Über 350.000 Google-Einträge zum Thema „vorwärts-abwärts“ sprechen für sich: Die Sache beschäftigt die Reiterwelt. Und so verwundert es dann auch nicht, dass es knapp 3000 Videos und unzählige Fotos gibt, die sich damit befassen – die einen recht ordentlich, viele jedoch mit einer vollkommen falschen Vorstellung vom richtigen „VA“.
Da sieht man Pferde mit nach unten durchgesackten Hälsen, Pferde mit der Stirnlinie hinter der Senkrechten oder im Gegenzug beinahe in der Waagerechten, Pferde auf der Vorhand latschend. So bemüht ihre Reiterinnen und Reiter auch sein mögen: All dies hat mit dem physiologisch und biomechanisch richtigen und erst damit sinnvollen Vorwärts- Abwärts nichts zu tun.
Zwischen Theorie und Praxis
Seinen gymnastischen Wert kann das Vorwärts- Abwärts nämlich erst dann entfalten, wenn es dazu beiträgt, die gesamte Oberlinie bei fallendem Hals leicht nach oben gewölbt zu straffen, wenn das Pferd dabei im Gleichgewicht bleibt und sich freiwillig ans Gebiss herandehnt. Sind alle diese Voraussetzungen erfüllt, gerät das entlang der gesamten Wirbelsäule verlaufende Nackenrückenband ein wenig unter Zugspannung, gerade so viel, dass sich die Dornfortsätze im Bereich von Widerrist und vorderer Brustwirbelsäule etwas nach vorn aufrichten und sich die Schulterpartie des Pferdes hebt. Wird gleichzeitig durch korrektes Treiben die Hinterhand zu vermehrtem Vorfußen angeregt, kippt das Becken des Pferdes ein wenig nach hinten, was zu einer leichten Aufwölbung der Lendenpartie und somit zur Entlastung dieses Bereiches führt. In dieser Haltung können sämtliche Muskeln optimal arbeiten: Der lange Rückenmuskel kann schwingen, die Bauchmuskulatur arbeitet vermehrt, ebenso die Muskeln von Hinterhand, Schulter und Oberhals. Erreicht wird dieser Zustand über gute reiterliche Arbeit, zu der neben diversen Übungen und Lektionen vor allem ein optimiertes Zusammenspiel von Sitz, Hand und Schenkel gehört. Soweit die Theorie.
Die Praxis zeigt, dass sich die freiwillige Dehnung des Pferdes oftmals nicht so leicht einstellt wie erhofft. Wobei Freiwilligkeit in diesem Zusammenhang ganz besonders wichtig ist. Denn häufig sieht man ReiterInnen, die ihr Pferd mit der Hand in die gewünschte Haltung fummeln wollen. Das ist jedoch grundsätzlich falsch. Wird der Hals des Pferdes mit Krafteinwirkung eingespannt, geht nicht nur das Vertrauen in die Reiterhand verloren, das Pferd hält zudem seinen Rücken fest, was unweigerlich dazu führt, dass es sich nicht mehr dehnen kann – und will. Selbst bei vorgelassenem Zügel bleibt der Hals eng stehen – oder das Pferd rollt sich auf oder macht sich nach oben frei. In allen Fällen geht die Bewegung nicht durch den Körper, der positive Effekt der Übung verpufft.
Ebenso falsch ist es, die Zügel einfach lang zu lassen, ohne besagten Spannungsbogen zu erreichen. Ein auf diese Weise alleingelassenes Pferd streckt – im günstigsten Fall – den Hals nur gerade nach vorn und nimmt eine Körperhaltung wie bei einem gemütlichen Trab auf der Weide ein. Oder es lässt Kopf und Hals nach unten absacken, als seien sie ihm plötzlich zu schwer geworden. In beiden Fällen geht der notwendige Impuls der Hinterhand verloren. Als Folge geraten die Pferde auf die Vorhand und fallen auseinander. Die Übung ist bestenfalls nutzlos, schlechtestenfalls sogar schädlich geworden.
Kriterien eines korrekten Vorwärts-Abwärts
- Das Beibehalten eines klaren Taktes
- Ein freiwilliges Herandehnen an die Reiterhand mit einem sich öffnenden Ganaschen-Unterhals-Winkel (Dadurch ist die Stirnlinie an bzw. leicht vor der Senkrechten.)
- Erhalt des Gleichgewichtes, also eine ausbalancierte, nicht auf die Vorhand kommende Bewegung
- Das Heranschließen der Hinterhand, erkennbar an einem aktiven Fußen der Hinterbeine unter den Schwerpunkt
- Eine leicht gewölbte Oberlinie
- Eine positive Körperspannung
- Das Beibehalten bzw. Erreichen von Selbsthaltung (bei entspannter Unterhalsmuskulatur)
Empfindliches Konstrukt
Dabei steckt die Bereitschaft, sich zu dehnen, letztendlich in jedem Pferd. Allerdings ist sie unterschiedlich stark ausgeprägt und abhängig von verschiedenen Faktoren. Einer davon – und zwar ein ganz wesentlicher – ist die reiterliche Einwirkung. Ein unausbalancierter Sitz und falsche oder schlecht abgestimmte Hilfengebung jeglicher Art können die Dehnungsbereitschaft empfindlich stören, wenn nicht gar unmöglich machen – auf Kosten eines gesunden Pferderückens und einer Entlastung der Gliedmaßen. Aber auch das Gebäude des Pferdes spielt eine Rolle dabei, wie dehnungsbereit es ist.
Ein Pferd mit harmonischer Oberlinie (Genick, Hals, Rücken, Kruppe) und optimalen Winkelverhältnissen der Gliedmaßen findet in der Regel leichter ins Vorwärts-Abwärts als eines mit Gebäudemängeln. Pferde mit einem langen Rücken oder gar einem Senkrücken haben manchmal Schwierigkeiten mit der korrekten Dehnung und lassen deshalb oft auch nicht gut sitzen. Es fehlt der Zug des Nackenrückenbandes. Gelingt es, ein solches Pferd in ein ausbalanciertes Vorwärts-Abwärts zu arbeiten, wird für gewöhnlich auch das Sitzgefühl besser.
Kurze Pferde (darunter typischerweise auch einige Barockpferderassen) sind dagegen oft eher in der Lage, ihre mangelnde Dehnungsbereitschaft zu kaschieren. Ihr kurzer Rücken erlaubt es ihnen, ihren Hals anscheinend zu tragen – was aber weniger eine Folge einer korrekten Ausbildung als einer angeborenen Anatomie ist. Ohne die entsprechende Dehnungsbereitschaft und -arbeit wird auch hier die Bewegung nicht durch den Körper hindurchfließen. Pferde mit stabilem Rücken (z. B. iberische Pferde) lassen zwar oft recht gut sitzen, der Pferderücken bleibt aber häufig so unbewegt, dass eine Übertragung des Impulses aus der Hinterhand über den Rücken nach vorn in die Reiterhand nicht gelingt. Das Pferd scheint leicht am Zügel, dabei ist die Dehnungsbereitschaft gestört, die Bewegung bleibt kurz, es kommt nicht zur Schwungentfaltung. Kurze Pferde mit weichem Rücken und schwieriger Halsung (z. B. Friesen) kommen ebenfalls häufig nicht zum richtigen Schwingen. Auch hier ist die intensive Arbeit in eine korrekte Vorwärts-Abwärts-Dehnung hilfreich.
Schlüssellektion
Denn ganz gleich, ob Warmblut oder Haflinger, Lusitano oder Tinker, Jungpferd oder erfahrener S-Dressierer, Buschathlet oder Freizeitpferd: Vom richtigen Vorwärts-Abwärts profitieren letztlich alle Pferde. Deshalb sollte die Dehnungshaltung auch ein fixer Bestandteil im Reittraining jedes Pferdes sein – und zwar mehrfach: während des Lösens, immer mal wieder während der Arbeitsphase und dann wieder während des Cool Downs, also der Entspannungsphase. Das Aufwölben der Oberlinie entspannt nicht nur den langen Rückenmuskel, es fördert in weiterer Folge auch die Losgelassenheit und Schwungentfaltung.
Ohne Losgelassenheit hingegen lässt sich ein Pferd nicht auf ein Vorwärts-Abwärts ein. Es ist hier wie so oft beim Reiten: Die Katze beißt sich in den Schwanz. Lässt sich ein Pferd los, lässt es auch seinen Hals wie gewünscht fallen und kommt dadurch zu noch mehr Losgelassenheit, was wiederum zu einem stabileren Vorwärts-Abwärts und einer verbesserten Anlehnung führt. Ein psychisch oder physisch ver- oder angespanntes Pferd dagegen wird seinen Hals nicht fallen lassen. Vorwärts-Abwärts-Dehnung ist deshalb auch ein Weg zur Losgelassenheit und zu deren Überprüfung. Seiner Funktion als Prüfstein für reelles Reiten wird in einigen Basisprüfungen mit der Übung „Zügel aus der Hand kauen lassen“ Rechnung getragen, in höheren Aufgaben dagegen leider nicht mehr. Dabei würden sich gerade hier viele Ausbildungsmängel offenbaren, die von geschickten Reiterinnen und Reitern sonst kaschiert werden können.
Die richtige Dosis macht’s
Auch wenn das Vorwärts-Abwärts ein zentrales Element der klassischen Reitausbildung ist, übertreiben sollte man es damit nicht. Immer wieder gibt es ReiterInnen, die das Vorwärts- Abwärts zum Selbstzweck erheben, die nur noch nach dieser Haltung streben, weil sie glauben, ihrem Pferd damit etwas Gutes zu tun. Doch das ist ein Irrtum! Das Vorwärts-Abwärts ist ein wichtiger Baustein im Training, aber nicht der einzige. Er ist Weg und gleichzeitig Überprüfung des Weges. Das Ziel ist und bleibt hingegen das Erreichen eines zumindest beginnenden (bei weiterer Ausbildung auch höheren) Versammlungsgrades des Pferdes und einer damit optimierten Durchlässigkeit sowie Entlastung der Vorhand. Sämtliche Punkte der Ausbildungsskala sind dabei zu berücksichtigen – die Vorwärts-Abwärts-Dehnung als eine Art Unterstützungs- und Kontrollinstrument gehört lediglich dazu.
Das Gleichgewicht bestimmt die Tiefe
Große Diskussionen entstehen neben der Frage um die Häufigkeit auch immer wieder darüber, wie tief ein Pferd seinen Hals im Vorwärts-Abwärts optimalerweise trägt, damit sich die positiven Effekte der Übung zur Gänze entfalten können. Eine allgemeingültige Antwort gibt es hier, wie so oft, nicht. Denn die ideale Einstellung ist sehr unterschiedlich und auch abhängig vom Gebäude des Pferdes.
Hartnäckig hält sich in diversen Veröffentlichungen die irgendwann von irgendwem einmal in die Welt gesetzte und vor allem im World Wide Web immer wieder verbreitete Behauptung „Dehnung nur bis Höhe Buggelenk“. Das stimmt nicht! Auch in den Richtlinien für Reiten und Fahren der Deutschen FN wird die über das „Zügel aus der Hand kauen lassen“ entstehende Dehnung beschrieben als: „Der Reiter verlängert […] das Zügelmaß bis zum ‚langen Zügel‘ […]. Die Dehnung sollte mindestens so weit erfolgen, dass das Pferdemaul sich auf Höhe der Buggelenke befindet, aber höchstens so weit, wie es die Erhaltung des Gleichgewichts zulässt.“ Also: mindestens Höhe Buggelenke. Und, ganz wichtig: Gleichgewicht!
Ein in guter Vorwärts-Abwärts-Dehnung gerittenes Pferd bewegt sich weiterhin wie auf einer Waagerechten. Falsch ist es hingegen, wenn der Eindruck entsteht, das Pferd liefe wie auf einer Schrägen bergab. Denn das Abwärts im Vorwärts-Abwärts bezieht sich nicht auf den Rumpf, sondern auf den Hals, der sich aus den Schultern heraus in die Tiefe dehnt. Allgemeingültig ist dabei die Regel: Je länger der Pferdehals, desto tiefer ist die Vorwärts-Abwärts-Haltung möglich, wenn auch nicht zwingend notwendig.
Bei allem Vorwärts-Abwärts muss das Ziel stets das Vorwärts- Aufwärts, also die Aufrichtung und somit die Entlastung der Vorhand sein. Die Qualität dieser Aufrichtung hängt allerdings eng mit der von Dehnungshaltung und Vorwärts- Abwärts zusammen. Und auch hier gilt einmal mehr: Die Ausbildung eines Pferdes lässt sich nicht auf ein Entwederoder reduzieren, sondern ist immer ein komplexes Konstrukt, dessen einzelne Komponenten ineinandergreifen, aufeinander aufbauen und voneinander abhängen.
Dr. Britta Schöffmann
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