Der neue Olympiasieger im Springreiten kommt aus Deutschland: Christian Kukuk holte auf seinem Ausnahmepferd Checker 47 den vierten Olympiasieg für Deutschland bei den Reitbewerben in Versailles. Silber ging an den Schweizer Steve Guerdat, der knapp dran war, mit Dynamix de Belheme seinen Londonerfolg von vor zwölf Jahren zu wiederholen. Für den Niederländer Maikel van der Vleuten und Beauville Z gab es Bronze. Max Kühners Elektric Blue wurde ausgerechnet der letzte Sprung zum Verhängnis, dennoch ein fantastischer 7. Platz bei Olympia.
Auch der letzte Parcours dieser Spiele hatte sich einen Sonderpreis verdient: 15 Hindernisse und 19 Sprünge, allein die Länge unterschied ihn von anderen Championatskursen der Vergangenheit. Hoch, schwer und trotzdem fair hatten die Kursdesigner Santiago Varela und Gregory Bodo diesen hochgradig selektiven Parcours gebaut, der sich in allen Aspekten als wahrhaft olympiawürdig erwies. So schafften es tatsächlich nur drei Paare, alle Klippen fehlerfrei zu meistern.
Max Kühner und Elektric Blue, die als Sechste ins Viereck ritten, schienen die Schwierigkeiten nicht sonderlich zu beeindrucken. Während zuvor Paare wie Philipp Weishaupt/Zineday, Ben Maher/Dallas Vegas Batilly und Laura Kraut/Baloutinue strauchelten, blieb das rot-weiß-rote Duo fehlerfrei bis zum letzten Sprung. Aber ausgerechnet beim „Los Angeles 2028-Oxer“ (1,62 m hoch und 1,35 m breit) fiel die Stange. Damit endete der Traum von einer österreichischen Medaille - wie schon damals bei Hugo Simon und Lavendel 1972 in München.
Der 50-Jährige wusste nachher auch gar nicht, was er anders hätte machen sollen: „Es hat sich alles richtig gut angefühlt, teilweise war es sogar fast ein bisschen zu gut. Die Dreifache ist er ganz einfach und locker gesprungen mit dem Doppeloxer auf einem Galoppsprung, das haben wir ganz selten unter dem Jahr. Dann bin ich leicht schräg auf den letzten Sprung zu, um da nochmal ein bisschen Spannung reinzukriegen.“
Am Vortag hatte Kühner noch davon gesprochen, etwas mit nach Hause nehmen zu wollen und alle wussten, dass er Edelmetall meinte. Darauf angesprochen, was es heute sei: „Ein gesundes Pferd!“ Auf die unweigerliche Frage, wie es sich jetzt anfühlt, nicht ins Stechen gekommen zu sein: „Wir sind ja als Sportler gewohnt mit Misserfolgen umzugehen. Wenn ich den Misserfolg nicht in irgendeiner Art und Weise lieben würde, dann wäre ich kein Sportler, denn wir haben viel mehr Misserfolge als Erfolge.“
Die Erfolgsbilanz des Wahlösterreichers bei Großereignissen kann sich dennoch sehen lassen: WM-Sechster in Tryon 2018 und Herning 2022, EM-Siebenter in Mailand 2023 und Weltcup-Siebenter in Riad 2024. Hier in Paris kann er sich sogar das sogenannte Olympiadiplom abholen, welches an die ersten 8 jeden Bewerbes verliehen werden.
Kühner, der immer wieder an allen Kleinigkeiten im Sport tüftelt, zeigte sich auch von der Sprunggestaltung im Parcours beeindruckt: „Da wird nun sicher mit 3D gearbeitet, sehr schwierig für die Pferde hier alles richtig zu taxieren. Ich glaube, dass der Sport alle zwei, drei Jahre eine Stufe besser wird. Der Sport, wie wir ihn vor 10, 20 oder 30 Jahren hatten, hat nichts mehr mit dem von heute zu tun.“
Sein Blick ist auch sofort wieder nach vorne gerichtet: „Die Olympische Reise ist noch nicht zu Ende. Ich bin zufrieden, solange ich das Gefühl habe, dass wir immer besser werden, dass ich die Pferde und den Sport immer besser verstehe.“
Und dann wurde es in der Mixed Zone fast philosophisch, während Kühner immer auch ein Auge auf den Ergebnismonitor gerichtet hatte. „Nicht auf die anderen schauen und sich nicht ungerechtfertigt behandelt zu fühlen, sondern einfach auf sich selbst konzentrieren und versuchen sich zu verbessern: das ist ganz wichtiges Gedankengut, das in einer Sportkultur entstehen muss,“ gab der Starnberger einen Einblick in seine Überlegungen.
Die Turbulenzen im Vorfeld und die PETA-Kampagne hatten ihn sichtlich ins Grübeln gebracht: „Für mich war die Anspannung am Anfang am höchsten und hat sich dann eigentlich sukzessive abgebaut. Gestern und heute habe ich mich dann wieder in meinem gewohnten Modus gefühlt.“
Könige von Versailles
Neben Kühner wurden aber in der Springreitentscheidung auch weiteren große Namen der Weg ins Stechen verwehrt. Allen voran der „ewigen“ Nummer 1 der Weltrangliste Henrik von Eckermann. Nach der Linie über den Wassergraben schien es, dass sein King Edward genug hätte und bog nach links Richtung Ausritt ab, was seinen Reiter aus dem Sattel hob. Martin Fuchs und Leone Jei wurden so wie dem Österreicherpaar der letzte Sprung zum Verhängnis, allerdings bewundernswert, dass der Schweizer so über die Hindernisse kam, nachdem er bald den linken Steigbügel verloren hatte.
Als es mit Julien Epaillard auch den zweiten Heimreiter erwischte, standen die drei Medaillengewinner schon fest, es ging „nur“ noch um deren Farbe: Kukuks Nullfehlerritt sollte dann der einzige bleiben und machte die Deutschen mit viermal Gold und einmal Silber zu den Königen von Versailles.
Alle Ergebnisse im Detail gibt es hier.
Olympiageflüster aus Versailles (12)
In einer Intensität wie nie zuvor gingen die Reitsportbewerbe bei den Olympischen Spielen in Paris-Versailles über die Bühne. Kein Ruhetag, Schlag auf Schlag fanden die Wettbewerbe statt, unterbrochen nur von Veterinärchecks, die so manche Teams schon fürchteten, denn die Tierärzte sahen diesmal besonders genau hin, was in der Vergangeneheit nicht immer so war und durchaus begrüßenswert ist. Denn schon im Vorfeld überschattete der Skandal um das Video von Charlotte Dujardin alles, die gesamte Reiterwelt stand unter Schock. Doch die Reiterspiele hier vor dem Schloss des Sonnenkönigs boten den kompletten Gegensatz: Endlich eine klare Linie, was Tierschutz und „welfare of the horse“ betrifft! Die Bilder, die aus dem Schlosspark von Versailles um die Welt gingen, waren zu 100 % Werbung für den Reitsport, auch wenn es natürlich die Marketingabteilung von PETA etc. anders sah. Aber allein dieser Geländetag mit einem fairen Cross Country, der dennoch nur die Besten vorne sah, machte Freude. Dass dabei ein deutscher TV-Kommentator ausflippte, wurde selbst auf Social Media bejubelt.
Und dann das Kürfinale mit diesem Dreikampf um die drei Medaillen: Pferde und Reiterinnen im Einklang, Ästhetik ohne Überforderung, selbst die Wertungsrichter machten diesmal eine gute Figur. Und schließlich der Abschluss der Springreiter, der hochklassigen Sport und einen Weltklasseparcours präsentierte.
Persönlich werde ich in den nächsten Tagen sicherlich Entzugserscheinungen haben. Der Weg von der Tram-Haltestelle, der am Gartencenter „Les Fermes de Gally“ vorbeiführt, ist mir schon so vertraut. Leider hatten das dortige Restaurant und auch der Weinkeller während der Spiele geschlossen, gerne hätte man dort nach den Bewerben gemütlich zusammengesessen oder ein Gläschen Chardonnay verkostet. Und auch Katie, die britische Mixed Zone-Managerin, wird mir fehlen. Wenn sie mich sah, ging sie sofort ihre Listen durch und suchte alle Österreicher heraus, die für unsere Berichterstattung interessant wären. Bei ihr wendete ich gleich zu Beginn einen alten österreichischen Journalistentrick an, der überall zieht: Eine kleine Sachertorte oder Mozartkugeln im Gepäck öffnen viele Türen und heben einen aus der Masse der Kollegen ab: Le charme autrichien!
Aber manche Geschichten blieben diesmal auch ungeschrieben, weil einfach immer etwas los war. Etwa die Tatsache, dass der irische Pferdesportverband über ein unbegrenztes Budget verfügen muss, da die irischen Reiter an keiner geringeren Adresse logierten als dem Waldorf Astoria direkt neben dem Versailler Schloss. Egal, alle Medaillen sind vergeben und der Schlosspark gehört jetzt den Modernen Fünfkämpfern, die sich ein letztes Mal auf Pferden versuchen dürfen/müssen!
Ernst Kopica