Olympia 2024

Fantastisch, bombastisch, gigantisch: Harald Ambros glänzt mit Spitzenrunde im Schlosspark von Versailles

Ein Artikel von Ernst Kopica | 28.07.2024 - 17:22
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Sensationell unterwegs: Harald Ambros und Vitorio du Montet © holcbecher.com

Diese prächtige Kulisse musste einen ja zu Spitzenleistungen animieren. Schon vor der Prüfung wirkte Ambros konzentriert und entschlossen. Die gesamt österreichische Equipe inklusive der Dressurreiter hatte sich an der Startstelle eingefunden um den Oberösterreicher anzufeuern. Zu diesem Zeitpunkt hatte es schon arrivierte und prominentere Reiter böse erwischt: Dem Deutschen Christoph Wahler und Carjatan S wurde ein Bergabsprung vor dem Ponton zum Verhängnis, auch der Australier Kevin McNab gab mit Don Quidam auf, wodurch diese beiden Nationen ihre Medaillenchancen begraben mussten.

Aber Vitorio du Montet und Ambros ließen sich von den Zuschauermassen, Anfeuerungsrufen und der elektrisierenden Stimmung bei sommerlichen Temperaturen überhaupt nicht beeindrucken und der Wallach lief ohne Zögern über alle Klippen und Hindernisse. Nicht einmal zum Ende des Rittes hatte man die Befürchtung, dass es schiefgehen könnte, nach 9 Minuten und 19 Sekunden kam das Österreich/Frankreich-Paar ins Ziel. Mit einem Score von 43,30 Punkte hat sich Harald Ambros damit im Zwischenklassement auf Rang 33 vorgeschoben und immer noch das Finale der Top-25 im Visier.
 

Im Tunnel

Kaum war die Ziellinie passiert, das Pferd versorgt und der Schweiß abgewischt, fand Harry auch schon Zeit für das erste Interview mit der Pferderevue in der Mixed Zone. Wir lassen ihn im Originalton sprechen: „Es war fantastisch und bombastisch. Diese Menschenmenge war gigantisch, das habe ich vorher gar nicht so erwartet. Ich habe mir trotz später Startnummer keinen Konkurrenten angesehen, weil im Prinzip hast du deinen Plan und kommst dann wieder aus deinem eigenen Konzept raus. Darum habe ich mich da eher ferngehalten, nur bei einem Hindernis habe ich gesehen, da sind aber viele Leute draußen."

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Harald Ambros und Vitoria du Montet nahmen alle Hindernisse des olympischen Cross mit Leichtigkeit
© holcbecher.com

"Als ich losgaloppierte waren so viele Leute an der Strecke und machten wirklich lauten Lärm. Aber mein Pferd war souverän, der kennt das ja und ist schon dreimal 5* gelaufen mit Maxime Livio. In Badminton und Pau waren mindestens auch so viele Leute und das war beruhigend für mich, weil ich mir dachte, ja, das kennt er und das wird uns nicht so aus der Ruhe bringen. Und so war es dann auch. Ich bin alle Wege direkt geritten, so wie ich es mir vorgenommen hatte, es ist alles gut aufgegangen."

"Der Boden war durch den Regen doch ein wenig weich, besonders bei den Wendungen. Aber ich habe mich Gott sei Dank stollenmäßig gut aufmagaziniert. Obwohl schon 45 Teilnehmer vor mir ritten sind, bin ich nur wenig gerutscht, die Veranstalter haben großartige Arbeit geleistet. Sie haben sehr viel Vulkangesteinen aufgebracht, wie man es von den Trockenpalmen kennt. Das saugt natürlich und ich glaube, das war auch der Grund, warum sie das hier aufgebracht haben. Das Material können sie einfach einwachsen lassen.“

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Überglücklich und fast zum Platzen stolz: Haralde Ambros © Ernst Kopica

Ziel: Finale

Ambros war kaum zu stoppen, der Zahnarzt ist ja für gewöhnlich kein Freund großer Worte, aber seine Freude über diesen Ritt war richtig spürbar. Über seine Finalpläne denkt er heute auch anders als vor Paris: „Schauen wir, wie es am Ende ausgeht. Auch wenn es nicht mit dem Finale klappt, bin ich trotzdem sehr zufrieden, weil mein Pferd auf diesem Kurs bombastisch war. Es war ja erst meine fünfte Geländeprüfung mit ihm.“

Auf die Frage, was er empfindet, nachdem er vor einem Monat noch gar nicht wusste, dass er starten wird: „Dankbarkeit! Ich bin sehr dankbar, dass das alles funktioniert hat und dass ich hier sein durfte. Ich freue mich irrsinnig und bin sehr zufrieden.“
 

Lachendes und weinendes Auge

Ebenso emotional zeigte sich Equipechef Thomas Tesch: „Die beiden waren super, alle Aufgaben schnurgerade gelöst, entsprechend bejubelt vom französischen und internationalen Publikum. Aber als Equipechef tut es mir natürlich auch leid, dass wir es nicht als Team geschafft haben und Katrin Khoddam-Hrazati sowie Daniel Dunst zu Hause bleiben mussten – und Lea Siegl nicht antreten konnte. Eine besondere Freude aber habe ich auch darüber, dass nicht nur der Kaderreiter und Reitersprecher Harald Ambros, sondern auch mein Freund Harald Ambros hier so eine Runde hingelegt hat.“

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In Führung: Michael Jung (GER) mit Chipmunk
© holcbecher.com

Michael Jung übernimmt knappe die Führung

Um die Medaillen wird es in den abschließenden beiden Springen noch einen heißen Kampf geben. Michael Jung schob sich mit einem Nuller seines Chipmunk an der Britin Laura Collett (London) vorbei und führt mit lediglich 0,5 Punkten Vorsprung. Dahinter lauern Christopher Burton mit Shadow Man aus Australien und Lea Siegl-Freund Felix Vogg mit Dao De l’Ocean aus der Schweiz.

In der Teamwertung ist zwar, wie erwartet, das britische Team in Fron, aus dem erwarteten Spaziergang wurde es aber nichts, da die Gastgeber aus Frankreich nur knapp zurück liegen. Bronze wird an einen Außernseiter gehen: Japan, Schweiz und Belgien dürfen sich hier berechtigte Hoffnungen machen.

Alle Ergebnisse im Detail gibt es hier.  

Blog: Olympiageflüster aus Versailles (3)

Es ist für mich eigentlich immer das Highlight: Der Cross-Country-Tag der Vielseitigkeitsreiter. Was uns aber hier in Versailles geboten wird, das ist - wie es auch Harald Ambros gestern schon sagte und es heute mit seinem tollen Ritt auch bestätigte - das Schönste vom Schönen. Allein dieser Schlosspark des Sonnenkönigs ist so sehenswert, dazu 28 Hindernisse, die mit einer formidablen Ästhetik in die Landschaft gestellt wurden und die dennoch alles von den Pferden und ihren Reiter:innen abverlangten. Natürlich kommen die Aktiven während der Ritte nicht dazu, sich über das alles den Kopf zu zerbrechen, was im Textbook zu den einzelnen Sprüngen erläutert wird. Da wird es manchmal schon sehr philosophisch und Augenmerk auf jedes Detail gelegt.

Kursdesigner Pierre Le Goupil bekam für seine Aufgabe Unterstützung von Christian Aschard, das Team leistete hervorragende Arbeit, das bestätigten alle Kollegen im Pressezelt. Es ging gleich beim ersten Sprung sportlich los, ein olympischer Lorbeerkranz mit dem Motto „schneller, höher, weiter, gemeinsam“ bevor es durch die Pfauen-Allee in Richtung erstes Wasserhindernis in der Menagerie ging. Dann zeigte der Kurs auch eindrucksvoll, dass er nicht so flach ist, wie alle erwarteten und die Pferde mussten den Hügel hoch zur Vauban-Zitadelle. Kein Aktiver hatte dabei Zeit sich an der „Leseecke“ Marie Antoinettes zu delektieren (wie dieser Sprung genannt wird), auch das „Wissenschaftslabor“ aus dem 18. Jahrhundert wurde so nebenbei im Flug genommen. Die lange Galoppstrecke entlang des Grand Canals bedurfte einer genauen Zeiteinschätzung seitens der Jockeys, die sonst üblichen Touristenboote fehlten natürlich heute und die Gänse und Enten hatten sich an diesem Sonntag auch in stillere Gefilde zurückgezogen. Bevor es zum Reitstadion und dem letzten Wasserhindernis ging war noch eine heikle Auf-und-ab-Passage im Wald zu bewältigen. Die Schlussgerade beherbergte dann noch einen Ausblick auf „Los Angeles 2028“ und der finale Jump ging über „Liberté, Egalité, Fraternité“ - ja, die Gastgeber hatten sich wirklich etwas einfallen lassen. Stilvoll, mit Geschmack und Chic!

Und ebenso positiv fiel auch die Stimmung im Publikum auf, Jubel und Begeisterung für alle Aktiven, ohne chauvinistische Anwandlungen, auch wenn natürlich der Lärmpegel bei den „allez bleue“-Reitern höher war. So schön kann Reitsport sein!

Ernst Kopica