Ausbildung

Brennpunkt Pferdesport: Kann man ein Pferd "zum Grand Prix streicheln"?

Ein Artikel von Eva Schweiger | 13.08.2024 - 11:32
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Man kann Pferde ohne Grobheit bis in den Grand Prix bringen. Es braucht nur mehr Zeit. © Lichtreflexe - fotolia.com

„Im Pferdesport schwirren momentan wirklich viele negative Energien herum. Es wird viel darüber gestritten, was richtig und falsch ist in der Ausbildung. Aber eigentlich wollen wir doch alle das Gleiche! Deshalb möchten wir zeigen, wie wir gemeinsam arbeiten, und dass verschiedene Ansätze, wie Horsemanship und Dressurausbildung, sich super ergänzen können.“ Mit diesen Worten eröffneten Dressurreiterin Luise Wessely und Horsemanship-Trainer und Parelli-Instruktur Martin Wimmer ihr Event „Ein Dialog im Pferdesport“ am 1. Juni am Gestüt Fischerhammer bei Gutenstein (NÖ). Wenn es nach den beiden geht, die seit vielen Jahren nicht nur gemeinsam mit den Pferden arbeiten, sondern gerne auch miteinander über das Reiten und Ausbilden philosophieren, sollen in Zukunft auch noch weitere (eventuell als anerkannte Fortbildung) folgen – denn „wann, wenn nicht jetzt, sollten wir über den Tellerrand schauen?“
 

Verstehen statt Grobheit

„Es ist noch kein Pferd in den Grand Prix gestreichelt worden.“ Gleich zu Beginn stellt Luise diesen ihr verhassten Satz in den Raum – beziehungsweise in die Reithalle. „Ich habe diesen Spruch immer ganz schlimm gefunden. Weil er einfach nicht stimmt. Man kann Pferde ohne Grobheit bis in den Grand Prix bringen. Das geht! Es braucht nur mehr Zeit.“ Natürlich ist es auch das Wie, um das sich alles dreht – egal in welcher Disziplin, egal in welcher Reitweise. Als leidenschaftliche Dressurreiterin, die ihre (und viele weitere) Turnierpferde stets selbst mit viel Leichtigkeit, Geduld und Sanftheit ausbildet, hat Luise dieses Wie eindeutig verstanden. Aber es gibt auch für sie, erzählt sie, immer wieder herausfordernde Pferde oder schwierige Situationen, in denen sie nicht weiterweiß. Eines dieser Pferde war Ozy, ein junger Trakehner, der nun sogleich für eine erste Praxisvorführung ausgerüstet mit Dressursattel, weißen Gamaschen und Knotenhalfter an der Hand von Martin Wimmer die Halle betritt. Martin betreibt seinen eigenen Hof mit Hengstaufzucht und Ausbildung im niederösterreichischen Weinviertel. Ursprünglich mit Cowboy-Hut und Westernsattel unterwegs, schlägt sein Herz seit langem auch für die Vielseitigkeit. Horsemanship als Ausbildungsmethode hat er sich über all die Jahre beibehalten, und wendet sie bei allen seinen Pferden an – ob sie später nun im Western Trail oder im Cross Country brillieren sollen, oder eben auch im Dressurviereck.

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Eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit ergibt sich aus einem lebendigen Dialog: Luise Wessely und ihr AWÖ-Wallach Diavolo
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Aufmerksam und präsent

„Ozy ist so ein bisschen ein Spaßvogel“, stellt er Luises vierjährigen Wallach vor, der inzwischen hierhin und dorthin trippelt, den Strick ins Maul nimmt, ungeduldig den Kopf schüttelt, Martins Ärmel anknabbert, das Publikum beobachtet. „Er hat viel Energie und will sich bewegen, daher ist er auch sehr reaktiv.“ Er lässt den aufgedrehten Jungspund einige Runden laufen, dann die Hinterhand weichen, das Pferd vorwärts, rückwärts und seitwärts gehen. Dabei verwendet er eine Flagge, die Ozys Aufmerksamkeit immer wieder auf sich zieht. „So eine Flagge nutzen wir im Horsemanship, um einen Umweltreiz zu produzieren, der stärker ist als die anderen äußeren Reize. Wenn der Fokus des Pferdes bei mir ist, dann brauche ich die Flagge nicht, aber wenn das Pferd abschweift, dann kann ich seine Aufmerksamkeit wieder zu mir holen.“ Aufmerksamkeit: Das ist eine der Säulen, die die Pferdeausbildung tragen. Denn ohne Aufmerksamkeit auf den Menschen gibt es keine Verständigung – wieder ein Punkt, in dem sich alle Reitweisen treffen. „Wenn ich die Aufmerksamkeit einmal habe, dann kann ich ganz fein mit meiner Energie kommunizieren“, kommentiert Martin, während er Ozys nun einmal langsam, einmal schnell rückwärtsrichtet, und dafür nur seine Körperhaltung und -spannung verändert.

Einstweilen reitet Luise ihren selbst ausgebildeten, Grand-Prix-fertigen ÖWB-Wallach Diavolo immer wieder an den Zuschauerrängen vorbei – ganz geheuer sind sie ihm nicht, er weicht aus, prustet, macht große Augen. Auch hier geht es um Aufmerksamkeit, und Luise erklärt: „Ich muss ihn schon an der langen Seite hier, bevor er Angst davor bekommt, bei euch vorbeizugehen, auf mich fokussieren. Ich nehme den äußeren Zügel und den inneren Schenkel dran und sage: ‚Hey, bleib bei mir!‘“ Dann braucht es auch kein Zupfen am Zügel oder harsche Schenkelhilfen. Das Prinzip ist bei Luise und Martin dasselbe: Verhindern, dass das Pferd abschweift und seine eigenen Entscheidungen trifft. Ist der Fokus stetig beim Menschen, reichen dann ganz subtile Signale.

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Gespräche mit Pferden

„Leider reagieren wir in Situationen, in denen das Pferd nicht tut, was es soll, oft mit Druckerhöhung. Wir treiben, das Pferd geht nicht vorwärts, also treiben wir stärker. Wenn das auch nicht funktioniert, dann nehmen wir die Sporen. Aber das Problem ist, dass die Pferde das Grundprinzip oft noch gar nicht verstanden haben: Was will der Mensch eigentlich, wenn er den Schenkel anlegt?“

Martin streichelt Ozy in der Schenkellage. Der Wallach bleibt ruhig stehen, spannt seine Bauchmuskeln nicht an. „So soll es sein! Wenn ich sofort eine Spannung auf die Berührung mit dem Schenkel bekomme, dann verhindert das das Vorwärtsgehen.“ Erst im zweiten Schritt lernt das Pferd, auf die einseitige Schenkelhilfe seitwärts zu weichen. Ozy braucht eine Weile dafür – zuerst passiert gar nichts, dann schnuppert er an Martins Hand, die an seiner Seite leichten Druck ausübt. Erst nach einigen Versuchen tritt er zur Seite – und als Martin dasselbe vom Sattel aus versucht, tut sich erstmal wieder nichts. „Jetzt könnte ich mehr Druck machen, weil ich denke: Er hat es ja am Boden schon gemacht, warum nicht jetzt auch unterm Sattel? Aber das wäre falsch.“ Also steigt er ab, übt wieder vom Boden. Erst nach einigen Malen Auf- und Absteigen weicht Ozy dem Schenkel. „Hätte ich jetzt keine Geduld gehabt und wäre grob geworden, wäre unsere Gesprächsbasis schon beim Teufel!“, betont Martin. „Das wichtigste ist, dass ich mit dem Pferd in einem Dialog bin. Ich frage: ‚Kannst du das für mich tun?‘ und das Pferd antwortet Ja oder Nein oder vielleicht ‚Heute nicht‘. Diese Antworten muss ich verstehen und so viel wie möglich darauf Rücksicht nehmen!“

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Martin Wimmer: "Ohne Aufmerksamkeit gibt es keine Verständigung."

Und wenn das Pferd Nein sagt?

Damit wären wir bei einem Thema, das gerade im Turniersport Schwierigkeiten bereitet. Was tun, wenn das S-Dressurpferd am Turniertag mit ‚Heute eher nicht‘ antwortet? „Das kenne ich sehr gut“, lacht Luise, „das passiert immer wieder! Wenn man die Pferde fragt, ob sie lieber geritten werden wollen oder auf der Koppel grasen, stellen sich vermutlich die wenigsten in der Reithalle an. Aber das heißt nicht, dass sie nicht trotzdem gerne mitmachen, wenn sie dabei eine gute Zeit haben.“ Wenn sie sich verstanden fühlen und selbst verstehen, zeigen Pferde nämlich ihr grundsätzlich sehr neugieriges und interessiertes Wesen. Und darauf lässt sich eine für Pferd und Mensch schöne und erfolgreiche Zusammenarbeit aufbauen. Manchmal, sagt Luise, gibt es aber auch Tage, wo es eben nicht geht: „Ich habe schon so viele Bewerbe geopfert. Manchmal muss man für die gute Beziehung zu seinem Pferd einfach eine Prüfung aufgeben, wenn man merkt, es passt heute einfach nicht. Das Einzige, was ihr nie aufgeben dürft, sind eure Pferde!“