Was war das für ein Krimi! Natürlich schien die Ausgangsposition für das rot-weiß-rote Team mit Rang 5 nach dem zweiten Tag in Richtung Olympiaquali sehr gut zu sein. Aber wie schnell etwas passieren kann, musste die deutsche Equipe gleich bei ihrem ersten Reiter Marcus Ehning feststellen: Da sich sein Stargold am Abreiteplatz nicht gänzlich fit fühlte, verzichtete der Aachen-Sieger auf einen Start und Deutschland hatte plötzlich kein Streichresultat mehr.
Gerfried Puck als Österreichs Startreiter wollte auf dem grünen Rasen im Stadion der San Siro-Rennbahn beweisen, dass die bisherigen Topergebnisse von ihm und dem gesamten Team keine Zufälle waren. Ganz vorsichtig trug er den mächtigen, aber doch heiklen Equitron Naxcel V über die Sprünge, verhalten im Tempo, darauf bedacht nur keinen Fehler zu machen. Und alle Stangen blieben auch oben, zwei Zeitfehlerpunkte konnte man verschmerzen. Die Straße nach Paris war breit und offen!
Etwas müde wirkte leider im zweiten Umlauf Kathi Rhombergs Cuma, der bislang bei dieser EM so großartig gesprungen war. Diesmal kassierte das Paar 12 Fehlerpunkte – das war im ersten Moment schon ein gehöriger Dämpfer für das Team. Doch dann bewiesen Max Kühner und sein ganz souveräner Elektric Blue P, dass sie nicht umsonst in der Weltrangliste so weit vorne liegen: Ein toller Nuller tat der Teamwertung gerade zu diesem Zeitpunkt sehr gut. Denn mittlerweile hatten sich die Italiener komplett ums Olympiaticket rausgeritten: Gaudiano musste aufgeben und seine drei Kollegen scorten ebenfalls mit fehlerhaften Ritten. Damit war es für unsere Mannschaft schon vor dem letzten Durchgang klar: Auch wenn Rhombergs 12 Punkte in die Wertung kommen sollte, war das Ticket nach Paris nicht mehr in Gefahr. Da störte es die eifrig rechnenden Fans in Mailand und vor den Livestreams auch nicht, dass sich die Spanier mit zwei Null-Fehler-Runden verbessert hatten und nur noch knapp hinter Österreich lagen.
Für den Europameistertitel war die Entscheidung vor dem Schlussreiter schon gefallen: Schwedens erfolgsverwöhnten Springreiter – diesmal in der Besetzung Henrik von Eckermann (Iliana), Wilma Hellström (Cicci BJN), Jens Fredricson (Markan Cosmopolit) und Rolf-Göran Bengtsson (Zuccero) – waren nicht mehr zu holen. Aber um die Medaillen sollte es spannend werden – und Österreich gar zu einem der Hauptdarsteller avancieren!
Denn als Alessandra Reich ihren Oeli R gefühlvoll in den Parcours schickte, sah man schon, dass die beiden keine Angst vor dem schweren EM-Kurs oder großen Namen hatten. Ein Abwurf an der Längsseite war geradezu sensationell für die Youngster im Team, die gesamt 22,77 Teampunkte fixierten. Ein absolutes Weltklasseergebniss bei einem Championat, klar vor den direkten Olympiagegnern Spanien und Italien, aber auch vor Springgroßmächten wie Niederlande, Frankreich und Großbritannien.
Es sollte aber noch besser kommen: Die Schweiz musste mit ansehen, wie ausgerechnet ihr Aushängeschild Martin Fuchs mit seinem Leone Jei zwei Abwürfe verzeichnete und hinter Team Austria rutschte. Was war in Mailand los? Spielte die Springreitwelt ganz verrückt? Inzwischen hatte sich Irland Silber gesichert, aber Deutschland musste auf den bisher nicht gerade überzeugenden Ben von Gerrit Nieberg hoffen, um noch aufs Stockerl zu gelangen. Der Westfale sprang zwar besser als an den ersten beiden Tagen, eine Stange fiel dennoch und als Fan mit rot-weiß-roter Brille musste man sich schon die Augen reiben, um die Ergebnistafel genießen zu können: Österreich gewinnt hinter Schweden und Irland die Bronzemedaille der Springreiter-Europameisterschaft 2023!
Es ist ein Verdienst dieser vier Reiterinnen und Reiter, der ihnen so sehr zu gönnen ist, die immer an diese Chance glaubten und die sich auch von den Querelen im Vorfeld nicht von ihrem Plan abbringen ließen. Natürlich schmerzt es einen Journalisten wie mich, der seit gut dreißig Jahren alle guten und schlechten Zeiten der österreichischen Springreiterei mit begleiten durfte, ausnahmsweise einmal nicht vor Ort in Mailand mitjubeln zu können. Aber es überwiegt die Freude über diesen historischen Medaillengewinn, denn noch nie konnte eine heimische Mannschaft von einem Europachampionat Edelmetall mitbringen.
Mitfiebern dürfen wir noch ein kleines bisschen länger, denn mit Max Kühner (6,16 Punkte, Platz 10) und Gerfried Puck (9,63 Punkte, Platz 20) haben es zwei Österreicher ins Einzelfinale am Sonntag geschafft. Und wenn es dort ähnlich hergeht, wie im Teamfinale, dann ist eines gewiss: Bei dieser EM ist nichts unmöglich!
Stimmen zu Österreichs historischem EM-Erfolg
Max Kühner: „Es war wohl die wichtigste Nullrunde bislang. Es fühlt sich toll an, wir haben das so nicht erwartet! Da war immer die Hoffnung auf die Olympia-Qualifikation, das war die wichtigste Sache für uns! Ich hoffe, (dieser Erfolg) bringt einen Impuls für Österreich, für die Pferdebesitzer, für die gesamte Pferdesportszene. Wir hatten hier eine gute Zeit als Team, das macht mich sehr happy!"
Katharina Rhomberg: „Es ist unglaublich. Wir wären mit dem Olympiaticket schon zufrieden gewesen, jetzt haben wir Bronze. Unfassbar! Ich habe heut ja drei runtergehaut, zum Glück habe ich so ein tolles Team, das das aufgefangen hat."
Alessandra Reich: „Bevor wir reingeritten sind, hat Max zu mir gesagt, wir haben die Olympia-Qualifikation fix in der Tasche. Ich habe geantwortet: ,Na, dann kann ich ja locker auf die Medaille losgehen!‘ Dass das funktioniert hat, ist einfach unglaublich.“
Gerfried Puck: „Für mich ist es einfach nur unglaublich, dass wir die Olympia-Qualifikation geschafft haben! Wenn man bedenkt, dass Hugo Simon und seine Teamkollegen die letzten Medaillengewinner bei einem Championat für Österreich waren. Hugo hat hier ja die Spanier unterstützt, die auch die Olympia-Quali geschafft haben. Die freuen sich bestimmt auch, aber nicht so wie wir!“
Equipechefin Dr. Angelika May aufr die Frage nach ihrem Anteil am Erfolg: „Ich habe ihnen nur gute Vibes gegeben. Die Ehre gehört dem ganzen Team, den Reiterinnen und Reitern, den Pferden, den Grooms, den Trainern. Es war der Teamspirit, der uns diesen Erfolg ermöglicht hat.“