Gesundheit

Tierärzte warnen: Übergewicht bei Pferden zunehmend ernstes Problem

Ein Artikel von Pamela Sladky | 22.01.2019 - 10:11
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Auch wenn viele Pferdebesitzer "rund" mit "gesund" gleichsetzen: Übergewicht bei Pferden sollte nicht verharmlost werden.

Fettleibigkeit bei Pferden ist kein neues Problem, aber es scheint immer häufiger aufzutreten. Verschiedenen Studien zufolge leiden rund 50 Prozent der Tiere an Übergewicht, knapp 20 Prozent müssen sogar als fettleibig eingestuft werden, teilt die weltweit führende Organisation für Pferdegesundheit BEVA mit Sitz in Großbritannien in ihrer jüngsten Aussendung mit.

Dass es sich dabei nicht um bloße Theorie handelt und sich das Problem längst nicht auf die britische Insel beschränkt, bestätigt ein Blick in heimische Ställe. In Zeiten, in denen das Nahrungsangebot eine nie dagewesene Fülle erreicht hat, gute tierärztliche Versorgung und eine geschützte Unterbringung im warmen Stall die Norm sind und der Hang besteht, sofort zur Decke zu greifen, sobald das Thermometer Temperaturen unter 20 Grad Celsius anzeigt, laufen Ponys und Pferde zusehends Gefahr der Verfettung. Von dieser Entwicklung sind übrigens nicht nur reine Freizeitpferde betroffen, wie David Rendle vom Komitee für Gesundheit und Medizin der BEVA ausführt. Zusehends würden auch Sportpferde, allen voran Dressurpferde und solche, die an typischen britischen Schaureitbewerben (showing classes) teilnehmen, mit Übergewicht kämpfen.

„Viele Pferde werden nicht nur unbeabsichtigt übermäßig gefüttert, zu häufig eingedeckt und zu wenig trainiert. Durch die Verzerrung der Wahrnehmung, wie ein gesundes Pferd aussehen sollte, ist Übergewicht inzwischen zur Norm geworden“, so Rendle, der betont, dass viele Besitzer Probleme hätten, das Gewicht ihres Pferdes realistisch einzuschätzen. „Eine kürzlich unter mehr als 500 Pferdebesitzern durchgeführte Umfrage bestätigte, dass es den Menschen schwerfällt, übergewichtige Tiere als solche zu erkennen. Gerade unter Teilnehmern an Showreitklassen ist der Hang zum Übergewicht deutlich größer als bei anderen Reitsportdisziplinen.“

Kein Luxusproblem

Nach wie vor wird Übergewicht von vielen Pferdebesitzern verharmlost. Dabei gilt es heute als eine der größten Bedrohungen für die Pferdegesundheit. Wie beim Menschen ist ein Zuviel an Gewicht auch beim Pferd Auslöser für zahlreiche Folgeerkrankungen. Zu den gefürchtetsten zählt freilich die Hufrehe, die, im schlimmsten Fall, tödlich enden kann. Doch die extrem schmerzhafte Entzündung der Huflederhaut ist bei weitem nicht die einzige Beeinträchtigung, mit der sich dralle Tiere herumschlagen müssen. Häufig leiden Moppelpferde an Problemen mit der tiefen Beugesehne oder den Seitenbändern, an Gelenksschmerzen, und auch Stoffwechselerkrankungen wie Equines Metabolisches Syndrom und Cushing sind weit verbreitet.

Winter ideal zum Abnehmen

Wie wichtig das richtige Gewichtsmanagement ist, zeigt die BEVA an einem Beispiel aus der Praxis. Ocko, eine 17-jährige, stark übergewichtige Cob-Stute, entwickelte im März 2018 Hufrehe. Der Stute ging es derart schlecht, dass das Thema Einschläfern bereits im Raum stand.

Doch Ockos Besitzer wollten sich nicht so schnell geschlagen geben und konsultierten Veterinär Joe Mackinder. Der erfahrene Tierarzt diagnostizierte bei Ocko die Stoffwechselkrankheit Equines Metabolisches Syndrom (EMS), ein Symptomenkomplex, der durch eine unausgewogene Energiebilanz aus einem Nahrungsüberschuss und Bewegungsmangel hervorgerufen wird und Folgeerkrankungen wie der Hufrehe Tür und Tor öffnet. Als erste Maßnahme wurde ein Fütterungsplan erstellt, der auf strikte Zuckerreduzierung setzte. Zusätzlich bekam Ocko Medikamente – zur Beschleunigung des Gewichtsverlust einerseits, andererseits zur unterstützenden Behandlung der Hufrehe. 

„Ocko war im Winter immer noch geschoren und bekam nur eine leichte Decke, sodass sie bei kälterem Wetter abnehmen konnte, wie das von der Natur eigentlich vorgesehen ist. Die Besitzer befolgten die Vorgaben sehr genau und hielten sich detailgetreu an den Ernährungsplan. Bereits im August konnte Ocko wieder normal gearbeitet werden und hatte viel Gewicht verloren. Sie war gesund, hatte viel mehr Energie und konnte wieder deutlich mehr Leistung bringen“, erzählt Joe Mackinder.

Nach ihren Erfahrungen richtet Ockos Besitzerin, Andrea Hetherington, einen dringenden Appell an alle Pferdehalter: „Ich möchte die Menschen dringend dazu auffordern, ihrem Tierarzt zuzuhören und sich an das zu halten, was er ihnen aufträgt – die Pferde erholen sich nicht einfach so über Nacht, es braucht Zeit und Geduld.“ Und auch mit dem Erreichen des angestrebten Gewichtszustandes ist die Sache noch nicht erledigt: „Die Änderungen, die es für Ocko gab, werden uns für den Rest ihres Lebens begleiten. Nur so können wir sicherzustellen, dass sie langfristig gesund bleibt. Heute sind wir stolz darauf, dass wir ihre Rippen sehen können. Wir haben nie gemerkt, wie übergewichtig sie war und als wir gewarnt wurden, dass sie an Gewicht zunahm, fanden wir Ausreden. Auf diese Weise ist es so weit gekommen, dass wir nur noch Stunden davon entfernt waren, sie für immer zu verlieren. Wir hätten uns das niemals vergeben können.“
 

Rund ist das neue Normal

Die veränderte Wahrnehmung der Pferdehalter ist eines der Hauptprobleme für die zunehmende Fettleibigkeit unter Pferden, wie die BEVA ausführt. „In vielen Reitställen scheint es ein Stigma zu sein, ein „ fittes“ oder mageres Pferd zu besitzen, obwohl ein solches Pferd höchstwahrscheinlich gesünder ist als sein übergewichtiger Nachbar“, vermutet Lucy Grieve, Vorsitzende des Ethik- und Wohlfahrtskomitees. Diesen Eindruck bestätigt Joe Mackinder: „Die Leute wollen keine rippigen oder dünnen Pferde sehen. Heute ist es ganz normal, dass man in einem Einstellbetrieb mit deutlich mehr Kritik konfrontiert wird, wenn man bei einem Pferd die Rippen sehen kann, als wenn es fettleibig ist. Die Leute haben sich einfach an diesen Anblick gewöhnt.“ Die Leidtragenden dieser Realitätsverschiebung sind die Pferde.

Damit es gar nicht erst so weit kommt, rät Grieve Pferdebesitzern ein verstärktes Bewusstsein für die Problematik um frühzeitig die Notbremse ziehen zu können: „Ich kann nicht genug betonen, dass Vorsorge besser ist als heilen. Es ist einfacher erst gar nicht zuzunehmen, als hernach abnehmen zu müssen. Tierärzte und Besitzer müssen als Team zusammenarbeiten und die Pferde regelmäßig überwachen. Es ist wichtig, Maßnahmen zur Unterstützung der Gewichtskontrolle zu ergreifen und ein gesundes Gewicht für Ihr Pferd oder Pony festzulegen. Das ist vor allem in Hinblick auf den Frühling und die Risiken, die das Anweiden mit sich bringt, essenziell.“

Wie dicke Pferde schonend aber effizient abnehmen, lesen Sie hier.