Verunsicherte PferdebesitzerInnen versprechen ein gutes Geschäft: Sie lassen sich oft leicht zu zweifelhaften Therapienund teuren Futterzusätzen überreden, die im besten Fall nichts nützen, im schlimmsten sogar schaden können. © Nadine Haase - fotolia.com
Die Lebenserwartung des Menschen hat sich in den vergangenen 130 Jahren mehr als verdoppelt – dank medizinischer Fortschritte und erhöhter hygienischer Standards sind viele lebensbedrohliche Krankheiten – zumindest in den entwickelten Ländern – ausgerottet oder behandelbar geworden. Doch fühlen sich die Menschen tatsächlich gesünder? Allem Anschein nach nicht, denn wie sonst wäre es zu erklären, dass auch noch so abstruse Therapien auf fruchtbaren Boden fallen und neue Syndrome und Pseudokrankheiten fröhliche Urstände feiern. Ganze Lebensläufe werden von Kindheit an pathologisiert und Menschen krankgeredet, sehr zum Nutzen der Pharmaindustrie und unseriöser Therapeuten. Vielfach gibt es die Erkrankungen zwar (zum Beispiel ADHS, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung), sie werden allerdings oftmals überdiagnostiziert. Das weite Feld der sogenannten alternativen Behandlungsmethoden schließlich macht es zunehmend unmöglich, seriöse Angebote von Scharlatanerie zu unterscheiden.
Ähnliche Entwicklungen sind auch in der Pferdewelt zu beobachten. Sehr verbreitet ist in diesem Zusammenhang die „Diagnose“ eines Mangels, der die Gesundheit der Tiere nachhaltig beeinträchtigen könne. Nicht nur, dass die Geldtasche des Pferdebesitzers durch vielfach unnötige „Therapeutika“ belastet wird – in manchen Fällen ist eine unkontrollierte Supplementierung von Vitaminen und/oder Spurenelementen sogar gefährlich. So zum Beispiel bei Selen, einem sehr populären „Mangelstoff“.
Die Selenmangel-Irreführung
Bei vielen Pferden wurde bis vor einigen Jahren ein Selenmangel diagnostiziert, der faktisch keiner war. Schuld an der Fehldiagnose waren viel zu hoch angesetzte Referenzwerte, Von-bis-Werte, die von Zeit zu Zeit wissenschaftlich überprüft und – wenn nötig – korrigiert werden.
Tatsächlich wurden im Jahr 2007 die Referenzwerte für Selen europaweit von 14 bis 25 ?g/dl (Mikrogramm pro Deziliter) auf 7 bis 25 ?g/dl nach unten korrigiert, auf einen Wert, der bereits 2001 im Standardwerk zur Pferdefütterung von Helmut Meyer und Manfred Coenen so definiert war. Damit wurden die teuren Selen-Präparate, die so manchem Hersteller und Vertreiber ein gutes Zubrot bescherten, überflüssig.
Selentoleranz beim Pferd gering
Die Toleranz des Pferdes gegenüber Selen ist gering. Bei Gehalten von 4 mg Selen pro Kilogramm Trockensubstanz muss laut Prof. Dr. Helmut Meyer mit einer Selenvergiftung gerechnet werden, was sich durch Futterringe an den Hufen, Ausfall von Haaren an Mähne und Schweif oder unspezifische Lahmheiten äußern kann. In einer Studie wurden insgesamt 304 Grasproben aus sieben deutschen Bundesländern untersucht. Sie zeigten eine Spannweite von 0,011 bis 0,123 mg Selen pro Kilogramm Trockensubstanz. Fünf Kilogramm Heu enthielten demnach zwischen 0,06 bis 0,75 mg Selen (Bedarf: 1 bis 1,5 mg Selen pro Tag bzw. 0,1 bis 0,2 mg Se/kg Trockensubstanzaufnahme).
Bei ausschließlicher Fütterung von Gras, Heu oder Silage ohne weitere Zufütterung wird die Empfehlung zur Selenaufnahme häufig weit unterschritten, durch das Verfüttern von zahllosen Ergänzungspräparaten kann es zu einer deutlichen Überversorgung kommen. Denn die Spanne zwischen optimaler Versorgung und der Grenze zur Toxizität ist für Selen relativ gering. Die in einer Dissertation der Tierärztlichen Hochschule Hannover aufgelistete Aufnahme in praxisüblichen Rationen reicht von 0,1 bis 2,0 mg Selen pro Kilogramm Trockensubstanz der Futterration. Dabei sei zu beachten, dass der von der deutschen Gesellschaft für Ernährungswissenschaften angegebene Gehalt von 2,0 mg Selen pro Kilogramm Trockensubstanz schon als Schwellenwert zur chronischen Toxizität beurteilt wird. Aus diesem Grund sollte man – wenn man sich in dieser Hinsicht unsicher ist – eine spezielle Futtermittelanalyse bei einer landwirtschaftlichen Untersuchungsanstalt und ein Blutbild anfertigen lassen. Manchmal reicht auch die einfache Kalkulation, da Selen in den Ergänzungsfuttermitteln angegeben sein muss. Im Grünfutter wie Gras und Heu sind die Se-Gehalte generell niedrig.
KPU: Konstruierte Krankheit?
Eine Zink-Mangelerkrankung – zusammen mit einem Vitamin-B6-Mangel – bei Pferden tauchte plötzlich 2009 auf: die „Kryptopyrrolurie“ (KPU). Erste Untersuchungen der sogenannten Pyrrolurie gehen auf die 1960er- Jahre zurück, als der Kanadier DG Irvine einen Stoff im Urin, der sich mit einem bestimmten Reagenz blau färbte, als Mauve-Factor bezeichnete. Wenig später wurde dieser Stoff als Kryptopyrrol (eine organische Verbindung aus der Gruppe der Heteroaromaten) identifiziert. Carl Curt Pfeiffer, Gründer des Brain-Bio Center in Princeton, New Jersey, ein weiterer Vertreter der Pyrrolhypothese, postulierte, dass Pyrrol eine chemische Verbindung mit Vitamin B und Zink eingehe und im Urin ausgeschieden werde, wodurch ein Mangel an Vitamin B6 und Zink entstehe. Einen Nachweis für seine Hypothese blieb er allerdings schuldig.
„Mit dieser Hypothese endete die Forschung um die Identität des Mauve- Faktors, obwohl in den 1970er-Jahren die chemische Spurenanalytik einen rasanten Aufschwung erlebte. Eine sichere Bestätigung der chemischen Identität des Pyrrols fehlt bis heute“, so eine Veröffentlichung des Robert Koch Instituts zur (Krypto-)Pyrrolurie aus dem Jahr 2007*.
Selbst wenn, so Prof. Dr. Hildegard Przyrembel, Autorin der Studie, mit dem Pyrrol Zink und Vitamin B6 ausgeschieden würde, so wäre die Menge derart gering, dass ein daraus resultierender Mangel nicht anzunehmen sei. Nichtsdestotrotz wurden aufgrund dieses nur postulierten und nicht nachgewiesenen Mangels zahlreiche Symptome – von Mundgeruch, morgendlicher Übelkeit, schlechter Traumerinnerung, engstehenden Vorderzähnen im Oberkiefer, Depressionen, Über- bzw. Untergewicht, ADHS bis hin zu „sie gehören zu einer Familie mit nur Mädchen, die einander ähnlich sehen“ – konstruiert und als eigenständige Stoffwechselkrankheit „Kryptopyrrolurie“ behandelt.
KPU soll zahlreiche, teils nicht eindeutig zuordenbare Symptome verursachen, etwa Mauke (im Bild), Hufprobleme, Hautpilz und Kotwasser und viele weitere mehr. bislang gibt es allerdings keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass es die Erkrankung KPU überhaupt gibt. © Lothar Lenz
Zusammenfassend kommt Prof. Dr. Hildegard Przyrembel in ihrer umfassenden Untersuchung zum Schluss: „Die in der früheren Literatur geäußerten Hypothesen über einen Zusammenhang zwischen Pyrrolen im Urin und verschiedenen Erkrankungen wurden nicht bestätigt. Außerdem sind Herkunft und chemische Identität der in Rede stehenden Stoffe nicht hinreichend geklärt. Neuere wissenschaftliche Literatur fehlt. Somit kann bei einer eventuell erhöhten Ausscheidung des Mauve-Faktors oder von Pyrrolen derzeit nicht auf eine Stoffwechselstörung oder eine Erkrankung zurückgeschlossen werden. Eine darauf aufbauende Diagnose oder gar Therapieform entbehrt beim heutigen Kenntnisstand der wissenschaftlichen Grundlage. Die Pyrrolurie ist ein Befund, der nach wissenschaftlichen Kriterien keiner Krankheit zugeordnet werden kann.“
Bis heute gibt es keine wissenschaftlich fundierten Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen Pyrrol im Urin, einem Zink- bzw. Vitamin-B6-Mangel und den geschilderten Symptomen belegen würden. Dennoch wird munter diagnostiziert und therapiert – nicht nur beim Menschen, sondern seit einigen Jahren auch bei Pferden.
KPU kann nachgerade als Modediagnose bezeichnet werden. Allerdings wird als Ursache für KPU beim Pferd eine gestörte Darmflora postuliert, die mit den geeigneten Mittelchen wieder in Ordnung gebracht werden kann. Glanzloses Fell, schlechte Performance? KPU. Mauke, Appetitlosigkeit, Depression? KPU. Husten, empfindliche Haut? KPU. Die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Susanne Weyrauch-Wiegand äußerte sich 2012 in einem Fachbeitrag „KPU – Erbkrankheit oder Kollateralschaden eines Zink- und Vitamin-B6-Mangels?“ skeptisch: „Die angebliche Erbkrankheit KPU wird in bestimmten Kreisen diagnostiziert und mit einem Urintest untermauert. Durch die Aufzählung klassischer Zink- und Vitamin-B6-Mangelsymptome wird eine eigenständige Krankheit formuliert, die beim Pferdebesitzer das Gefühl erweckt, sein Pferd sei unheilbar krank. Abhängig von angeblichen Therapeuten und selbsternannten Ernährungsberatern soll er nun in Zukunft viel Geld für Spezialfutter ausgeben und lebt mit dem Gefühl einer letztendlich unlösbaren Problematik.“
Die angeführten Symptome seien nichts anderes als klassische Nährstoffdefizitsymptome, die von den Verfechtern der KPU aber als eigene Krankheit interpretiert würden: Leistungsschwäche, Darmprobleme, Pilzinfektionen und Mauke, Störungen des Immunsystems, Sommerekzem und COB, Unfruchtbarkeit bei Stuten und Hengsten sowie psychische Auffälligkeiten. „Bevor man zu teuren Tests einwilligt und sich große Sorgen macht, ist es vielleicht sinnvoller, zunächst abzuchecken, ob der Zinkbedarf beim Pferd durch die Fütterung gedeckt ist.“
Auch scheinbar unerklärliche Rückenprobleme sollen auf KPUzurückzuführen sein. Möglicherweise ist aber auch der Reiter die Ursache der Verspannung. Das hört man aber nicht so gerne… © JM Fotografie
Auch die Fachtierärztin für Tierernährung und Diätetik PD Dr. Ingrid Vervuert vom Institut für Tierernährung der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig, Co-Autorin der Neuauflage des Klassikers von Prof. Dr. Manfred Coenen „Pferdefütterung“, findet klare Worte zum Thema KPU: „Es gibt keinen Nachweis, dass es diese Erkrankung beim Pferd gibt.“ Für Vitamin B6 im Blut gäbe es außerdem keinen Referenzwert, wie alle B-Vitamine synthetisiert das Pferd dieses B-Vitamin selbst, ein ernährungsbedingter Mangel käme also nicht vor. Ein Mangel könne – so vermutet man – nur dann auftreten, wenn eine massive Durchfallerkrankung vorliegt – oder bedingt durch eine Antibiotikatherapie. Aber dann seien alle B-Vitamine davon betroffen, und nicht Vitamin B6 allein. „Zum Zink ist zu sagen, dass sich ein Mangel im Blutplasma schwer nachweisen lässt, da Zink im Pferdekörper überwiegend in Organen wie Leber und Niere, aber auch in der Haut genutzt wird. Zwar werden in Blutuntersuchungen häufig Zinkwerte unterhalb des Referenzbereichs festgestellt – häufig bei Routineuntersuchungen –, ohne dass ein Zinkmangel vorliegt. Die Zinkuntersuchung im Blut ist somit kaum geeignet, um die Zinkversorgung des Pferdes zu klären. Ein niedriger Zinkwert im Blut sagt allenfalls etwas darüber aus, dass der Körper mehr Zink benötigt. Zink wird aber nicht im Blut benötigt, sondern in der Haut oder in verschiedenen Organen – und ob da Zink fehlt, kann über das Blut nicht festgestellt werden.“
Eine Zinkmangelsymptomatik aufgrund einer unzureichenden Zinkaufnahme sei beim Pferd außerdem selten und hänge manchmal auch damit zusammen, dass die Zink-Aufnahme gestört ist – zum Beispiel durch zu hohe Kalziumgaben im Futter. „Wir empfehlen daher im Zweifelsfall eine Rationsüberprüfung: 30 bis 50 mg Zink pro kg Trockensubstanz (~500 mg Zink in der Gesamtration) gelten als ausreichend für ein 550 bis 650 kg schweres Pferd.“ Eine höhere Zinkaufnahme ist nur bei Hufhorn- oder Hautproblemen (z. B. Sommerekzem) sinnvoll.
Geopathische Zonen: machen Strahlen unsere Pferde krank?
Ein Zinkmangel des Pferdes lässt sich mit einer Blutuntersuchung allein nicht nachweisen. © Claudia Otte - fotolia,com
Wenn ein Pferd ohne erkennbare Ursachen oft überempfindlich reagiert, übermäßig nervös oder gar chronisch krank ist und der Tierarzt keinen Rat mehr weiß, befindet sich der Pferdestall im Bereich von sogenannten geopathischen beziehungsweise krankmachenden Störzonen – behaupten „Erdstrahlenspezialisten“. Solche Verhaltensauffälligkeiten oder Erkrankungen würden durch Wasseradern oder Erdverwerfungen erzeugt, die sich unter dem Stall befänden. Allerdings sind diese wissenschaftlich bisher noch nie nachgewiesen oder aufgezeichnet worden. In Österreich gibt es hierzu einen gewaltigen Markt, der sich mit diesen Erscheinungen beschäftigt. Dabei fließen beachtliche Geldsummen. Aber warum? Die Erklärung scheint nicht einfach, jedoch spielt vermutlich die Unsicherheit der PferdebesitzerInnen eine große Rolle. Dabei wird nicht selten mit der Angst der Betroffenen gearbeitet.
Zum „Reinigen“ schädigender Strahlenquellen verwenden diese „Spezialisten“ dann allerlei Vorrichtungen wie Kugeln, Halbkugeln, GEOTAC-Platten oder Borsilicium-Stäbe. In den einfachen und preiswerten Fällen kommt der Wünschelrutengänger oder der Auspendler, es gibt aber auch Luxusvarianten mit Rundumschutz, die bis zu 2000 Euro kosten können. Einige „Fachleute“ bieten sogar Fernentstörungen nach Foto an, Kosten pro Box um 45 Euro. Je länger Pferde einer Strahlenbelastung ausgesetzt würden, so die bedrohliche Botschaft, desto schwerer wiegende gesundheitliche Folgen könnten in Erscheinung treten. Solche seien „rheumatische Gelenkserkrankungen, Lähmungen und bösartige Blutarmut (Zerfall der roten und überwiegend der weißen Blutkörperchen)“. Der Wiener „Energethiker“ Zbigniew Majchrowski zum Beispiel beschreibt auf seiner Homepage: „Pferde reagieren auf Strahlungen sehr empfindlich. Sie werden nach einigen Tagen an einem verstrahlten Ort nervös, verweigern Futter und schwitzen“. In so einem Fall wäre es allerdings eher angeraten, einen Tierarzt bzw. eine Tierärztin zu konsultierten.
Seriösere Radiästheten empfehlen schlicht, sogenannte strahlenbelastete Stellen zu meiden, da es noch keine Geräte gäbe, die derartige Erdstrahlen abschirmen, entstören, minimieren, umleiten, geschweige denn zunichte machen könnten. Aber es gibt auch andere, die aus der Strahlenangst viel Geld schlagen. So wird z. B. zum Schutz gegen Erdverwerfungen und Wasseradern ein „Pferde Pad“ angeboten, das auf den Pferderücken gelegt wird. Das „Pferde Pad ist mit einem sehr hochfrequenten energetischen Material gefüllt, wodurch sowohl der Energiekörper des Pferdes wie auch der Energiekörper des Reiters geschützt wird“. Es „pumpe“ Energie mit hoher Schwingungsfrequenz in beide Energiekörper, wodurch jede Zelle angeschwungen und der Energiepegel in beiden Organismen erhöht werde. Darüber hinaus biete es auch Schutz vor „belastenden emotionalen Energien der Menschen“. Stolze 288 Euro kostet dieser Rundumschutz.
Feng-Shui-Berater
Diverse Pülverchen sollen teils erfundene Krankheiten kurieren, speziellen Zusatzpräparate angeblicheDefizite an Mikronährstoffen ausgleichen – ein gutes Geschäft für Hersteller und Vertreiber. © www.slawik.com
Äußerst problematisch wirken sich auch die Auslegungen der (durchaus sinnvollen) Gedanken des Feng Shui durch einige Feng-Shui-BeraterInnen im Umfeld der Pferdehaltung aus. Nicht selten finden sie im Bereich der Box des betroffenen Pferdes mit Hilfe des „Biotensors“ dann auch eine „pathogene Störzone“. Beim Biotensor handelt es sich um eine Einhand- Antenne (einhändige Wünschelrute), mit der Veränderungen des Schwingungsfeldes (Aura) am Pferd erfasst werden könnten. Diese und ähnliche „Messmethoden“ werden unter dem Begriff Radionik geführt und sind ebenfalls allesamt wissenschaftlich nicht anerkannt.
Bevor man also einen solchen „Spezialisten“ in seinen Stall holt, sollte man sorgfältig prüfen, ob es nicht doch nachvollziehbare Ursachen für die Verhaltens- oder Gesundheitsstörung des Pferdes gibt. Meist ist nämlich nicht die angebliche Wasserader unter der Box für Verhaltensauffälligkeiten oder Krankheiten verantwortlich, sondern die Boxenhaltung an sich, also Bewegungsmangel, Langeweile, schlechte Luft, mangelndes Licht, fehlender Sozialkontakt oder aber auch ein unliebsamer Boxennachbar, Futterneid, allergische Reaktionen auf Anstriche, Einstreumaterialien oder Staub.
Fragwürdige Heilmethoden: die „Geistige Begradigung“
Manchmal ist es auch einfach unliebsamer Boxennachbar, der das Wohlbefinden des Pferdes empfindlich stört. © kichigin19 - fotolia.com
Bei der Geistigen Begradigung handelt es sich nicht um eine orthopädische Behandlung, sondern um eine sekundenschnelle geistige Heilung ohne den Patienten zu berühren. Sie dient der Korrektur von Beinlängendifferenzen und Beckenschiefständen und damit einhergehenden Fehlhaltungen der Wirbelsäule. Bei der Behandlung werden dem Patienten im Humanbereich zunächst die Bedeutung der Chakren (= subtile Energiezentren zwischen dem materiellen Körper und dem subtilen Körper, d. Verf.) und ihre Beziehung zur Wirbelsäule erklärt, dann wird er in Übungen zur „Chakrenreinigung“ instruiert und meditiert. Wird erkannt, dass der Patient in Resonanz mit der kosmischen Schwingung ist, wird die Aufrichtung vollzogen. Dies geschieht innerhalb von Sekunden ohne Berührung. Was aber hat das mit Pferden zu tun? Allgemein wird bei Tieren meist die „Fernbegradigung“ durchgeführt, bei welcher der tierische Patient nicht persönlich anwesend sein muss, ein Foto reicht. Während man Hamster und Stubenvögel schon für 10 Euro begradigen lassen kann, kostet die Fernbegradigung bei Pferden ab 30 Euro, wobei es aber vorteilhaft sei, Pferd und Reiter vor Ort zu begradigen. Kurse zum Erlernen des Begradigens werden ab etwa 150 Euro angeboten.
Auf die „Tiere wirkt sich die geistige Begradigung sehr segensreich aus. Gerade bei Pferden, wenn Pferd und Reiter begradigt sind“ oder „Pferde seien besonders sensibel für Energiearbeit und nehmen sie dankbar an. Sie lassen sich nicht von ihrem Intellekt behindern und spüren sofort, dass etwas Besonderes geschieht. Bei allen Beschwerden im Bewegungsapparat und organische Beschwerden nehmen Pferde gerne diese Art von Heilung an. Selten ein Pferd, dass auch mal im Alter keine Probleme mit dem Bewegungsapparat hat. “ so und ähnlich lauten die Argumente der AnbieterInnen.
Diese Beispiele zeigen, wie schnell aus einem gesunden Pferd ein scheinbar krankes werden kann, wenn ohne klinische Symptomatik angebliche Defizite bei bestimmten Spurenelementen und Vitaminen postuliert werden oder typische Mangelerscheinungen bzw. Folgen von Fehlernährungen als eigenständige Erkrankung definiert werden. Auch teils selbsternannte Berater und Heiler, die sogar per Ferndiagnose via Foto agieren, machen Kasse mit leichtgläubigen PferdebesitzerInnen. Das Geschäft mit der Angst boomt – und anstatt über bedarfsgerechte Fütterung und artgemäße Haltung aufzuklären, werden verunsicherten PferdehalterInnen teure Produkte und „Therapien“ angedreht. Darum ist bei wissenschaftlich nicht belegten Diagnosen durchaus Skepsis angebracht – und bevor man sich diverse Supplemente und Nahrungsergänzungen aufschwatzen lässt, sollte man das Geld besser in eine Futtermittelanalyse stecken. Oder in eine verbesserte Haltung. Denn wie auch beim Menschen gilt beim Pferd: viele Befindlichkeitsstörungen brauchen keine Pille und kein Vitamin, auch keine Geistige Begradigung, sondern veränderte Lebensbedingungen. Dann stellt sich Wohlbefinden meist ganz von selber ein.
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Dieser Artikel wurde erstmals in den Ausgabe 1/2014 der Pferderevue veröffentlicht. Pferderevue AbonnentInnen können diese Artikel zusammen mit über 40.000 weiteren in unserem Online-Archiv kostenlos nachlesen. Einfach unter Service/Online-Archiv einloggen und in allen Heften aus 25 Jahren Pferderevue zum Nulltarif blättern!
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