Unter der Moderation von Jessica Kürten kamen am Montag zahlreiche Experten und Stakeholder aus der internationalen Springreiterei zu Wort, um die drängendsten Fragen des Sports zu erörtern: die umstrittene Blutregel, die Arbeitsbedingungen der Pfleger, die Anforderungen an junge Pferde und die Qualifikationskriterien für internationale Turniere.
Blutregel: Balanceakt zwischen Fairness und Außenwirkung
Kaum ein Thema bewegt die Springreiterwelt so sehr wie Artikel 241.3.30. Er sieht die Disqualifikation eines Reiters vor, wenn sein Pferd Blut an den Flanken aufweist. Neuen Zündstoff für der Debatte lieferte der Teambewerb der Olympischen Spiele in Paris, als das brasilianische Team wegen eines Kratzers an den Flanken von Pedro Veniss‘ Pferd platzte. Veniss wurde ausgeschlossen und durfte auch im Einzel nicht mehr antreten – nach Meinung des International Jumping Riders Club (IJRC) eine völlig unverhältnismäßige Strafe. Stephan Ellenbruch, Vorsitzender des FEI Jumping Committee, verteidigte jedoch die aktuelle Regelung: „Ich verstehe, dass der Jumping Riders Club und die Reiter die Konsequenzen dieser Regelung diskutieren möchten. Die Frage, die sich mir in diesem Zusammenhang stellt ist: Brauchen wir die Regel, oder nicht? Und ich bin absolut überzeugt: Ja, wir brauchen diese Regel. Für mich steht nicht zur Diskussion, die Vorgehensweise zu ändern. Aber wenn es eine bessere Möglichkeit gibt, Reiter zu sanktionieren, dann sollten wir darüber sprechen. Entscheidend ist immer die soziale Akzeptanz des Sports. Es ist sehr schwer, der Öffentlichkeit eine andere Haltung zu vermitteln.“
"Es geht nicht darum, die (Blut)Regel zu verwässern. Wir wollen sie klarer definieren, um die Sanktion besser mit der Schwere des Falls in Einklang zu bringen", sagte Francois Mathy Jr. © G ARIAS-SCHREIBER www.arias-schreiber.com
IJRC-Präsident Francois Mathy Jr. forderte eine differenziertere Herangehensweise: „Es geht nicht darum, die Regel zu verwässern, sondern sie präziser zu gestalten. Der Ausschluss wegen eines kleinen Kratzers ist schwer zu akzeptieren, aber wir verstehen, dass die Zeit, in der wir leben, solche Schritte notwendig macht.“
Auch Cesar Hirsch, Level-Vier-Richter und -Steward aus Venezuela betonte: „Wir können es uns nicht leisten, das falsche Signal zu senden. Die Sanktion muss bestehen bleiben, aber das Protokoll muss einheitlich und transparent sein.“
Ellenbruch brachte eine mögliche Reform ins Spiel: ein gestaffeltes Sanktionsmodell mit Verwarnung, gelber Karte und erst bei schweren oder wiederholten Verstößen einer Sperre. Doch ob die FEI diesen Weg geht, bleibt abzuwarten.
Arbeitsbedingungen der Grooms: Der Kampf gegen endlose Tage
Ein ebenso emotional diskutiertes Thema war die Belastung der Pfleger. Sie sind die unermüdlichen Helfer hinter den Kulissen und arbeiten oft unter extremen Bedingungen. Ihr Alltag ist von langen Tagen und wenig Pausen geprägt. „Wir arbeiten regelmäßig 18 Stunden oder mehr. Das ist auf Dauer nicht tragbar. Genau das ist einer der Hauptgründe, warum so viele Grooms unserem Beruf den Rücken kehren“, sagte Lucy Katan von der International Grooms Association und erntete dafür zustimmenden Applaus aus dem Plenum.
Irene Verheul, Organisatorin des renommierten niederländischen Hallenturniers Jumping Amsterdam, schilderte das Problem aus Veranstaltersicht: „Wir müssen ein Event gestalten, bei dem das sportliche Programm im Mittelpunkt steht und das Wohl der Pferde Priorität hat. Aber wir müssen auch Sicherheits-, behördliche und kommerzielle Vorgaben einhalten. Es ist, als würde man ein Puzzle mit beweglichen Teilen zusammensetzen.“
Henrik Ankarcrona, schwedischer Equipechef, nannte die Situation „die Millionen-Dollar-Frage“ und betonte: „Das ist kein 9-to-5-Job, aber wir müssen das Leben der Grooms erleichtern.“
Ein konkreter Vorschlag kam von Lucy Katan: „Die FEI sollte durchsetzen, dass alle Wettkämpfe und Siegerehrungen bis 23:00 Uhr beendet sind. Das wäre ein klares Signal für eine nachhaltigere Zukunft.“
"Die (Blut)Regel ist notwendig. Alle Trainer wissen um das erhöhte Risiko das von der Verwendung von Hammersporen ausgeht - das gilt auch für die Reiter", so Henrik Ankarcrona. © G ARIAS-SCHREIBER www.arias-schreiber.com
Junge Pferde: Zwischen Förderung und Überforderung
Die Entwicklung junger Springpferde stand ebenfalls im Fokus der Diskussion. Allgemeiner Tenor war, dass Ausbildung und Training Vorrang vor Wettkampfeinsätzen haben sollten. Ob das aktuelle System diesem Ansatz gerecht wird, lässt allerdings Zweifel aufkommen. Jessica Kürten stellte die zentrale Frage: „Warum haben wir nicht genug Pferde auf Top-Niveau? Liegt es daran, dass wir sie zu früh verheizen?“
Henrik Ankarcrona sieht vor allem den kommerziellen Druck als Problemtreiber: „Jeder sucht das nächste Grand-Prix-Pferd, aber der Markt zwingt dazu, die Pferde früh quer über die Kontinente zu schicken. Ich bin mir nicht sicher, ob das der beste Weg ist.“
Francois Mathy Jr. brachte eine Änderung der Finalkriterien für Fünfjährige ins Spiel: „Müssen wir immer nur einen Sieger haben? Der Sieg hat einen zu hohen Preis. Vielleicht würden einige Pferde unter anderen Bedingungen länger im Sport bleiben.“
Ein wissenschaftlicher Ansatz könnte in diesem Zusammenhang künftig helfen: FEI-Veterinärdirektorin Géraldine Rebolledo kündigte eine Studie mit der Universität Bristol an, um die langfristige Entwicklung junger Springpferde zu analysieren.
"Auch wenn ein Ausschluss für den Athelten schmerzvoll ist, müssen wir das Wohlergehen des Pferdes an erste Stelle setzen. Der Sport muss modern und für die Öffentlichkeit akzeptabel sein", mahnt Jessica Kürten. © G ARIAS-SCHREIBER www.arias-schreiber.com
Turnierqualifikationen: Einheitliche Standards statt Wildwuchs?
Ein weiteres heikles Thema war die Qualifikation für internationale Turniere. Derzeit liegt die Verantwortung für die Nominierung von Reiter-Pferd-Paaren bei den nationalen Verbänden, doch es gibt keine einheitlichen Mindestanforderungen (MERs) für Starts auf internationalem Parkett, was immer wieder zu Unmut und Unverständnis führt. In Österreich wird beispielsweise gefordert, dass der Reiter mit dem jeweiligen Pferd bereits mindestens zwei nationale Ergebnisse (im In- oder im Ausland) in der entsprechenden Höhe (abzüglich 5 cm Toleranz) mit maximal 4 Fehlerpunkten erzielt haben muss. A-Kadermitglieder der allgemeinen Klasse sind von dieser Regelung ausgenommen. Die im internationalen Vergleich eher rigide Haltung des OEPS dient dem Schutz der Pferde. Internationale Starts sollen ihnen nur dann zugemutet werden, wenn sie die dafür nötigen Anforderungen auch tatsächlich leisten können. Eine Haltung, die dem österreichischen Verband nicht nur Freunde macht.
Henrik Ankarcrona sprach sich in diesem Zusammenhang für ein Lizenzsystem aus: „Es kann nicht sein, dass man sich einfach ein Top-Pferd kauft und sofort Fünf-Sterne-Prüfungen reitet. Man muss sich das Recht dazu verdienen.“
Derzeit gibt es Diskussionen über die mögliche Einführung von Mindestqualifikationsanforderungen für Wettbewerbe auf CSI3*-Niveau. Klare Kriterien für die Qualifikation würden nicht nur dazu beitragen, den Wettbewerb fair zu gestalten, sondern auch die Sicherheit erhöhen und sicherstellen, dass alle Teilnehmer gut auf die Herausforderungen höherer Turniere vorbereitet sind.
Das Schlusswort der Session hatte Jessica Kürten, die die Herausforderungen noch einmal gut zusammenfasste; „Unser Sport muss modern und gesellschaftlich akzeptabel bleiben – ohne das Wohl der Pferde aus den Augen zu verlieren. Die Balance zwischen Tradition und Fortschritt ist die größte Herausforderung unserer Zeit.“