Erste Anzeichen einer Erschöpfungsphase wie das Seitwärtsfallen der Ohren undgeschlossene Augen werden leichtübersehen, sind aber wichtigeAlarmzeichen, die man ernst nehmen sollte. © www.slawik.com
„Das Burnout-Syndrom (engl. (to) burn out: „ausbrennen“) ist ein Zustand emotionaler Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit, der als Endzustand einer Entwicklung bezeichnet werden kann, die mit idealistischer Begeisterung beginnt und über frustrierende Erlebnisse zu Desillusionierung und Apathie, psychosomatischen Erkrankungen und Depression oder Aggressivität und einer erhöhten Suchtgefährdung führt,“ heißt es bei wikipedia. Und weiter: „Nur jemand, der einmal entflammt war, kann auch ausbrennen!“. Soll heißen: Burnout kann nur bei solchen Individuen auftreten, die sich als Leistungsträger bewährt haben.
An diese richten sich auch die zahllosen Kurse und Seminare, die überall aus dem Boden sprießen. Das Bizarre: in vielen Seminaren werden ausgerechnet Pferde als therapeutische Vermittler eingesetzt, die den ausgebrannten, ehemals engagierten und leistungswilligen Menschen wieder Boden unter den Füßen geben sollen: „Pferde reagieren auf Stimmungen wie Aggressivität, Unruhe, Ängste und Ungeduld und spiegeln unser Verhalten durch eine umgehende Reaktion wider. Da Pferde hochspezialisierte Flucht- und Bewegungstiere sind, die nur in einem sozialen Verband überleben können, sind sie darauf angewiesen, kleine und kleinste Veränderungen in ihrer Umgebung wahrzunehmen. Damit sind sie ein lebendiger Spiegel unserer selbst“, heißt es z. B. auf der Website der Manager-Coacherin Brigitte Grässer.
Auch für das „Pferde-Burnout“ haben sich mittlerweile Vermarktungsstrategien aufgetan: So heißt es in einer Werbeanzeige: „Die Erholungskur für Ihr Burnout-Sportpferd: Immer arbeiten, keine Pause, kein Abschalten, keine Leistungsfähigkeit mehr, keine Konzentration, keine Ausstrahlung… Nicht nur wir Menschen leiden unter diesen Symptomen, sondern auch viele Sportpferde. Wir arbeiten mit diesen Pferden abwechslungsreich, damit sie wieder Spaß am Sport bekommen und nicht aus dem Training kommen“.
Auslöser: Dauerstress
Burnout beim Pferd gab es schon immer. Der korrekte Begriff lautet „Generelles Adaptationssyndrom“ (GAS), auch als allgemeines Anpassungssyndrom oder Selye’sches Syndrom bezeichnet. Es stellt die Gesamtheit aller unspezifischen Reaktionen des Organismus auf Stress dar, sowohl beim Menschen als auch beim Pferd.
Wer Pferde dauerhaft aggressiven und wenig artgerechten Trainingsmethoden aussetzt, öffnet man einem Burnout Tür und Tor. © www.slawik.com
Wenn also angeblich in erster Linie das Sportpferd an Burnout „erkrankt“, stellt sich dringend die Frage, ob nicht der sogenannte Dauerstress dafür ursächlich ist. Der kanadische Arzt Dr. Hans Selye (deswegen auch Selye’sches Syndrom) hat 1936 als einer der ersten die Folgen von Stress intensiv untersucht und teilte sie in drei zeitlich aufeinander folgenden Phasen ein: die Alarmphase, die Phase des Widerstandes und die Phase der Erschöpfung. „Stress“ heißt übersetzt „Druck“ beziehungsweise „Anspannung“ und wird durch verschiedene innere und äußere Reize – sogenannte Stressfaktoren – ausgelöst. Er bewirkt bestimmte Reflexe beim Pferd, die zur Problemlösung notwendig sind. Dabei werden in der Alarmphase bei einer für das Pferd vermeintlichen oder tatsächlichen akuten Gefahrensituation die körpereigenen Abwehrkräfte durch Erhöhung des Hormonspiegels und Ausschüttung entzündungshemmender Substanzen mobilisiert.
In der Widerstandsphase ist der Organismus durch die gesteigerte Hormonausschüttung widerstandsfähig gegenüber dem Stressor. Die Erschöpfungs- oder Anpassungsphase schließlich stellt die mentalen und physischen Reaktionen des Pferdes auf Dauerstress dar. Der Widerstand bricht zusammen, da eine weitere Anpassung nicht mehr möglich ist. Es folgen Immunsuppression und Krankheiten, was als Burnout-Syndrom definiert wird.
Es gibt eine ganze Reihe von Erkrankungen und gesundheitlichen Störungen, die durch Dauerstress bis hin zur Erschöpfungsphase (= „Burnout“) begünstigt oder sogar ausgelöst werden. Dazu zählen Magengeschwüre, Durchfall, Kotwasser, Kolik, Atemwegserkrankungen, Erkrankungen des Stoffwechsels, Schädigungen des Immunsystems, Allergien und Knochenverkalkungen. Dauerstress entsteht für das Pferd, wenn es ohne Unterlass oder häufig wiederkehrend immer denselben oder verschiedenen Stressfaktoren ausgesetzt wird. Diese können immerwährender Natur sein wie grundlegende Haltungs- oder Fütterungsfehler oder die dauerhafte Negierung elementarer Bedürfnisse wie das Bedürfnis, sich zu wälzen oder Sozialkontakte zu leben. Auch sich ständig wiederholende Stressoren wie unklare und widersprüchliche Hilfengebung beim Reiten, zu frühe und zu harte Ausbildung, zu häufiges Training, inkonsequenter Umgang oder ein zu intensiver Turnierbesuch mit häufigem Verladen und Transport führen zu einer ständig erneuten oder gar dauerhaften Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol. Das hat Folgen für den Stoffwechsel: Der Zuckergehalt im Blut steigt an. Für das Pferd lebenswichtige Fettdepots im Unterhautbindegewebe werden abgebaut, mit der Gefahr der Abmagerung und eines überhöhten Blutfettspiegels. In den Muskeln und Organen befindliches Eiweiß wird als Energiereserve genutzt, es kommt vermehrt zu Muskelverspannungen, Muskelabbau, Organ- und Wachstumsstörungen.
Durch die dauerhafte Hormonüberflutung befindet sich der Pferdekörper in einem unablässigen Alarmzustand. Er versucht immerzu – so wie die Natur es vorgesehen hat –, dieser vermeintlich lebensbedrohlichen Gefahrensituation zu entkommen. Dabei kanalisiert er alle Reserven auf die scheinbare Notlage und vernachlässigt permanent wichtige organische Funktionen wie den Erhalt beziehungsweise das Wachstum von Zellen (Muskeln, Knochen, Organe, Hufe) oder die Fortpflanzung (Aussetzen der Rosse bei Stuten). Auch der Mineralhaushalt gerät in ein Ungleichgewicht: Salz und Wasser werden den Zellen entzogen, was zur Austrocknung führt, Magnesium wird durch den Fettabbau nicht zur Verfügung gestellt, Kalk wird vermehrt eingelagert.
Symptomatik des „Burnouts“
Grundlegende Fehler in der Haltung wie permanente Boxenhaltung mit nur wenig oder keinem freien Auslauf, verursachen Dauerstress und bilden den optimale Nährboden für ein Burnout. © www.slawik.com
Sichere Anhaltspunkte eines „Burnouts“ sind Wesensveränderung, Leistungsabfall, Verweigerungen jeglicher Art wie Verladeprobleme oder untypische Verhaltensmuster wie scheinbar unerklärbare Aggressionen. Dann ist das Kind aber meist schon in den Brunnen gefallen.
Die ersten Anzeichen einer beginnenden Erschöpfungsphase sind dagegen schleichend und werden vom Besitzer bzw. Reiter nicht unbedingt gleich erkannt. Dazu zählt das Seitwärtsfallen der Ohren („Flügelohren“). Die Ohrmuscheln richten sich seitwärts-abwärts, was auf Teilnahmslosigkeit hinweist und zeigt, dass das Pferd das Interesse an seiner Umwelt verloren hat. Dabei lässt es oft die Unterlippe hängen, ähnlich wie beim Schlafen im Stehen, die Augen sind ganz oder teilweise geschlossen. Auch ein vernebelter, tiefer und nach innen gerichteter Blick deutet auf einen apathischen Zustand des Pferdes in der Erschöpfungsphase hin. Ein schlaffer oder eingeklemmter Schweif drückt Müdigkeit, Erschöpfung, Schmerz, Angst oder Unterlegenheit aus. Das Pferd entwickelt Ausweichverhalten wie das Wegdrehen von Kopf und Hals, im Extremfall Halswiegen und Kopfkreisen.
Behandlungsmöglichkeiten stressbedingter Muskelverspannungen (Muskeltherapie)
Wie bereits erwähnt, wird bei anhaltendem Stress in den Muskeln befindliches Eiweiß als Energiereserve abgebaut. Dadurch kann es vermehrt zu Muskelverspannungen kommen, die für das Pferd unbewusst und unwillkürlich ablaufen. Das Pferdegehirn weiß dann nicht mehr, wie es die Muskeln wieder entspannen kann, was man „sensomotorische Amnesie“ nennt. Das betroffene Pferd ist sich dessen nicht bewusst, dass es einen Teil seiner Muskulatur chronisch angespannt hält. In der modernen Stressforschung wurde festgestellt, dass sich Stress zuerst als Anspannung der Hals- und Nackenmuskulatur zeigt. Wenn diese nicht gelöst wird, weitet sich die Verspannung auf den gesamten Rücken aus und kann chronisch werden. An- und Verspannungen im Rücken haben auch zur Folge, dass Nerven gedrückt werden und dadurch der Informationsfluss eingeschränkt oder verfälscht wird. Ist der Informationsaustausch gestört – alle Zellen benötigen Informationen vom Gehirn, um richtig zu arbeiten – entsteht zuerst Unwohlsein und Konzentrationsmangel, dann Leistungsminderung und schließlich körperliche Anzeichen wie Muskelverspannungen. Es gibt inzwischen ein breites Spektrum zur Behandlung stressbedingter Muskelverspannungen.
Therapien zur Behandlung stressbedingter Muskelverspannungen
Muskeldehnungstechniken
Über Massage und Muskeldehnungstechniken werden in der Pferde-Physiotherapie Verspannungen abgebaut, Verklebungen des Gewebes gelöst, die Durchblutung gesteigert, Schmerzen gelindert und eine Verringerung des Muskeltonus (Spannungszustand der Muskulatur) erreicht.
Triggerpunkt-Behandlungen
Triggerpunkte (englisch „to trigger“ = „auslösen“) sind überempfindliche, im Muskelgewebe eingelagerte Bereiche, die bei Muskelzug und -druck einen Übertragungsschmerz sowie vegetative Symptome verursachen. Bei Pferden sind mittlerweile mehr als 40 Triggerpunkte bekannt. Es ist noch nicht vollständig geklärt, welche Faktoren für ihr Auftreten verantwortlich sind. Man vermutet eine Kombination von Überbelastung, Traumen, Stress, Ermüdung, ständig wiederholte Bewegungen, hohes Körpergewicht, große Anstrengungen oder Schock durch Stoß oder Schlag für die Entstehung von Triggerpunkten. Mittels einer spezifischen Massagetechnik werden diese Punkte bearbeitet, die Verspannung gelöst und die Schmerzen verringert. Um sie ausfindig zu machen, wird der Pferdekörper mit den Händen unter leichtem, später stärkerem Druck ausgestrichen. Dadurch wird das Gewebe auf Verhärtungen, Druckschmerzhaftigkeit und Muskelzuckungen untersucht. Anhand des Behandlungsprotokolls werden dann die verschiedenen Schmerzpunkte mit unterschiedlichen Techniken mit der Hand, aber auch mit Stoßwellen- oder Neuraltherapie behandelt.
Stresspunktmassage
Bei der Stresspunktmassage werden stressbedingte Verspannungen in der Muskulatur mit den Händen bearbeitet beziehungsweise beseitigt. Sie wurde in den 1950er Jahren vom Amerikaner Jack Meagher für die Therapie von Sportpferden entwickelt. Dabei werden Verspannungen und Verhärtungen in den Muskelfasern aufgespürt und mittels Druck und Reibung durch Faust, Handkante, Daumen und anderen Fingern „weich“ massiert beziehungsweise geklopft. Dadurch wird die Beweglichkeit der Muskeln wieder hergestellt und das allgemeine Wohlbefinden des Pferdes gestärkt. Bei der Stresspunktmassage konzentriert man sich auf 25 Punkte, die Meagher Stresspunkte nannte, und die an Muskelansätzen liegen. Ebenfalls zur Stresspunkttherapie nach Jack Meagher gehören spezielle Dehnübungen, die er seinen einzelnen Punkten zugeordnet hat.
Pferde-Akupunktur
Auch die Pferde-Akupunktur kann als Therapie bei der Behandlung stressbedingter Muskelverspannungen gute Dienste leisten. Die Akupunktur beruht auf der Vorstellung, dass es auf der Körperoberfläche sogenannte Meridiane gibt, Kanäle, in denen die Lebensenergie (Qi) fließt. Jeder Meridian ist einem Organ beziehungsweise Organsystem zugeordnet. Auf den Meridianen liegen die Akupunkturpunkte. Bei Reizung dieser Punkte durch eine Nadel, erhöhte Wärmezufuhr oder Fingerdruck werden schließlich die Regelkreise des Körpers durch Freisetzen chemischer Stoffe aktiviert, was unter anderem Schmerzen lindert oder Blockaden löst. Erfolge lassen sich gerade auch bei Verspannungen und Rückenproblemen feststellen.
Vitametik
Vitametik ist ebenfalls eine Art Druckpunkt-Massage und basiert auf den Erkenntnissen der Akupressur. Dabei werden mit den Daumen Entspannungsimpulse an bestimmten Punkten der verspannten Muskulatur, besonders an Hals, Nacken und Rücken, ausgelöst. Die Vitametik soll daneben auch „ganzheitlich“ wirken. Sie dient zur Entspannung der Muskulatur, um das lebenswichtige Nervensystem vom Druck der verspannten Muskeln zu befreien.
Vermeidung ist die beste Therapie
Kann sich ein Sportpferd zwischen den Wettkämpfen genügend erholen, sinkt das Burnout-Risiko deutlich. © www.slawik.com
Wer „Burnout“ bei seinem Pferd verhindern will, muss vor allem Dauerstressfaktoren ausschließen. Dazu gehört in erster Linie eine möglichst artgerechte Haltung und Fütterung, vernünftiger und fairer Umgang, eine passende Ausrüstung, alters- und leistungsangepasste Ausbildung beziehungsweise Training sowie ausreichend lange Entspannungs- und Regenerationspausen zwischen den Wettbewerben.
Letzteres ist besonders wichtig, weil die Turniersaison mittlerweile nicht mehr im Herbst endet, sondern sich die winterliche Hallensaison praktisch nahtlos anschließt. Die Verhaltenstherapeutin Linda Weritz rät, Dinge zu vermeiden, die die Motivation eines Pferdes zunichte machen und in Leistungsverweigerung enden können. Hierzu gehören Frustration, erlernte Hilflosigkeit, Angst und Stress. „Ein Pferd kann frustriert werden, wenn es ihm aufgrund mangelnden Verständnisses nicht gelingt, eine Aufgabe befriedigend zu erfüllen. Falls das immer wieder vorkommt, wird es schließlich resignieren.“
Pferde, die kein positives Feedback auf ihre Leistung erhalten und damit das Gefühl haben, die Situation überhaupt nicht beeinflussen zu können, werden apathisch und depressiv. „Ist ein Pferd im Stadium der erlernten Hilflosigkeit angekommen und empfindet seine Situation als aussichtslos, ist der Weg für psychosomatische und psychische Krankheiten wie Magengeschwüre, Stresskoliken und Neurosen geebnet.“
Ohne Verhaltenstherapie sei ein solches Pferd nicht mehr in der Lage, neue Situationen nicht nach seinem alten Muster zu bewerten. „Das Pferd ist zerbrochen, die Psyche beschädigt.“ Habe sich ein Pferd innerlich aufgegeben, sei viel Motivationsarbeit nötig, um die Leistungsbereitschaft wieder zu wecken. „Am sinnvollsten ist es sicherlich, verschiedene Motivationstechniken gezielt einzusetzen und durch das Aufzeigen klar definierter Wahlmöglichkeiten eine allmähliche Steigerung der Leistungsbereitschaft zu erzielen“, empfiehlt Weritz.
Eins ist sicher: Leistung lässt sich nicht erzwingen! Da jedes Pferd eine individuelle Toleranzgrenze hat, ist es besonders wichtig, jedes feine Anzeichen für ein drohendes Burnout rechtzeitig zu erkennen, die möglichen Ursachen zu hinterfragen und die Anforderungen gegebenenfalls so weit zu reduzieren, dass das Pferd die Chance erhält, wieder Lust auf Leistung zu entwickeln.
Romo Schmidt
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