Leseprobe

Schreck, lass' nach!

Ein Artikel von Claudia Götz | 04.06.2024 - 10:26
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© www.slawik.com

Es gibt Pferde, die bei jedem Geräusch zusammenzucken, bei allen Bewegungen in ihrem Sichtfeld erstarren, bei neuen Anforderungen angespannt oder schreckhaft reagieren. Manche sind bodenscheu, andere werden hektisch, wenn es ihnen zu eng wird. Bei manchen wird dieses Verhalten wetterabhängig stärker, bei vielen hilft Routine, einige lernen dennoch dazu, andere machen gefühlt ständig Rückschritte. Die Bandbreite an nervösen Störungen bei Pferden ist groß – was die Auslöser betrifft, und die Art und Weise, wie die Pferde sie zum Ausdruck bringen: Einige werden widersetzlich, andere fangen an zu weben oder koppen, wieder andere gähnen häufiger. Was passiert dabei wirklich im Pferdeorganismus?

Das Auf und Ab der Stresshormone

Unter Stress schüttet der Körper Adrenalin und Cortisol aus. Dies beschleunigt den Herzschlag, sorgt für eine verstärkte Anspannung der Muskulatur und setzt Energie frei. Außerdem wird die Blutversorgung (und damit die Funktion) des Verdauungstraktes, der Haut und des Gehirns gedrosselt. Das ermöglicht dem Pferd, effektiv vor Gefahren zu fliehen. Kurzzeitig ist dieser Zustand kein Problem, denn bereits durch die Flucht setzt ein entgegengesetzter Prozess ein, der das Stresslevel normalisiert. Geregelt wird dies im vegetativen Nervensystem – wo der für Flucht zuständige Sympathikus und sein Gegenspieler, der Parasympathikus, lebensnotwendige Körperfunktionen steuern. Der Parasympathikus fördert Speichelfluss, Verdauungstätigkeit und Ausscheidung. Seine Aktivierung beendet den Stress-Zustand, sorgt für Ruhe und Erholung.

Doch ähnlich wie bei uns Menschen, die wir mit unserem „Steinzeitgehirn“ im heutigen dauerstressbeladenen Alltag nicht zur Ruhe kommen, können auch bei Pferden bei länger anhaltendem oder multiplem Stress die in Gang gekommenen Reaktionen nicht wieder abebben. In der Folge schüttet die Nebennierenrinde vermehrt Cortisol aus. Dies verändert den Stoffwechsel, indem sich Blutzuckerspiegel und Blutfett erhöhen. Der Körper geht in der Folge an seine Eiweißreserven und baut schlussendlich Muskulatur ab. Deshalb müssen beispielsweise dauerhaft gestresste Pferde nicht zwingend ein Magenproblem haben, wenn sie dünner werden.

Stress kann für Pferde in vielen unterschiedlichen Situationen entstehen. Schnell kommen so zwei oder mehrere stressauslösende Faktoren zusammen. Ist das Pferd erst einmal auf Alarm, können auch weitere, ansonsten bisher nicht stressauslösende Situationen es weiter beunruhigen – mit entsprechenden negativen Folgen, physisch und psychisch.

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Wer zu sehr unter Strom steht, kann keine guten Leistungen bringen: Kopf wie Körper des Pferdes blockieren.  © www.slawik.com

Gestresst lernt es sich schlecht

Stress führt beim Menschen zur Produktion von Stoffen, die Entzündungen im Körper auslösen und aufrechterhalten. Forscher wiesen nach, dass dies über eine erhöhte Aktivität der Amygdala, des so genannten Mandelkerns, abläuft. In ihr werden Erfahrungen und Emotionen gespeichert. Die Amygdala ist auch bei Pferden aktiv, wenn sie gestresst sind. Typische Symptome von stressbedingten Entzündungen beim Pferd sind Kotwasser oder Hautprobleme (z. B. Mauke, Ekzem). Diese wiederum führen zu weiterem Stress.

Stress beeinträchtigt auch die Lernfähigkeit von Pferden. Eine 2022 veröffentlichte australische Studie (tinyurl.com/2pztc669) befasste sich damit, und zeigte, dass Stress zur Freisetzung von Glucocorticoiden, Noradrenalin und anderen Neurotransmittern, die das Lernen beeinflussen können, führt. Die Forscher:innen testeten 41 Pferde mit einer Lernaufgabe, nachdem diese entweder unter dem Sattel gearbeitet hatten, Stress oder Inaktivität ausgesetzt waren. Die gerittenen Pferde erreichten das Lernziel mit der geringsten Anzahl von Versuchen. Die Leistung der gestressten und inaktiven Pferde unterschied sich nicht. Die Speichelcortisol-Konzentrationen der gerittenen Pferde sanken während des Lernprozesses, während die der anderen beiden Gruppen anstiegen. Pferde mit den höchsten Cortisolwerten benötigten die meisten Versuche. Die Forscher:innen folgerten daraus, dass entspannte Bewegung vor einer Lernaufgabe diese erleichtert, Stress jedoch das Lernen beeinträchtigt. 

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