GESUNDHEIT

Lahm oder nicht? Mehr als die Hälfte der Reiter:innen liegt mit ihrer Einschätzung daneben

Ein Artikel von Pamela Sladky | 17.06.2021 - 14:37
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Lahmheiten beim Pferd zu erkennen ist nicht immer leicht. Häufig verschätzen sich Pferdebsitzer:innen bei ihrer Beurteilung. © Elke Hellmich

Bei einem Pferd, das auf drei Beinen daherkommt, erkennt selbst der Laie, dass hier etwas nicht stimmt. Anders sieht es bei subtileren Lahmheiten aus. Man muss schon sehr genau hinsehen, um ein leichtes Ticken, ein verzögertes Abfußen oder einen weniger raumgreifenden Tritt zu bemerken. Und selbst erfahrene Pferdemenschen übersehen Ganganomalien wie diese öfter, als man meinen möchte.

Es gibt aber auch den umgekehrten Fall. Wenn man vom vagen Gefühl beschlichen wird, dass da vielleicht etwas sein könnte. Und je öfter und je länger man sein Pferd betrachtet, desto mehr erhärtet sich der Verdacht, dass das Pferd nicht rund läuft.

Falls Sie diese Szenarien kennen, trösten Sie sich: Sie sind damit nicht alleine. Das zeigt eine aktuelle Studie der Universität Zürich. In seiner Arbeit unter dem Titel „‘Riding Soundness‘ die orthopädische Gesundheit von Reitpferden auf dem Prüfstand“ wollte ein Team rund um Studienautorin Jasmin Müller-Quirin herausfinden, wie zuverlässig Pferdebesitzer:innen Lahmheiten bei ihren Pferden identifizieren können.

Dass es gerade in diesem Bereich große Defizite zu geben scheint, haben schon frühere Forschungsarbeiten ans Licht gebracht. Diesen zufolge hatten 75 bzw. 46 % von untersuchten Sportpferden, die von den Besitzer:innen als völlig gesund beurteilt worden waren, deutliche Befunde bei Lahmheitsuntersuchung geliefert. Das verhielt sich in der Zürcher Studie nicht anders.

Insgesamt wurden 304 Pferde im Zuge der Forschungsarbeit untersucht – 237 mittels klassischer Lahmheitsuntersuchung durch zwei erfahrene Diagnostiker in ihrem Heimatstall. 69 weitere Pferde lud man ins Ganglabor am Tierspital Zürich ein. Dort wurde unter anderem eine objektive Ganganalyse auf einem Laufband durchgeführt, bei der die Tiere an unterschiedlichen Stellen ihres Körpers mit Markern beklebt wurden, um die Bewegungen einzelner Körperteile besser zu verdeutlichen. Zusätzlich wurden die Auffußungskräfte aller vier Gliedmaßen zur Erfassung von Belastungsasymmetrien gemessen.
 

Jede:r Zweite kommt zu einem falschen Ergebnis

Obwohl die teilnehmenden Pferdebesitzer:innen allesamt als sehr erfahren galten, lagen sie mit ihrer Beurteilung erstaunlich oft daneben. So war mehr als der Hälfte (54,9 %) entgangen, dass ihre Pferde, die sie im Vorfeld als lahmfrei eingeschätzt hatten, tatsächlich gering- bis mittelgradige (Grad≥2/5 ) Ganganomalien aufwiesen. Bei zwei der vorgestellten Pferde wurden sogar Lahmheiten des Grades 3/5 festgestellt.

Andersherum liefen von den 53 Pferden, die von ihren Besitzer:innen als lahm beurteilt worden waren, nur 28 tatsächlich nicht einwandfrei. Auch hier lagen die Pferdebsitzer:innen bei jedem zweiten Pferd mit ihrer Einschätzung daneben.   

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Manche Lahmheitenzeigen sich erst unter dem Sattel. ©AnnaElizabeth - stock.adobe.com

Diese Ergebnisse werfen freilich kein gutes Licht auf die Kompetenz von Reiter:innen, wenn es um die Gangbeurteilung ihrer Pferde geht. Allerdings, so räumt das Forscherteam ein, müsse in Betracht gezogen werden, dass die Reiter:innen wahrscheinlich nicht allzu oft Gelegenheit haben, ihr Pferd vortraben zu lassen, um seinen Gang auch im ungerittenen Zustand unter die Lupe nehmen zu können. Zudem gebe es Formen von Lahmheiten, die nur beim Reiten erkennbar seien sodass diese in der Studie möglicherweise nicht aufgefallen waren. Dennoch bedeute das gehäufte Vorkommen von Lahmheiten des Grades 2 oder sogar darüber, dass selbst deutlichere Lahmheitsausprägungen unzureichend von Besitzer:innen erkannt werden und ein Bedarf an einer besserer Ausbildung von Pferdebesitzer:innen und Reiter:innen in diesem Bereich besteht.

Davon abgesehen macht die Studie aber auch einmal mehr deutlich, wie schwierig die Lahmheitserkennung beim Pferd ist. Und dass gerade bei leichten Ganganomalien eine einzige Untersuchungsmethode oft nicht ausreicht. Vielmehr sollte, so Jasmin Müller-Quirin und ihre Kolleg:innen, wann immer dies möglich ist, eine weitere diagnostische Untersuchungsmethode zur Gegenprüfung angewandt werden. Nur so ließen sich mögliche vorhandene Probleme eindeutig identifizieren – und unnötiges Pferdeleid verhindern.