AUF DEM PRÜFSTAND

PSSM: Viele gängige Behauptungen über die Erkrankung schlichtweg falsch

Ein Artikel von Liza Gerber, Tina Löffler | 13.10.2022 - 14:21
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Lange galt die PSSM Typ 1 als Problem der Westernpferde. Heute weiß man, dass sehr viele Pferderassen davon betroffen sein können.   © www.slawik.com

Was ist PSSM überhaupt? Wie gehe ich damit um? Ist mein Pferd noch reitbar? Was füttere ich jetzt am besten? Wer mit der Diagnose PSSM konfrontiert wird, hat viele Fragen. Das Internet ist in diesem Zusammenhang Fluch und Segen zugleich. Es liefert eine Fülle an Informationen, doch nicht alles, was im WWW verbreitet wird, ist auch richtig. Liza Gerber, Ernährungsberaterin für Pferde aus Brandenburg und Tina Löffler, Pferdephysiotherapeutin und Ernährungsberaterin für Pferde aus dem Rhein-Main-Gebiet, beschäftigen sich seit einem Jahrzehnt intensiv mit dem Thema und haben acht typische Behauptungen rund um PSSM1 auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft.
 

1. PSSM ist eine Modeerscheinung, früher gab’s das nicht!

Diese Behauptung ist falsch. PSSM existiert wahrscheinlich bereits rund 1.200 Jahre, und spätestens seit Pferde domestiziert und mit Getreide gefüttert werden, kennt man Beschreibungen von Muskelerkrankungen. Früher wurden z. B. Kreuzverschläge am freien Montag bei Arbeitspferden häufig beobachtet, nur wurde dies damals nicht mit einer möglichen genetischen Prädisposition verknüpft. Zudem wurden Arbeitspferde schneller aussortiert oder Leistungspferde aus dem Sport genommen, wenn sie grob auffällig wurden. Manche galten einfach als gemeinhin schwierig, faul oder unrittig. Was früher ein Vorteil für Pferde in freier Wildbahn war, ist in der modernen Pferdehaltung auf eingeschränkten Flächen mit oft zu zucker- und energiereicher Fütterung bei ungleich intensiverer Nutzung ein Risikofaktor. PSSM ist zwar kein Todesurteil für das Tier selbst, sollte aber ernst genommen werden, da es eine angepasste Fütterung und Haltung benötigt, um es möglichst symptomfrei zu halten.

2. Pferde mit PSSM dürfen kein Getreide fressen!

Diese Aussage ist richtig, aber nur die halbe Wahrheit. Bei der Fütterung von Pferden mit PSSM ist auf alle Kohlenhydrate zu achten. Hierzu zählen die verschiedenen Zuckerarten wie Einfachzucker (Monosaccharide), Zweifachzucker (Disaccharide) und auch Mehrfachzucker (Polysaccharide) wie Stärke. Diese besteht aus vielen aneinandergereihten Zuckermolekülen. Getreide ist bei PSSM nicht geeignet, da es zwar moderat Zucker, aber eben auch sehr viel Stärke enthält. Ebenso sollten aber auch getreidefreie Futtermittel nicht zu viele Kohlenhydrate enthalten. Für Pferde mit Typ- 1-PSSM wird empfohlen, in der Gesamtmenge einen NFC von zehn bis maximal zwölf Prozent nicht zu überschreiten. Auch bei anderen Myopathien ist eine kohlenhydratarme und teilweise fettreiche Fütterung indiziert, wenngleich keine so engen Grenzwerte zu beachten sind.

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Pferde mit PSSM sollten möglichst wenig kohlenhydrathaltige Futtermittel auf ihrem Speiseplan haben. Getreide hat durch den hohen Stärkeanteil sehr viele Kohlenhydrate und sollte daher bei Myopathien generell eher nicht gefüttert werden. © www.Slawik.com

3. Weidegang ist tabu für Pferde mit PSSM!

Diese Behauptung ist falsch. Vor allem Myopathie-Pferde mit einem erhöhten Eiweißbedarf profitieren meist sogar vom Koppelgang, denn dieser bietet ein natürliches Bewegungsmuster sowie eine zusätzliche protein- und aminosäurenreiche Futterkomponente. Schwierig kann der schwankende Zuckergehalt von Gras im Laufe der verschiedenen Wachstumsperioden vor allem für Typ-1- Pferde werden. Es kommt bei der Bewertung des Weidegangs also immer auf Faktoren wie die Jahreszeit, den Aufwuchs und den generellen Zustand der Koppel an. Fette Weidelgräser und die üppigen Wachstumsperioden im Frühjahr und Herbst können auch für Pferde ohne Myopathie gefährlich werden. Es sollte sich daher an Weidegang langsam herangetastet werden. Abgeblühte Gräser und überständige Flächen sind zu bevorzugen.


4. PSSMler sollten Heu grundsätzlich immer ad libitum (zur freien Verfügung) haben!

Auch diese Behauptung ist falsch. So individuell wie der Energiebedarf eines jeden Tieres ist, so unterschiedlich kann der Energiegehalt von Raufutter sein. Nur wenn bei freiem Zugang zu Heu sichergestellt werden kann, dass nicht mehr Energie aufgenommen wird, als das Pferd tatsächlich benötigt, ist eine Ad-libitum-Fütterung möglich und sinnvoll. Eine Heuanalyse sollte zur Bestimmung der notwendigen Parameter herangezogen werden. Ein weiterer Faktor für die Auswahl des Raufutters ist der Zuckergehalt, der Restriktionen nötig machen kann. Alternativ sollte man sagen: Nur wenn es die Futter- und Zuckerwerte des Heus in Verbindung mit dem Bedarf des Tieres erlauben, ist eine Ad-libitum-Fütterung die anzustrebende Methode. Durch eine Heuanalyse bekommt man einen deutlich besseren Einblick, wie gut Heu geeignet ist und wie sehr die Zufuhr gegebenenfalls durch bestimmte restriktive Maßnahmen beeinflusst werden muss.

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Zeitlich angepasster Weidegang auf geeigneten Flächen wird nur in Ausnahmefällen von PSSM-Pferden gar nicht vertragen. Abgeblühte  Weiden sorgen für die geringste Gefahr. © www.slawik.com

5. PSSM-Pferde muss man jeden Tag reiten!

Eine häufig gehörte Aussage in Bezug auf PSSM und doch ist sie falsch. Tatsächlich kommt es immer auf die Haltungsform des jeweiligen Tieres an. Wer in Boxenhaltung steht und nur tagsüber auf Paddock oder Koppel kommt, ist weiterhin zehn bis 14 Stunden oder sogar länger eingesperrt, braucht also ein angepasstes und ausgleichendes Bewegungsprogramm. Pferde, die in einem Aktivstall oder Paddocktrail stehen und dort im Idealfall eine aktive Herde haben, legen täglich viele Kilometer im Freilauf zurück und müssen nicht zusätzlich täglich trainiert werden. Ausreichend Pausen zur Regeneration sind auch für PSSM-Pferde wichtig. Wie intensiv zusätzlich gearbeitet werden muss, bleibt also individuell.

6. Ein Pferd mit PSSM muss im Offenstall gehalten werden!

Ebenso falsch. Ohne Frage ist ausreichend Zeit im Freilauf essenziell für Pferde mit PSSM. Aber zu wenige Offenställe haben ein gutes Konzept, genug Platz, ausreichend Fressstellen, eine harmonische Herdenzusammenstellung – eben alles, was ein möglichst artgerechtes, stressfreies Herdenleben möglich macht. Zudem ist nicht jedes Pferd geeignet für ein Leben im Offenstall. In einer ungeeigneten Laufhaltung ist der Stress eventuell enorm und kann so Trigger für Schübe werden. Wieder entscheidet hier der individuelle Fall, welche Haltungsform die beste für das jeweilige Tier ist.

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PSSM-Pferde brauchen täglich ausreichend Bewegung. Diese muss aber nicht automatisch über das Training erfolgen. © www.Slawik.com

7. Mein Pferd ist nur Genträger, PSSM ist nicht ausgebrochen!

Diese Behauptung ist leider falsch. PSSM ist ein autosomal-dominanter Gendefekt, was heißt, dass es nicht wie bei rezessiven Erbgängen reine Trägertiere gibt und auch Einzelgenträger Symptome entwickeln können. Das Pferd ist mit einer veränderten Zuckerspeicherung geboren und wird diese zeitlebens haben. Der klinische Zustand eines PSSM-Pferdes ist aber abhängig von der aktuellen Haltung und Fütterung, also in beide Richtungen reversibel. Ein symptomatisches Pferd kann durch gutes Management völlig unauffällig werden. Doch auch ein gut eingestelltes Pferd kann leider wieder symptomatisch werden unter schlechten Bedingungen. Zudem ist eine Genmutation immer als Prädisposition für klinische Probleme zu sehen. Ob und wie auffällig das individuelle Tier wird, hängt von mehr Faktoren als nur der Genetik ab.


8. Doppelgenträger sind immer symptomatischer als Einzelgenträger!

Auch das ist nicht richtig. In der Praxis trifft man sowohl auf hochsymptomatische Einzelgenträger als auch fast symptomfreie Doppelgenträger. Jeder Fall ist individuell zu sehen und in einem hohen Maße abhängig von Haltung und Fütterung. Zu stimmen scheint aber: Je mehr Varianten in Kombination bei einem Tier vorliegen, desto früher und stärker zeigen sich Symptome. Daher könnte man sagen: Wie symptomatisch ein PSSM-Pferd wird, hängt mit deutlich mehr Faktoren zusammen als nur dem reinen Genstatus. Über eine optimierte Fütterung und Haltung kann man bestehende Symptome jedenfalls stark reduzieren.

Buchtipp

In ihrem Buch „PSSM: Wenn Gene Muskeln stören – Die Polysaccharid-Speicher-Myopathie verstehen und betroffene Pferde symptomfrei halten“ befassen sich Liza Gerber und Tina Löffler ausführlich mit der Polysaccharid-Speicher-Myopathie (PSSM) Typ 1 beim Pferd, einer Genmutation, die Pferden das Leben schwer machen kann, da Muskel- und Zuckerstoffwechsel bei betroffenen Tieren anders reagieren als bei Pferden ohne diesen Gendefekt. Dies kann dazu führen, dass die Pferde Symptome zeigen, die oftmals aus Unwissen nicht richtig zugeordnet werden. Neben der richtigen Diagnose, ist das richtige Futter- und Haltungsmanagement für symptomatische Pferde mit PSSM entscheidend. Deshalb klären die Autorinnen über den Gendefekt, seine Vererbung, Symptome und darüber, wie Pferde mit PSSM1 gemanagt werden können, auf. Außerdem gehen sie auf weitere Equine Myopathien, die unter dem Sammelbegriff PSSM2 zusammengefasst werden, ein und erläutern den aktuellen Forschungsstand.

PSSM: Wenn Gene Muskeln stören
Die Polysaccharid-Speicher-Myopathie verstehen und betroffene Pferde symptomfrei halten


128 Seiten, 17 x 24 cm, broschiert
durchgehend farbige Abbildungen
ISBN: 978-3-8404-1093-2
Preis: 26,99 €
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