betreffenden Monat PMSG im Wert von zwei Millionen Dollar.“ Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung, die am 29. September 2015 über die Blutfarmen berichtete, exportierte Syntex seit Anfang 2013 allein von Uruguay aus PMSG im Gesamtwert von 14 Millionen Dollar nach Frankreich.
Syntex SA ist auf dem Gebiet der Pferdeblut-Produkte einer der Weltmarktführer, in Uruguay betreibt die Firma mit Sitz in Argentinien zwei Farmen, El Yatay und Loma Azul. Auf einer argentinischen Farm von Syntex gelang es dem TSB|AWF im April 2015, eine versteckte Kamera zu installieren und über Stunden zu filmen, wie Arbeiter die verschreckten und halbwilden Stuten mit Prügeln in enge Gänge treiben, ihnen mit Holzscheiten so lange auf den Kopf schlagen, bis sie halb betäubt sind, und ihnen dann roh die Kanüle in den Hals stoßen.
Kübelweise Blut pro Woche
Von Oktober bis Juni wird den Stuten, die vom 40. bis zum 130. Tag ihrer Trächtigkeit das Hormon PMSG (pregnant mare serum gonadotropin) produzieren, über sechs Wochen lang wöchentlich zehn Liter Blut abgezapft, also jeweils ein Viertel ihrer gesamten Blutmenge – zu viel, als dass die Stuten und ihre ungeborenen Fohlen dies ohne gesundheitliche Schäden überleben könnten.
„Grundsätzlich kommt es bei einer übermäßigen Entnahme von Blut zu einer Anämie (Mangel an roten Blutkörperchen), die die Sauerstoffversorgung der Stute und des Fötus beeinträchtigt und in extremen Situationen oder bei Hinzukommen von zusätzlichen Risikofaktoren auch zum Abort bzw. letztlich sogar zum Tod der Stute führen kann“, erklärt Ao. Univ.-Prof. Dr. med. vet. Christine Aurich Dipl. ECAR, Leiterin der Plattform für Besamung und Embryotransfer an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. De facto sieht man auf den Bildern taumelnde, zusammenbrechende Pferde, um die sich niemand kümmert.
Die Föten, so die Aussage von Farmarbeitern, die vom Tierschutzbund befragt wurden, werden, wenn das Hormon nicht mehr produziert wird – also nach dem 140. Tag der Trächtigkeit – von Hand im Mutterleib zerquetscht. Ist das werdende Fohlen abgestorben, erleidet die Stute eine Fehlgeburt. Auch dabei ist sie medizinisch unbetreut, manche Stuten überleben dies nicht. Wird eine Stute durch den schlechten Ernährungszustand und den starken Aderlass nicht mehr trächtig, kommt sie zur Schlachtung.
Blutfarmen auch in Uruguay
Auch der vom TSB|AWF untersuchte EU-zertifizierte Schlachthof Clay SA in Uruguay übernimmt solche Stuten – und exportiert deren Fleisch auch in die EU.Die Zustände in den Betrieben in Uruguay sind nicht besser als die in Argentinien gefilmten, auch dort werden die Stuten weder medizinisch betreut noch adäquat mit Zusatzfutter, Elektrolyten oder Eisenpräparaten versorgt. Die Stuten leben sich selbst überlassen in lichten Eukalyptuswäldern, die sie vor den Blicken Unbefugter schützen, sie werden frei in der Herde gedeckt, zur Blutentnahme werden sie in einer Baracke zusammengetrieben. Beim Lokalaugenschein in Fernando Perdigóns neuem Betrieb fallen den Tierschützern klapprige, ausgezehrte Tiere auf, die Körper übersät mit Prügelnarben, viele haben Hämatome um die Einstichstellen. Ähnliche Bilder auch beim dritten Produzenten in Uruguay, Roberto Mailhos, ein Treffen mit den Tierschützern lehnt der auch in Europa bekannte Criollo-Züchter ab. Ein Arbeiter seiner Farm gibt an, dass auf dem Gelände mit überwiegend Eukalyptuswald für die Papierindustrie 3000 Stuten gehalten werden.
Mit Dr. Fernando Perdigón gelingt den Tierschützern ein Interview mit versteckter Kamera, in dem der Blutfarmer ganz unbefangen seine Sicht der Dinge klarlegt: Auf die Frage, ob sich die Stuten, während sie dem Verfahren unterzogen werden, in Lebensgefahr befänden, antwortet er: „Seit unserer Geburt befinden wir uns alle in Lebensgefahr. Das Leben hat ein Problem – und das ist der Tod.“ Auch glaubt er nicht, dass es gesetzwidrig ist, dass Fohlen dabei sterben, auch die Schlachthöfe töten ja trächtige Kühe. Auf die Frage, wer das Geschäft kontrolliere, gibt er an: Das Ministerium für Viehzucht, Landwirtschaft und Fischerei.
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