Die Gruppenauslaufhaltung, umgangssprachlich auch Offenstallhaltung genannt, befriedigt die Grundbedürfnisse der Pferde am besten und kommt ihren natürlichen Lebensbedingungen am nächsten. Durch kontinuierliche Bewegung haben die Pferde eine bessere Grundkondition und eine störungsfreie Verdauung, durch naturnahe Umweltbedingungen ist ihr Immunsystem trainiert, durch ständige Außenreize sind sie nervenstärker und ausgeglichener. Ein abwechslungsreicher Untergrund sorgt für widerstandsfähige Hufe, Wälzplätze, die die Pferde jederzeit aufsuchen können, und eine bodennahe, physiologische Fütterung halten den Rücken gesund. Durch den häufigen Aufenthalt im Freien sind die Atemwege unbelastet(er) und damit gesünder. Es gibt also viele gute Gründe, Pferde in einem Offenstall zu halten – und tatsächlich leben auch immer mehr Pferde in einer solchen Pferde-Wohngemeinschaft, auch Sportpferde. Doch ist tatsächlich jedes Pferd WG-tauglich?
Ofenstall für jedes Pferd?
Hengste oder hengstige Wallache, unverträgliche Pferde, Pferde mit besonderen Handicaps, betagte oder sehr dominante Pferde, Pferde, die ein natürliches Sozialverhalten nie gelernt oder wieder verlernt haben, sowie Pferde mit sehr hoher Individualdistanz sind in aller Regel weniger für die Gruppenhaltung geeignet. Solche Außenseiter „führen oftmals ein stressfreieres Leben, wenn sie entweder alleine sind – allerdings mit Blick-, Geruchs- und Hörkontakt zu anderen Pferden – oder in einer Kleingruppe zu zweit“, so Pferdeverhaltensexpertin und Fachbuchautorin Dr. Margit Zeitler-Feicht. Ansonsten kann jedes „normale“ Pferd in einer Gruppe gehalten werden. Schließlich garantierte das Herdenleben über Jahrtausende das Überleben in freier Wildbahn. Pferde sind also dafür optimiert, ein ausgeklügeltes System von Verhaltensmustern – eine Art Sprache, basierend auf Gestik, Mimik und Lauten – ermöglichte ein unproblematisches und effektives Zusammenleben ohne gravierende Auseinandersetzungen. Auch das domestizierte Pferd hat diese angeborenen und erlernten Fähigkeiten, geändert hat sich einzig das Umfeld – und dies kann dazu führen, dass das Leben in der Gruppe nicht mehr reibungslos funktioniert.
Neben der individuellen Eignung des Pferdes muss natürlich der Stall entsprechend eingerichtet und geführt sein, so dass jedes Pferd ungestört seine Bedürfnisse befriedigen kann. Dazu gehören Fresseinrichtungen, die eine individuelle Fütterung ermöglichen und futterneidische Aktionen weitgehend ausschließen, eine großzügige Paddockfläche mit Bewegungsanreizen sowie ein ausreichend großer Innen- beziehungsweise Ruheraum, in dem Rangeleien und Streitigkeiten durch Ausweichmöglichkeiten vermieden werden.
Der Test
Der nachfolgende 15-Punkte-Test versucht, ein bisher in der Einzelhaltung aufgestalltes Pferd dahingehend einzuordnen, ob es offenstalltauglich ist oder ob man in der Gruppenhaltung mit Problemen rechnen muss.
Nehmen Sie dazu einen Stift und ein Blatt Papier zur Hand und notieren Sie die Punkteanzahl neben jener Anwort, die am ehesten auf Ihr Pferd zutrifft. Am Ende des Tests addieren Sie die Punkte der einzelnen Antworten, das Ergebnis kann dann in der Auswertung abgelesen werden.
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Punkte |
1. |
Wie alt ist ihr Pferd? |
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unter 10 Jahre alt |
3 |
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über 20 Jahre alt |
1 |
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zwischen 10 und 20 Jahre alt |
2 |
2. |
Wie ist Ihr Pferd aufgewachsen? |
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in einer Absetzer-Gruppe |
3 |
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als Einzelfohlen |
0 |
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gemeinsam mit einem zweiten Absetzer |
1 |
3. |
Ist Ihr Pferd eher rangniedrig einzuordnen und neigt es zu Unsicherheit? |
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Nein, es hat eher eine ranghohe Position. |
1 |
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Ja, es ist Artgenossen gegenüber sehr unsicher und ängstlich. |
-3 |
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Es nimmt eine mittlere Rangposition ein. |
2 |
4. |
Wie verträgt sich Ihr Pferd mit anderen Artgenossen? |
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sehr gut |
3 |
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Hin und wieder ist es launisch. |
0 |
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Es ist meist streitsüchtig und neigt zu Drohgebärden oder Attacken. |
-5 |
5. |
Verhält sich Ihr Pferd anderen gegenüber sehr dominant? |
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Nein, es ist eher zurückhaltend. |
2 |
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Ja, es ist sehr dominant und selbstsicher. |
0 |
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Es ist selbstbewusst, aber nicht sonderlich dominant. |
1 |
6. |
Neigt Ihr Pferd im Freilauf zu Temperamentsausbrüchen? |
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Nein, es ist mit Ausnahmen eher gelassen. |
3 |
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nur wenn es zuvor lange gestanden hat |
2 |
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ja, sehr oft |
1 |
7. |
Wie verwertet Ihr Pferd sein Futter?1 |
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Es legt schnell Fettdepots an. |
0 |
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Es verwertet das Futter im normalen Rahmen. |
1 |
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Es ist ein schlechter Futterverwerter. |
3 |
8. |
Wie verhält sich Ihr Pferd beim Füttern? 2 |
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Es ist sehr futterneidisch. |
-3 |
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Der Futterneid hält sich im normalen Rahmen. |
1 |
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Es ist eher wenig futterneidisch. |
3 |
9. |
Hat Ihr Pferd Schwierigkeiten, durch enge Passagen zu gehen?3 |
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Ja, es bleibt stehen, wenn es meint, sich darin nicht mehr umdrehen zu können. |
-3 |
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nur bei ihm unbekannten Engstellen |
1 |
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nein, es ist nur vorsichtig |
3 |
10. |
Ist Ihr Pferd beschlagen? |
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ja |
1 |
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nein |
3 |
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nur vorne oder mit Kunststoffbeschlag |
2 |
11. |
Wie verhält sich Ihr Pferd beim Weidegang? |
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Es grast unentwegt und zupft auch am Rand von Geilstellen. |
0 |
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Es grast nicht exzessiv. |
1 |
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Es selektiert das Gras stark und meidet Geilstellen. |
2 |
12. |
Leidet Ihr Pferd unter einer Allergie und benötigt es bestimmtes Futter, Einstreu oder sonstige Vorkehrungen? |
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nein, keine |
3 |
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Ja, es leidet unter Sommerekzem, Headshaking oder einer Blütenpollenallergie |
-3 |
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Heu und Einstreu müssen staubfrei sein; Wässerung des Heus ist aber nicht notwendig |
0 |
13. |
Leidet Ihr Pferd an einer chronischen Krankheit? |
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Ja, es muss ständig Medikamente bekommen. |
0 |
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nein |
3 |
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nein, es ist aber öfter krank |
1 |
14. |
Muss Ihr Pferd im Winter geschoren werden? |
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ja, weil es sonst während und nach dem Training zu sehr schwitzt |
1 |
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nein, es wird im Winter nicht regelmäßig trainiert |
3 |
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nur Teilschur |
2 |
15. |
Muss Ihr Pferd im Winter eingedeckt werden? |
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ja, weil es ganz geschoren wird oder sehr mager ist |
1 |
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nein, es entwickelt ein dichtes Winterfell |
3 |
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nur zum Trocknen nach dem Reiten |
2 |
1 Weniger relevant für einen Bewegungsstall, da hier das Futter mittels Computertechnik individuell zugeteilt wird.
2 Pferde mit „hausgemachtem“ Futterneid (z. B. durch doppelreihige Innenboxenstallhaltung) können dieses Verhalten nach dem Entlassen in die Gruppenhaltung überraschend rasch ablegen; auf der anderen Seite entwickeln sich einige Pferde zu „Futterneidspezialisten“, die auch bei der inzwischen ausgefeilten automatischen Fütterung Unruhe in die Gruppe bringen.
3 wichtig bei der Fütterung in Fressständen bzw. Futterstationen
Auswertung
24 bis 42 Punkte: Ihr Pferd eignet sich gut für die Offenstallhaltung.
14 bis 23 Punkte: Ihr Pferd eignet sich bedingt für die Offenstallhaltung; es benötigt Ausweichmöglichkeiten, eine harmonische Gruppe und gegebenenfalls medizinische Betreuung und mehr Pflegeaufwand.
-6 bis 12 Punkte: Ihr Pferd eignet sich weniger für die Offenstallhaltung und sollte besser in einer Paddockbox/Laufbox oder mit einem sehr verträglichen Artgenossen in einer Zweiergemeinschaft gehalten werden.
Erläuterungen zum Test
Zwar wurde vom Autor aufgrund seiner Erfahrungen in über 40 Jahren Pferdehaltung sowie aus Erkenntnissen mehrerer Betreiber offener Pferdehaltungen entwickelt und nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Dennoch kann es durchaus sein, dass sich ein nach diesem Test als offenstalltauglich eingestuftes Pferd nicht in eine Gruppe einordnen kann. Deshalb müssen auch bei bestandenem Test immer alle Vorsichtsmaßnahmen bei der Eingliederung in eine Gruppe eingehalten werden.
Die Gruppenzusammensetzung spielt im Hinblick auf die Verträglichkeit ebenfalls eine große Rolle. So gibt es Bewegungsställe mit reinen Stutengruppen, Wallachegruppen und Seniorengruppen. Besonders im Einzugsbereich von Ballungsgebieten lassen sich heute auch spezielle Gruppen für Pferde mit Handicaps wie Arthrosen, Allergien oder chronischen Atemwegserkrankungen finden.
Der Test versteht sich als Hilfestellung, nicht als Absolutum. Ob ein Pferd tatsächlich offenstalltauglich ist, zeigt sich erst in der Praxis. Und auch, wenn es sich in die eine Gruppe nicht integrieren lässt, so kann es in einer anderen durchaus sein Glück finden. Deshalb sollte man sich im Vorfeld mehrere infrage kommende Ställe anschauen und nach Möglichkeit auch die Eingliederung eines anderen Pferdes verfolgen. Kompetentes Vorgehen sowie entsprechende Einrichtungen (Integrationsbox/-paddock) spielen für das Gelingen des Projekts Offenstallhaltung eine wichtige Rolle.