Gesundheit

Arthrose beim Pferd: Was hilft?

Ein Artikel von Sven und Peggy Morell | 20.11.2024 - 11:47
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Arthrose ist die häufigste Ursache für Lahmheit und Gelenkschmerzen bei Pferden und oft der Grund für einen frühzeitigen Ruhestand. © www.Slawik.com

Die Erkrankung beginnt mit einer Arthritis, eine akute Gelenksentzündung. Besteht diese dauerhaft, kann das Gelenk irreparablen Schaden nehmen, es kommt zur Arthrose mit den typischen Bewegungseinschränkungen und Schmerzen. Ist die Diagnose gesichert, ist eine individuelle Behandlung wichtig. Dafür stehen unterschiedliche Ansätze zur Verfügung. Eine Übersicht


Altbewährtes Kortison

Die Injektion von Kortisonpräparaten direkt in das erkrankte Gelenk wirkt entzündungshemmend und lindert so Schmerzen. Das ist sehr wichtig, wie Professorin Dr. Theresia Licka betont: „Ein Gelenk, das nicht adäquat bewegt wird, entwickelt allein durch diese verminderte Verwendung Arthroseschäden.“ Durch die Injektion von Kortikosteroiden seien viele Pferde laut der Fachtierärztin für Sportmedizin und Rehabilitation häufig für viele Monate oder sogar Jahre symptomfrei. Folgeschäden hätten Pferdebesitzer:innen in der Praxis bei nicht allzu häufiger Gabe von Triamcinolon, dem derzeit wohl beliebtesten derartigen Arzneistoff, nicht zu befürchten: Zwar könne die häufige Anwendung durchaus zu Knorpelschäden führen, direkt ins Gelenk angewendet werde es jedoch schnell wieder abgebaut.

Hyaluronsäure – ein sehr großes Molekül aus Mehrfachzucker – ist ein wichtiger Bestandteil der Gelenksflüssigkeit. Auch Hyaluronsäure kann direkt in das Gelenk gespritzt werden – zum Beispiel in Kombination mit Kortison, um die knorpelschädigende Wirkung des Kortikosteroids abzupuffern. Theresia Licka betont, dass diese Schutzwirkung insbesondere für Pferde, „die eine zukünftige Belastung über Jahre zu erwarten haben“ sinnvoll ist. Hyaluron könne auch über die Vene verabreicht werden, da der Wirkstoff über das Blut zum Wirkungsort, also dem geschädigten Gelenk, gelange.

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Die Arthroskopie zeigt das genaue Ausmaß der Erkrankung. © www.slawik.com

Vielversprechendes Hydrogel

In einer dänischen Studie mit 43 Pferden konnte gezeigt werden, dass zwölf Monate nach einer Injektion von Polyacrylamid-Hydrogel (kurz PAAG) in das von Arthrose betroffene Gelenk gut 80 Prozent der vierbeinigen Patienten lahmfrei waren. Und auch die Schwellungen an den Gelenken gingen deutlich zurück. Das Hydrogel besteht aus 97,5 % sterilem Wasser und 2,5 % Polyacrylamid. Die Zusammensetzung ähnelt der der organischen Hyaluronsäure, bleibt aber länger im Gelenk und ist für durchschnittlich zehn Jahre nicht abbaubar, wie in humanmedizinischen Studien gezeigt wurde. Eine Studie von Imke Janssen und Marc Koene von der Tierklinik Lüsche (Niedersachsen) sowie Christoph Lischer von der Freien Universität Berlin bestätigt diese Wirkung von PAAG: Von zwölf Pferden mit Arthrose im Hufgelenk lahmten ein halbes Jahr nach der Behandlung acht Pferde nicht mehr, bei zwei Pferden konnte zumindest eine Verbesserung der Symptome beobachtet werden. Zwei der Versuchspferde sprachen auf die Therapie leider nicht an.

Fazit der Wissenschaftler: „Polyacrylamid-Hydrogel ist ein vielversprechender Ansatz als zusätzliche Methode zur Behandlung von Osteoarthritis bei Pferden.“ Sie zeigten sich überrascht über das „gute klinische Ansprechen“ obwohl die Pferde bereits lange unter Lahmheit litten. Wie genau PAAG wirkt, sei noch unklar und daher weitere Studien notwendig. Erfreulich ist, dass in beiden Studien keinerlei Nebenwirkungen auftraten. Theresia Licka, die neben ihrer Arbeit an der Universitätsklinik für Pferde der Vetmeduni Wien seit 2020 gemeinsam mit Nina Eisinger ein Rehabilitations- und Trainingscenter in der Nähe von Wien betreibt (www.equimed-move.com), hat ebenfalls gute Erfahrungen mit PAAG. Es dauere zwar etwa zwei Monate, bis die Wirkung eintrete, dafür bleibe diese dann aber für Monate bis gar Jahre erhalten.

Game Changer Sildenafil?

Im Sommer 2023 ließen schwedische Forscher:innen aufhorchen: In einer klinischen Studie gelang es mithilfe einer Kombination aus einem Lokalanästhetikum, dem entzündungshemmenden Medikament Sildenafil (bekannt als Wirkstoff von "Viagra") und Glukose geschädigte Knorpelzellen bei Arthrose-Pferden wiederherzustellen. Alle vierbeinigen Probanden – 20 lahme Trabrennpferde mit leichten radiologischen Veränderungen im Karpalgelenk – konnten von ihrer Lahmheit kuriert werden. Nebenwirkungen traten weder während noch nach der Behandlung auf.

Die Entdeckung dieser neuen Arthrose-Behandlungsmethode gilt als großer Fortschritt in der Veterinärmedizin. Und: Sie könnte auch den Weg zu neuen Therapiemöglichkeiten für Menschen mit Arthrose ebnen. Zunächst jedoch plant das Forschungsteam die Vermarktung der neuen Medikamentenkombination zur Behandlung von Pferden. Später soll eine Genehmigung für klinische Studien zur Behandlung beim Menschen beantragt werden.

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Pferde-Orthopädin Dr. Theresia Licka befasst sich seit Jahrzehnten mit der Diagnose und Behandlung von Arthrosen. © Karin Schiller/equimed&move

Letzte Hoffnung: Regenerative Therapien

Ziel regenerativer Therapien ist der Wiederaufbau zerstörter Zellen oder zerstörten Gewebes. Für Platelet Rich Plasma (PRP) wird dem Pferd Blut entnommen und im Labor so modifiziert, dass etwa fünfmal mehr Thrombozyten (Blutplättchen) enthalten sind als in normalem Blut. Dieses „blutplättchenreiche Plasma“ wird dann ins erkrankte Gelenk injiziert. In den Blutplättchen sind unter anderem Wachstumsfaktoren und Zytokine enthalten, die das Gewebe regenerieren sollen.

Ein anderer Ansatz ist die Verabreichung von Interleukin-Rezeptor-Antagonist-Protein (IRAP). Das Prinzip dahinter: Interleukin-1 spielt bei der Entstehung von (Gelenks-) Entzündungen eine wichtige Rolle. Ein natürlicher Antagonist – also Gegenspieler – bindet an die Rezeptoren, an die sonst Interleukin-1 andockt. Die Stelle ist dann quasi bereits besetzt, und Interleukin-1 kann seine entzündungsfördernde Wirkung nicht mehr entfalten. IRAP ist dieser Gegenspieler und wird ebenfalls aus dem Blut des Pferdes im Labor gewonnen.

Multipotente mesenchymale Stammzellen, kurz (MSCs), können sich in verschiedene Zelltypen oder Gewebe weiterentwickeln. Gewonnen werden diese aus dem Knochenmark oder dem Fettgewebe des Pferdes mittels Knochenmarkpunktion beziehungsweise Entnahme eines kleinen Stückes Fettgewebe. Im Labor werden die Stammzellen dann angezüchtet. Für die Behandlung von Gelenken gibt es auch fertige kommerzielle Präparate, wie beispielsweise ARTI-CELL® FORTE von Böhringer Ingelheim. In das betroffene Gelenk gespritzt, sollen die Stammzellen das angegriffene Gewebe ersetzen und zusätzlich durch die Freisetzung von Wachstumsfaktoren den Heilungsprozess fördern.

„Die Applikation von Stammzellen führt allerdings nicht zu einer schnelleren Heilung, sondern sie verbessert die Qualität des Heilungsprozesses“, erklärt das Tierspital der Universität Zürich. Judith Koenig und ihre Kollegen am Ontario Veterinary College haben sich in gleich zwei Studien mit der Stammzelltherapie beschäftigt. In der ersten Studie testeten sie die Verträglichkeit. Als keine systemischen Reaktionen beobachtet wurden, folgte Studie zwei: Die Wissenschaftler stellten eine gute Wirksamkeit gegen Gelenkschmerzen und Entzündungen fest.

Theresia Licka sieht viel Potenzial in dieser Behandlungsmethode – rät jedoch davon ab, wenn der Synovialraum nicht sicher getroffen werden kann, wie zum Beispiel beim Kreuzbein-Darmbeingelenk. Bezüglich regenerativer Therapien allgemein schränkt die europäische und amerikanische Spezialistin für Sportmedizin des Pferdes ein, dass diese auf Grund des Aufwands nicht für jedes Pferd in Betracht kämen, sondern meist Pferden vorbehalten seien, die auf andere Therapien nicht ansprechen würden. Zudem müssten die Besitzer eine entsprechende Bereitschaft zur Durchführung dieser Therapien zeigen. Als eindeutige Zielgruppe sieht sie demnach Sportpferde mit weiterem Potenzial, bei denen die Veränderungen im Gelenk noch nicht allzu weit fortgeschritten seien.

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Zusatzfuttermittel sind sehr beliebt, allerdings ist die Wirksamkeit nicht bei allen ausreichend gesichert. © Christiane Slawik, Würzburg, Germany

Unterstützung aus dem Futtertrog

Futtermittelhersteller haben für die Linderung der Symptome einiges an Präparaten im Angebot:

Teufelskralle soll durch Harpagosid entzündungs- und schmerzlindernd wirken. Die getrocknete Wurzel – als Pulver, Pellets oder flüssig – entfaltet erst nach längerer Gabe ihre Wirkung. Dennoch wird von einer Dauergabe abgeraten und mitunter vor Magengeschwüren gewarnt. Ingwer enthält Gingerol und Shogaol, die Entzündungen und Schmerzen lindern sowie die Durchblutung fördern sollen. In den Trog kommt das Rhizom pur oder als Bestandteil in speziellen Gelenkmischungen. Ingwer werden mitunter unerwünschte Nebenwirkungen wie etwa Koliken nachgesagt.

Neben diesen typischen „Gelenkpflanzen“ gibt es noch einige weitere Gewächse mit heilsamen Wirkstoffen. So steckt in Weidenrinde Salicil, das im Körper zu Salicylsäure umgewandelt wird, die vergleichbar wirkt wie Acetylsalicylsäure – der Wirkstoff von Aspirin®.

Ähnliches gilt für Mädesüß: Dieses enthält unter anderem Salicylaldehyd. In der Brennnessel finden sich ebenfalls entzündungs- und schmerzhemmende Wirkstoffe, und die in Hagebutten vorkommenden Galaktolipide sollen Entzündungsreaktionen stoppen.

Bisher relativ unbekannt ist Cissus quadrangularis. Die Pflanze stammt aus der ayurvedischen und traditionellen indischen Medizin und soll neben der schmerzstillenden Wirkung zur Regeneration beitragen sowie Verletzungen schneller heilen lassen. Allerdings: zu Wirksamkeit, Anwendungsdauer sowie eventuellen Nebenwirkungen ist (noch) wenig bekannt.

Grünlippmuschelextrakt soll durch den hohen Gehalt an Glykosaminoglykanen die Beweglichkeit der Gelenke verbessern. Glykosaminoglykane sind langkettige Aminozuckerverbindungen, die auch in der Gelenkflüssigkeit vorkommen, die ebenfalls enthaltenen Omega-3-Fettsäuren sollen entzündungshemmend wirken.

Gelatine wird für eine Verbesserung der Gelenkschmiere beworben. Das farblose Pulver ist geschmacksneutral und wird von Pferden in der Regel gut akzeptiert. Kieselgur soll Knochen aufgrund des enthaltenen Siliziums stabiler werden lassen und somit weniger anfällig für Abnutzung machen.

Chondroitin (oder Chondroitinsulfat) ist ein wichtiger Bestandteil des Knorpelgewebes. Ein Verlust dieses Gelenknährstoffes aus den Knorpeln gilt als häufigste Ursache für die Entstehung von Arthrose. Häufig wird eine Kombination mit Glukosamin empfohlen – Bestandteil des Bindegewebes, des Knorpels und der Gelenkflüssigkeit. Schon eingangs wurde erwähnt, dass Hyaluronsäure direkt ins Gelenk injiziert oder auch über die Blutbahn durchaus effektiv ist. Hyaluronsäure steckt ebenfalls in einigen Gelenkmischungen.

Methylsulphonylmethan (kurz MSM) ist eine Schwefelverbindung, die antientzündlich wirken soll. Allerdings ist der Nutzen unklar, ebenso ob eine Langzeiteinnahme sinnvoll oder problematisch ist. Viele Pferde haben zudem in der Regel gar keinen Schwefelmangel.

Grundsätzlich gilt: Die Wirkung von Kräutern oder anderen Futterzusätzen ist nicht immer ausreichend wissenschaftlich belegt – dennoch schwören viele Besitzer:innen von Arthrose-Pferden auf ein oder mehrere Präparate. Auch sei darauf hingewiesen, dass bei manchen Produkten eine Dopingproblematik bestehen kann – informieren Sie sich rechtzeitig vor einer etwaigen Turnierteilnahme.

Bewegung, Bewegung, Bewegung

Was bei der Behandlung von Arthrose nicht vergessen werden darf: viel Bewegung. Nur so werden die Gelenke geschmiert und mit Nährstoffen versorgt. Auch damit die Pferde sich überhaupt ausreichend bewegen können, ist eine individuelle Schmerztherapie unabdingbar. Fachtierärztin Theresia Licka etwa verordnet kurz nach einer Operation oder während einer akuten Entzündungsphase Boxenruhe. Ansonsten ist sie von der positiven Wirkung von Physiotherapie überzeugt – wie beispielsweise spezielle Gymnastizierungsübungen oder auch Bewegung des Gelenks am aufgehobenen Bein durch den Menschen oder, wenn möglich, gezieltes Training im Aquatrainer. Grundsätzlich muss die Bewegung auf die Erkrankung abgestimmt werden: Das Pferd braucht eine längere Aufwärmphase – und auch für das Abreiten sollte mehr Zeit eingeplant werden. Enge Wendungen und abrupte Stopps sind problematisch. Weidegang ist wichtig, allerdings sind steile Hangkoppeln oder matschige Untergründe risikoreich. Welche Bewegung und wie viel davon gut sind, sollte mit der behandelnden Tierärztin abgesprochen werden.

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Bewegung ist wichtig, zum Beispiel durch gezieltes Training im Aquatrainer. © Christiane Slawik, www.slawik.com

Um dem Pferd die Bewegung zu erleichtern, wird oft auch ein spezieller orthopädischer Beschlag empfohlen, mit dem Ziel, das betroffene Gelenk bestmöglich in seiner vollständigen schmerzarmen Bewegung zu unterstützen. Typische Beispiele sind z. B. für Arthrosen im Hufgelenk zehenoffene Eisen (an der Zehe offen, am Ballen geschlossen – oft als „falsch herum“ bezeichnet) oder andere das Abrollen erleichternde Beschlagsarten. Für die Arthrose der straffen Sprunggelenke (also die Spat-Erkrankung) ist ein Beschlag, bei dem der Außenschenkel des Hufeisens breiter, der Innenschenkel schmaler gearbeitet ist, beide Schenkel etwas gewinkelt sind und eine gute zurückgesetzte Zehenrichtung angebracht wird, häufig unterstützend. Pferdebesitzer sollten gemeinsam mit ihrer Tierärztin und ihrem Hufschmied, - techniker oder -orthopäden eine individuelle Beschlagslösung für ihr arthrosegeplagtes Pferd finden.