Als Fynn im Alter von gerade einmal fünf Monaten von seiner Mutter getrennt wurde, stand dem kleinen Fuchs ein trauriges Schicksal bevor. Der Spross einer PMU-Stute galt als unerwünschtes Nebenprodukt. PMU steht für „Pregnant Mare Urin“, die englische Bezeichnung für den Urin trächtiger Stuten. Dieser zählt in der Pharmaindustrie seit mehr als sechs Jahrzehnten zu den wichtigsten Grundlage für die Gewinnung eines Hormonpräparates, das für die Behandlung von Wechselbeschwerden bei Frauen zum Einsatz kommt.
Fohlen, die "Abfallprodukte" der PMU-Industrie, haben wenig vom Leben zu erwarten. Nach einer frühen Trennung von ihrer Mutter ist ihre erste Reise zugleich meist die Letzte. Der Zielort heißt in der Regel Schlachthof. Dort wäre auch Fynn gelandet, hätte das Schicksal nicht einen ganz anderen Weg für ihn vorgesehen.
Der kleine Fuchs mit dem Stern und der kurzen Schnurblesse stand unmittelbar vor dem Abtransport, als Adaire Hiestand zu Hause auf ihrem Computer ein Bild von ihm sah und sich entschied ihn freizukaufen. Zum Schlachtpreis von 550 kanadischen Dollar.
Die nächsten Jahre verbrachte Fynn in Adaire Hiestands Obhut. Sie zog ihn groß und ritt ihn ein. Nach einem kurzen Intermezzo als Kinderreitpferd kam der Wallach fünfjährig in die Hände von Dressurreiterin Karri McFadden. Unter ihrer Anleitung offenbarte der Rassemix, der vom US-Verband als amerikanisches Warmblut geführt wird, seine wahre Bestimmung: Fynn war das geborene Dressurpferd.
Begeistert von seinen Fähigkeiten kaufte McFadden Fynn und in nur drei Jahren erlangte der nur 1,55 m große Fuchs Grand-Prix-Reife. Zwei Starts in der schwersten Klasse genügten und Fynn hatte seiner Reiterin die nötigen Punkte verschafft, die sie für das goldene Reitabzeichen des US-Dressurverbandes benötigte. Danach entschloss sich Karri McFadden ein neues zu Hause für den inzwischen achtjährigen Wallach zu suchen.
Gesucht und gefunden
Zu dieser Zeit war Amateur-Dressurreiterin Candace Platz gerade auf der Suche nach einem Grand Prix Pferd. Es sollte etwas Kleines, Handliches sein. „Eine Bekannte erzählte mir von Fynn. Als mir Karri dann ein Bild von ihm schickte wusste ich, das ist mein Pferd.“, erzählt Platz. „Es war kein Foto von einer Piaffe oder einer Passage. Das Bild zeigte Fynn liegend in seiner Box, mit dem Kopf in Karris Schoß. Ich habe niemanden mitgenommen, als ich hingefahren bin um ihn mir anzusehen. Ich habe ihn gesehen, ihn für fünf Minuten geritten und dann gesagt: ‚Verkauft!’.“
Platz selbst war zuvor nie Grand Prix geritten. Im Sattel von Fynn und unter Anleitung ihrer Trainerin Ruth Hogan-Paulsen ließen die ersten Erfolge jedoch nicht lange auf sich warten. In nur zwei Starts hatte auch die gelernte Veterinärmedizinerin ihr Goldenes Reitabzeichen in der Tasche. Bald darauf qualifizierte sich das Duo für die regionalen Meisterschaften, wo Fynn und Platz prompt den Grand-Prix-Titel bei den Amateuren der Allgemeinen Klasse holten. Das war 2013. Seither haben Platz und Fynn viele gemeinsame Turniere bestritten und zahlreiche Erfolge gefeiert.
„Fynn ist ein Wunderknabe“, gerät Candace Platz in Gedanken an ihren vierbeinigen Schatz ins Schwärmen. „Ruth hat mir gesagt, dass Fynns Selbsthaltung und seine Gänge heute schöner sind, als sie es jemals für möglich gehalten hätte.“
Der Eindruck der Trainerin täuscht nicht. Beim Adequan Global Dressage Festival in Wellington, Florida, wurde das Duo Anfang Februar mit dem Piaffe Performance Award geehrt. Eine schöne Auszeichnung für ein ganz besonderes Paar, dessen Werdegang eindrucksvoll beweist, dass das Leben die besten Geschichten schreibt.
Quelle/ps