OLYMPIA-COUNTDOWN

Österreichs Reitsport in der Olympiageschichte

Ein Artikel von Ernst Kopica | 12.07.2024 - 13:14
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Niemand wollte den als Galopper fehlgeschlagenen Vollblüter Nero, Alois Podhajsky formte ihn mit gewissenhater Dressurausbildung zum Olympia-Bronzemedaillisten der Spiele 1936. Interessantes Detail: das jüngste Pferd der Dressurbewerbe in Berlin war der erst sieben Jahre alte Revue, fünf weitere Pferde - darunter der deutsche Goldmedaillengewinner Kronos - zählten gerade einmal acht Lenze. Ein weiterer Fun Fact: Ein Ritt dauerte damals 18 Minuten!
© Schirner Pressebildzentrale Berlin

Die Reise durch die österreichische Olympiareiterei beginnt im Paris des Jahres 1900, als ein gewisser Hermann Mandl im Springreiten und in den doch eher obskuren Bewerben wie Pferdeweit- und -hochsprung an den Start ging. Hochoffiziell – die FEI weist erst seit 1912 Ergebnisse aus – gelten jedoch Arthur von Pongracz und Dagobert von Sekullic-Vrich mit ihren Teilnahmen bei den Spielen 1924, ebenfalls in Paris, als die ersten rot-weiß-roten Olympiareiter. Pongracz, der 1902 beim ersten internationalen Dressurwettbewerb der Geschichte in Turin den zweiten Platz belegt hatte, landete bei seinem Olympiadebüt unter 24 Startern auf dem 12. Rang. In Berlin 1936, Pongracz war zu diesem Zeitpunkt bereits 72 und der älteste Teilnehmer der Spiele, stahl dem Generalmajor a. D. aber ein anderer österreichischer Dressurreiter die Show: Alois Podhajsky, der spätere Leiter der Spanischen Hofreitschule, gewann auf Nero, einem im Galopprennsport höchst unerfolgreichen Vollblüter, Bronze und sicherte damit die erste der drei bisherigen rot-weiß-roten Olympiamedaillen. Im Team mit Arthur von Pongracz und Albert Dolleschal verpasste er als Vierter nur knapp weiteres Edelmetall.


Reine Männersache

In Berlin nahmen zum ersten Mal auch österreichische Spring- und Vielseitigkeitsreiter an Olympischen Spielen teil. Eventer Karl Neumeister wurde 14., Heinrich Sauer belegte im Springen Rang 21. Die Genderfrage stellte sich damals übrigens noch nicht, denn bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts durften ausschließlich Männer an den Reitbewerben teilnehmen. Erst 1952 waren Dressurreiterinnen zugelassen, noch länger mussten die Spring- und Vielseitigkeitsreiterinnen warten, nämlich bis 1956 bzw. 1964. Für die österreichischen Reiterinnen sollte es gar bis 1980 dauern, bis endlich auch eine Frau im Zeichen der fünf Ringe an den Start ging!

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Österreichischer Pionier in der olympischen Vielseitigkeit: Karl Neumeister auf Karolus. Der Geländekurs der Olympischen Spiele 1936 in Berlin, bei denen Neumeister 14. wurde, war so schwer, dass er drei Pferdeleben forderte. Nur vier von ursprünglich 14 Nationen schafften es letztlich in die Wertung. Kurios: Der Tschechoslowake Otomar Bures benötigte für den Cross fast drei Stunden. Er beendete ihm mit 18130,70 Minuspunkten auf dem Konto. © Official Report of the 1936 Olympic Games

1948 wurden in London die ersten Olympischen Spiele nach dem Zweiten Weltkrieg ausgetragen. Österreich schickte abermals seinen Bronzemedaillisten Podhajsky und Vielseitigkeitsreiter Sauer an den Start, doch für beide lief es nicht wie gewünscht. 1956 fanden die Reitbewerbe aus Quarantänegründen nicht im australischen Melbourne, sondern in Stockholm (SWE) statt. Österreich sandte ein Springreitteam, dem Peter Lichtner- Hoyer, Adolf Lauda und Romuald Halm angehörten und in der Dressur die Einzelreiter Robert Lattermann und Alexander Sagadin.

Die Piazza Siena nahe der Villa Borghese präsentierte sich 1960 in Rom (ITA) als traumhafte Austragungsstätte, für den österreichischen Springreiter Eduard Budil kam aber leider schon in der ersten Runde das Aus. In Tokio (JPN) 1964 und Mexiko City (MEX) 1968 ging Reiten bei Olympia ohne österreichische Beteiligung in Szene.


Hugo Simon vom (Olympia)Pech verfolgt

1972 begann die Ära von Hugo Simon, der zu Olympischen Spielen ein etwas zwiegespaltenes Verhältnis hat. Schon die Spiele in München hätten zum totalen Triumph des Wahlösterreichers werden können. Doch ein Abwurf in Runde zwei kostete ihn und seinen fantastischen Lavendel die Goldmedaille und die beiden mussten sich mit dem undankbaren vierten Rang begnügen. In diesem Jahr feierte auch ein österreichisches Vielseitigkeitsteam seine Olympiapremiere und brachte mit dem 12. Platz gleich ein gutes Ergebnis mit nach Hause. Ferdinand Croy (21.), Friedrich Resch (40.) und Wolf Dieter Rihs (45.) klassierten sich auch im Einzel, nur Rüdiger Wassibauer scheiterte im Cross. Letztgenannter bekam dafür vier Jahre später in Montreal (CAN) als Teil der österreichischen Spring-Equipe eine weitere Chance. Gemeinsam mit Hugo Simon, Thomas Frühmann und Henk Hulzebos schaffte er dort den 11. Platz. Für Simon ging die Olympiageschichte im Einzel weiter – als Fünfter schrammte er jedoch abermals knapp an einer Medaille vorbei.

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Elisabeth Max-Theurer und Mon Cherie gewannen in Moskau 1980 Olympiagold. © FEI

Gold in Moskau

Diese holte schließlich Sissy Max-Theurer 1980 in Moskau. Die Spiele waren geprägt vom Boykott, der von den USA ausgelöst wurde, wodurch etliche Reitsportkapazunder fehlten. Die heutige Präsidentin des Österreichischen Pferdesportverbandes ging als amtierende Europameisterin mit ihrem legendären Schimmel Mon Chérie an den Start, wurde ihrer Favoritenrolle vollends gerecht und holte die erste und bisher einzige Goldmedaille für den heimischen Reitsport. Vier Jahre später klassierte sie sich in Los Angeles auf Acapulco als Elfte im Einzel und gemeinsam mit Peter Ebinger und Christa Winkel auf Platz 9 im Teambewerb. Für Hugo Simon und The Freak wurde es in den USA der 22. Rang. 1988 nahm Simon in Seoul (KOR) gemeinsam mit Boris Boor einen weiteren Anlauf auf olympisches Edelmetall, scheiterte aber in der Qualifikationsrunde.
 

Überraschung in Barcelona

Die Springreiter setzten ihrer Pechsträhne 1992 in Barcelona (ESP) ein Ende – und zwar mit Pauken und Trompeten. In einem verrückten Mannschaftsbewerb gelang den vier Musketieren Hugo Simon (Apricot D), Thomas Frühmann (auf Genius zweimal fehlerfrei), Jörg Münzner (Graf Grande) und Boris Boor (Love Me Tender) die Sensation: Sie holten die nie und nimmer erwartete Silbermedaille für Österreich! Nach der Babypause wieder im internationalen Sport aktiv, belegte Sissy Max-Theurer, diesmal mit Liechtenstein, Platz 8.

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Sensation in Barcelona 1992: Österreichs Spring-Equipe überraschte mit Team-Silber! © Elizabeth Furth

Bei den Spielen von Atlanta (USA) 1996 gelang Hugo Simon auf E.T. mit dem vierten Platz wieder eine tolle Leistung, die Medaille blieb ihm jedoch – schon wieder! – verwehrt. Gemeinsam mit Anton-Martin Bauer, Helmut Morbitzer und Thomas Metzger erritt Simon noch einen 11. Platz im Teambewerb. Es sollte die vorerst letzte Olympiateilnahme eines österreichischen Springreitteams für 28 Jahre bleiben. Dressurreiterin Caroline Hatlapa hatte 1996 ebenfalls die Quali für Atlanta geschafft und sich dort mit ihrem Trakehner Merlin auf Rang 31 platziert.

Den weiten Weg ins australische Sidney zu den Spielen des Jahres 2000 traten drei Einzelreiter an: im Springen Anton Martin Bauer und in der Dressur Peter Gmoser und Stefan Peter. Bauer gelang mit Equo die Qualifikation fürs Finale, in dem er 26. wurde, Gmoser schaffte es mit Candidat in den Spécial und klassierte sich in der Endwertung auf Platz 21, für Peter (Bon Voyage) war im Grand Prix Endstation.

Dressur-Küken bei Olympia

Für die Spiele 2004 in Athen (GRE) hatte sich nach 20 Jahren wieder eine Dressurmannschaft qualifiziert. Mit dabei waren Victoria Max-Theurer (mit ihren damals 18 Jahren die jüngste Dressurreiterin, die jemals bei Olympischen Spielen angetreten war), Nina Stadlinger, Peter Gmoser und Fritz Gaulhofer. Das Quartett holte den ausgezeichneten 8. Platz, Max-Theurer klassierte sich auf Falcao als beste österreichische Einzelreiterin auf Rang 20.

Ebenfalls mit einer kompletten österreichischen Mannschaft (Margit Appelt, Harald Ambros, Harald Riedl, Harald Siegl und Andreas Zehrer) gingen die Vielseitigkeitsbewerbe in Szene, Platz 13 wurde es am Ende für Team Austria.

Vier Jahre später traten nur zwei Einzelreiter:innen den Flug nach Hongkong an: Victoria Max-Theurer wurde mit Falcao in der Dressur 26., während in der Vielseitigkeit für Harald Ambros und Quick vor der Geländeprüfung das verletzungsbedingte Aus kam.

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Toller Auftritt: Vici Max-Theurer und Augustin OLD in London 2012
3 | © holcbecher.com

Ein ähnliches Schicksal ereilte den Oberösterreicher 2012 in London (GBR), nachdem er sich zum dritten Mal in Folge für Olympia qualifiziert hatte. Diesmal wurde ihm ein Sturz seines O-Feltiz im Gelände von Greenwich Park zum Verhängnis. Wesentlich besser erging es Mannschaftskollegin Victoria Max-Theurer, die ebenfalls ihren dritten Olympiastart absolvierte. Mit Augustin schaffte sie es bis ins Kür-Finale und ritt dort auf Platz 13! Auch Renate Voglsang hatte als dritte Österreicherin eine Fahrkarte für London geholt, sie belegte mit ihrem Fabriano in der Einzeldressur Rang 34.

2016 blieb Victoria Max-Theurer in Rio de Janeiro (BRA) auf sich allein gestellt. Weil ihr damaliges Top-Pferd Blind Date im Vorfeld immer wieder leichte Koliksymptome gezeigt hatte, ging die Achleitnerin mit ihrer noch wenig routinierten Stute Della Cavalleria an den Start und musste sich diesmal mit einem 34. Platz begnügen.

Pech hatte die Oberösterreicherin dann bei ihren fünften Spielen in Tokio 2021, da ihr Abegglen wegen einem einen akuten Wurzelspitzen-Abszess in einem Backenzahn w. o. geben musste. Christian Schumach (Te Quiero) und Florian Bacher (Fidertraum) klassierten sich in der Einzeldressur auf den Rängen 21 bzw. 30. Für ein Ausrufezeichen sorgte Vielseitigkeitsreiterin Lea Siegl auf Fighting Line. Die 22-jährige Oberösterreicherin ritt bei ihrem Olympiadebüt mit Platz 15 direkt in die Weltspitze. Kollegin Katrin Khoddam-Hrazati musste hingegen ihre Cosma vor der Dressur wegen einer Verletzung im Stall lassen.

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Als jüngste Teilnehmerin unter den Top 15: Lea Siegl auf Fighting Line 2021 in Tokio © holcbecher.com

Bestimmende Größe im Olympiateam

Bisher gingen für Österreich bei Olympia nicht weniger als 48 Reiter:innen an den Start: 20 in der Dressur, 16 im Springen und 12 in der Vielseitigkeit. Damit zählt der Reitsport seit 100 Jahren zu einer wichtigen und bestimmenden Größe im österreichischen Olympiateam. Heuer macht das achtköpfige Reitsportteam gar ein Zehntel des gesamten rot-weiß-roten Olympia-Aufgebots aus!

Ebenfalls bemerkenswert ist die Tatsache, dass seit 1972 (also seit 52 Jahren!) bei Olympischen Sommerspielen immer heimische Reiter:innen mit dabei waren. Wie auch immer die Spiele für Österreich ausgehen, hinstorisch sind sie für den heimischen Pferdesport auf alle Fälle, denn mit Katharina Rhomberg ist zum ersten Mal endlich auch im Springaufgebot eine Amazone vertreten!