Jedes Pferd ist mehr oder weniger von Natur aus schief, eine ungleiche Belastung vor allem der Extremitäten ist die Folge. Das mag das wildlebende Pferd, das im gemächlichen Tempo von einem Grashalm zum nächsten schlendert, wenig stören. Sobald jedoch ein Sattel auf seinen Rücken kommt, kann diese ungleiche Belastung nicht nur Rittigkeitsprobleme nach sich ziehen, sondern auch gesundheitliche. Die Geraderichtung ist deshalb eines der Kernthemen in der Ausbildung des Reitpferdes. Durch regelmäßige Gymnastizierung sollen Dysbalancen in der Muskulatur ausgeglichen, und die langfristige Gesunderhaltung des Partners Pferd gewährleistet werden.
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Schluss mit schief: 7 Übungen für ein geradegerichtetes Pferd
Die natürliche Schiefe des Pferdes bereitet Reiter:innen mehr oder weniger ein Pferdeleben lang Probleme. Mit welchen gymnastizierenden Lektionen das Pferd gerader wird, erklärt Pferderevue-Autorin Dr. Britta Schöffmann. Weiterlesen ...
Dass es bei einer leichten Schiefe allerdings oft schon helfen kann, dem schwächeren Bein eine simple Hufglocke anzuziehen, zeigt die Arbeit eines dänischen Forscherteams aus dem Jahr 2018. Die Idee dahinter: Durch den lose sitzenden Ausrüstungsgegenstand nimmt das Pferd sein (schwächeres) Bein besser wahr, was dazu führt, dass es bewusster und auch stärker eingesetzt wird.
Inwieweit diese Theorie in der Praxis auch aufgeht, testeten Adrian P. Harrison von der Universität Kopenhagen in Dänemark und sein Team an acht Amateur-Dressurpferden, sechs Wallache und zwei Stuten, im Alter zwischen 6 und 15 Jahren. Die Pferde hatten in der Vergangenheit keinerlei auffällige Probleme mit Lahmheiten gehabt und galten zum Zeitpunkt der Studie als völlig gesund. Zur Ermittlung des Ist-Standes wurde die Tätigkeit des musculus gluteus superficialis, des oberflächlichen Kruppenmuskels, im Schritt, Trab und Galopp an der Longe gemessen. Bei allen Pferden wurde dabei eine leichte Schwäche des linken Hinterbeins im Vergleich zum Rechten festgestellt.
In sechs Wochen zum gerad(er)en Pferd
Als Hausaufgabe wurden die Pferdebesitzer:innen angewiesen, dem schwächeren Hinterbein ihrer Pferde in den folgenden sechs Wochen dreimal die Woche für 60 Minuten eine 80 g leichte Hufglocke aus Polyurethan während des gewohnten Trainings anzuziehen.
Das verblüffende Ergebnis: Beim Abschlusstest am Ende der sechsten Wochen konnten keine signifikanten Unterschiede mehr zwischen rechtem und linkem Hinterbein festgestellt werden.
Körperwahrnehmung verbessert
Das Geheimnis, das hinter dieser gleichermaßen einfachen wie genialen Methode steckt, ist die sogenannte Propriozeption, die Wahrnehmung des eigenen Körpers bzw. der einzelnen Körperteile und das Bewusstsein, wo im Raum sie sich gerade befinden und was sie im Moment tun.
Besonders in längeren Trainingspausen – beispielsweise aufgrund einer Verletzung – nimmt das Gefühl für den eigenen Körper ab. Das gilt umso mehr, je weniger Bewegung das Pferd in dieser Zeit hat. Boxenpferde mit keinem bis wenig Auslauf sind demnach stärker betroffen als Offenstallpferde. Eine schlechte Propriozeption bleibt auf Dauer nicht ohne negative Folgen. Sie reichen von schlechter Koordinationsfähigkeit über Störungen in der Balance bis hin zu häufigem Stolpern, Schreckhaftigkeit, Rittigkeitsproblemen und gehäuften Verletzungen, vor allem an den Beinen. In solchen Fällen sollte man der Selbst- und Tiefenwahrnehmung des Pferdes gezielt Aufmerksamkeit schenken. Am besten gelingt das, wenn man sich die Pferde auf vielen verschiedenen Untergründen bewegen können.
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