Den Pferden beim Frühstück „Guten Morgen“ sagen und abends noch ganz in Ruhe reiten. Selbst entscheiden, wie das eigene Pferd lebt, was es frisst, wie es versorgt wird. Ideen und Erfahrungen, die sich über die Jahre angesammelt haben, ganz ohne Kompromisse umsetzen: Pferde in Eigenregie zu halten, erscheint so manchem Pferdemenschen als Nonplusultra. Aber Achtung: Diese Form der Haltung verlangt viel Expertise, viel Zeit und Arbeitskraft, viel Liebe zum Pferd und sehr viel Durchhaltevermögen. Die entscheidende Frage ist: Lohnt sich all das? Sind Pferd und Mensch durch das enge Zusammenleben glücklicher, wachsen sie enger zusammen, gibt es für beide einen Mehrwert? Oder ist der klassische Einstellbetrieb doch die sinnvollere Variante fürs Pferdewohl und die Freude aneinander? Und gibt es vielleicht auch einen goldenen Mittelweg?
Eine Frage der Zugehörigkeit
Wer mit Pferden zusammenlebt, wird mit wunderschönen Momenten belohnt. Zugleich sind aber auch jene Tage nicht auszuklammern, an denen man für diesen Traum an und über seine Grenzen geht. Der große Unterschied zwischen Pferdehaltung in Eigenregie und im Einstellbetrieb sei für sie folgender, erzählt Ursula Bergmann, Besitzerin eines Einstellbetriebs: „Es geht um Zugehörigkeit. Wenn ich meine Pferde selbst halte, mich selbst um sie kümmere, dann fühle ich mich ihnen und vor allem auch dem Ort, an dem sie leben, zugehörig. Wenn ich Einstellerin bin, dann bin ich eher in der Rolle der Konsumentin. Ich komme, ich nutze die Anlage, ich gehe wieder. Das macht den Unterschied.“ Wie wahr! Es entsteht eine besondere Verbindung, ein intensives Gefühl von Zusammengehören und auch ein völlig neues Ausmaß an Verantwortung, wenn wir kontinuierlich mit unseren Pferden und ihrem Zuhause leben und jeden Handgriff selbst tätigen.
Ideallösung Eigenregie?
Diese Zugehörigkeit ist es wohl, nach der man sich sehnt, wenn man das Leben seiner Pferde selbst gestalten möchte. Dazu kommt die fantastische Vorstellung, komplette Kontrolle über ihre Haltung zu haben, sich optimal um sie kümmern zu können. Aber Achtung: Nur weil alle Entscheidungen am Ende bei dem/der Halter:in selbst liegen, heißt das noch lange nicht, dass alles möglich (und auch sinnvoll) ist. Gerade was die Infrastruktur, aber auch die Logistik der Pferdehaltung betrifft, haben es „Einzelkämpfer:innen“ oft sehr schwer. Eine eigene Reithalle kann sich kaum jemand aus eigener Tasche finanzieren, oft nicht einmal einen (Allwetter-)Reitplatz. Und ein befestigter Winterauslauf? Eine große, schöne Sommerweide? Unterstände auf der Koppel, beheizbare Tränken, warmes Wasser am Putzplatz, Flutlicht?
Manches ist verzichtbar, wenn wir unsere eigenen Ansprüche zurückschrauben – viele dieser Annehmlichkeiten tragen aber auch zur Lebensqualität der Pferde bei. Aus Kostengründen auf sichere, wetterfeste Auslaufflächen oder Unterstände auf dem Paddock zu verzichten, Pferde nur zu zweit statt in einer funktionalen, harmonischen Herde zu halten oder sie mangels Fachwissen oder Maschinen auf schlecht gepflegten Weiden grasen zu lassen, um sich den Traum vom Pferd hinterm Haus zu erfüllen, darf kritisch hinterfragt werden. Eins sollte man nämlich nicht vergessen: Den Pferden ist es herzlich egal, wie nahe „ihre“ Menschen leben. Viel mehr zählt für sie gute, fachgerechte Haltung und verlässliche Versorgung, eine Gruppe von Artgenossen, in der sie sich wohlfühlen, und auch: Bezugspersonen, die genug Zeit und Energie haben, um sich mit ihnen auf liebevolle, geduldige Art und Weise zu beschäftigen.
Leben wir mit unseren Pferden zusammen, verbringen wir natürlich mehr Zeit miteinander und lernen einander gut kennen. Das ungestörte Zusammensein in den eigenen vier Stallwänden kann diese Verbindung sehr vertiefen. Zugleich geht die nötige Unbeschwertheit für das genussvolle Zusammensein leichter verloren, wenn es nicht mehr allein um das geliebte Tier, sondern auch um all das geht, was es jeden Tag an Arbeit bedeutet!
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Gemeinsam statt einsam!
An Pferdemenschen kann man häufig folgendes Selbstbild beobachten: unverwüstlich, relativ immun gegen Luxus- und Komfortbedürfnisse und zu mindestens 80 Prozent für die Pferde am Leben. Das Pferd ist für viele von uns viel mehr als ein Hobby – es ist Lebensinhalt, ständiger Quell der Freude, auch geliebter Lebenspartner, und wir sind zu großen Zugeständnissen bereit, um unser Leben mit Pferden zu teilen. Eine wunderbare Leidenschaft! Nur eines sollte vor lauter Hingabe nicht passieren: Dass die Aufgaben und die Verantwortung rund um die Pferde uns überfordern und damit unglücklich machen. Das tut nämlich, soviel ist sicher, auch den Pferden nichts Gutes.
Die beste Möglichkeit, dieser Überforderung, einem ständigen „Muss“, Einhalt zu gebieten, ist eigentlich ganz einfach: Arbeit und Verantwortung aufteilen. Stallbesitzerin Ursula hat sich zum Beispiel nach langem Hadern dazu durchgerungen, ihren klassischen Einstellbetrieb aufzugeben. Zurück zum Selbstversorgerdasein will sie aber auch nicht. Stattdessen soll auf ihrem Hof nun der (vielleicht goldene) Mittelweg gefunden werden: eine Haltergemeinschaft, in der sich mehrere Menschen gemeinschaftlich um alle Pferde kümmern.
Natürlich wird dieser Weg Herausforderungen mit sich bringen, denn viel Kommunikations- und Kompromissbereitschaft, Engagement und Interesse an der gemeinsamen Sache sind gefragt. Aber gemeinsam ist man eben auch stärker: Das Gesamtbudget für die Infrastruktur und Logistik am Hof erhöht sich, Arbeitsstunden und Verantwortung werden geteilt. Es bleiben folglich viel mehr Freiraum und Flexibilität für den/die Einzelne:n, sprich Quality Time mit dem eigenen Pferd übrig. Und daneben liefert die Stallgemeinschaft auch noch Motivation, Inspiration und schönes Gemeinschaftsgefühl.
INTERVIEW
Erfahrungen aus einer Haltergemeinschaft
Julia, du bist seit drei Jahren Mitglied einer kleinen Haltergemeinschaft im Wienerwald. Wie ist es dazu gekommen?
Julia Salzer: Ich hatte als Einstellerin einfach kein Vertrauen mehr, dass mein Pferd gut betreut wird. Die Kooperation mit den Stallbetreibern hat auf Dauer nicht funktioniert. Die Heuqualität war eines der größten Konfliktthemen, aber leider nicht das einzige. Ich wollte aber sicher sein können, dass mein Pferd wirklich in meinem Sinne gehalten und versorgt wird.
In einer Gemeinschaft muss man doch auch Kompromisse machen – wie handhabt ihr das?
Wir waren lange Zeit nur zu dritt, seit kurzem sind wir zu viert. In so einer kleinen Gruppe ist es relativ leicht, auf einen Nenner zu kommen, wenn alle auf einer Wellenlänge sind, eine ähnliche Einstellung mitbringen. Genauso wie die Pferde im Offenstall bei uns harmonieren müssen, müssen auch die Menschen einfach gut zusammenpassen.
Ihr wart also längere Zeit nicht voll besetzt. Woran lag das?
Es ist erstaunlich schwierig, Menschen zu finden, die im Stall mitarbeiten wollen. Viele haben vor allem eine falsche Vorstellung. Regelmäßig da sein und arbeiten zu müssen, macht den Leuten Sorgen. Der Arbeits- und Zeitaufwand ist aber tatsächlich sehr gering, eigentlich für mich sogar weniger als früher im Einstellbetrieb. Vor allen Dingen bin ich noch nie mit so gutem Gewissen in Urlaub gefahren wie jetzt!
Das heißt, für dich überwiegen die Vorteile der Haltergemeinschaft?
Absolut! Mein Pferd ist genau so versorgt, wie ich mir das wünsche. Wenn wir etwas verbessern oder optimieren wollen, können wir das einfach umsetzen. Wir haben uns sehr viele Gedanken gemacht: Wollen wir Heunetze oder nicht, wie bringen wir mehr Bewegungsanreize ein, wie ist das Schlafverhalten der Pferde, wie machen wir das mit dem Anweiden oder Entwurmen, wie befestigen wir die Laufwege am Paddock-Trail und so weiter. Dieses Mitspracherecht zu haben, genieße ich sehr. Und das Miteinander in der Gemeinschaft ist toll, wenn man so gut harmoniert.
Wo siehst du Herausforderungen für Haltergemeinschaften?
Das Wichtigste: Die Menschen und Pferde müssen wirklich zusammenpassen. Je mehr Leute es werden, desto schwieriger ist das wohl, und die Arbeit im Stall wird natürlich mehr – man kann sie sich aber auch besser aufteilen. Bei einer kleinen Gemeinschaft ist umgekehrt die Finanzierung der Infrastruktur schwieriger, und man kann sich eventuell nicht so viel Platz für die Pferde leisten.
Hat sich deine Beziehung zu deinem Pferd auch verändert?
Wir haben viel über die Bedürfnisse unserer Pferde dazugelernt, schauen noch genauer hin und optimieren im Bedarfsfall. Wir beobachten zum Beispiel, wie sich der Rhythmus der Herde mit den Jahreszeiten verändert. Wir hören also noch besser zu, kann man sagen. Die Beziehung an sich hat sich aber nicht groß verändert.