Pferd und Mensch

Blindes Vertrauen

Ein Artikel von Pamela Sladky | 09.09.2020 - 13:16
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Morgan Warner und ihr blindes Pferd Endo haben eine ganz besondere Verbindung zueinander. Endo weiß genau: Seine Besitzerin passt
immer auf ihn auf. © www.michaelt.photography

 „Uuund: Galopp!“, sagt Morgan Warner mit sanfter, auffordernder Stimme. Im nächsten Moment galoppiert ein auffällig gemustertes Pferd an und zirkelt in ruhigem Tempo um sie herum. Ohne Kopfstück, ohne Longe – und ohne etwas zu sehen. Endo, so heißt der Wallach, ist blind. Und dennoch ist er ein selbstbewusstes, bewegungsfreudiges und abenteuerlustiges Pferd, das sein Leben in vollen Zügen genießt. Doch das war nicht immer so.
 

Und dann war alles dunkel

Mit acht Jahren bemerkte Morgan, dass Endo ungewöhnlich oft zwinkerte. „Seine Augen schienen ihn zu schmerzen, sie tränten oft. Vor allem während der Sommermonate“, erinnert sie sich. Mehrere tierärztliche Untersuchungen und Therapieversuche später war es schreckliche Gewissheit: Für Endos rechtes Auge gab es keine Rettung mehr. Es musste bei einer Operation entfernt werden.

Dass er auf einer Seite plötzlich gar nichts mehr sehen konnte, war ein Schock für Endo. „Unmittelbar nach der Operation hatte er große Angst“, erzählt Morgan. Sie fand ihn zitternd und völlig verschreckt in seiner Box. Um ihm Sicherheit zu geben, blieb sie die ganze Nacht bei ihm. Das half. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Als auch das linke Auge zunehmend Probleme machte, kündigte sich schon bald eine zweite Operation an – eine, bei der man auch sein verbliebenes Auge entfernen würde.

So schlimm diese Nachricht auch war: Morgan beschloss, alles dafür zu tun, damit ihr vierbeiniger Freund auch weiterhin ein lebenswertes Dasein würde führen können. Sie bereitete Endo auf die Zeit in völliger Dunkelheit vor, indem sie sein noch sehendes Auge immer wieder abdeckte. Das war für Endo anfangs so furchteinflößend, dass er am ganzen Körper zitterte und keinen Schritt machen wollte. Doch seine Besitzerin gab nicht auf. Mit viel Geduld lockte sie ihr Pferd Schritt für Schritt vorwärts, und jeden Tag wurde es ein kleines bisschen besser. Endo lernte, sich ohne seinen Sehsinn auszubalancieren und Morgans Stimme zu folgen.

Als sechs Monate nach der ersten Operation auch Endos zweites Auge entfernt wurde, erholte sich der Wallach deutlich schneller. Durch das vorangegangene Training hatte er gelernt mit der völligne Dunkelheit zurechtzukommen.    

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Mit Morgan auf dem Rücken herumzugaloppieren, liebt Ende ganz besonders. Gemeinsame Ritte sind trotz Endos Blindheit sogar im Gelände möglich. © www.michaelt.photography

Immer den Ohren nach

Seit diesem Tag sind einige Jahre vergangen. Heute ist Endo ein selbstbewusstes Pferd, das wieder Freude am Leben hat. Dass er blind ist, merkt man ihm nicht an. „Endo ist in der Lage, alles zu tun, was andere Pferde auch tun können“, sagt Morgan stolz. „Er startet auf Turnieren, geht mit mir ausreiten, macht Freiarbeit, verreist, springt – er macht bei jeder neuen Sache mit, die sich uns anbietet.“

Damit das klappt, ist viel Vertrauen zwischen Pferd und Mensch nötig. Und eine besondere Kommunikation, die Endo hilft, sich ohne den Sehsinn zurechtfinden zu können. „Endo versteht zwischen 50 und 60 Wörter und weiß, was sie bedeuten“, erklärt Morgan. So lässt sich Endo bei der Freiarbeit ganz ohne Halfter und Longe dirigieren. Er wendet auf Zuruf, verkleinert oder vergrößert den Zirkel, verlangsamt oder beschleunigt sein Tempo und wechselt die Gangart, wenn das entsprechende Kommando kommt. Sogar gemeinsames Springen ist auf diese Weise möglich.

Endo, der Star

Ihre außergewöhnliche Geschichte hat Endo und Morgan in ihrer Heimat, den USA, zu Showstars bei Messen und anderen Pferdeveranstaltungen gemacht. Dort bleibt Endo selbst bei größtem Trubel cool. „Er liebt die Aufmerksamkeit und weiß, dass der Jubel des Publikums ein Lob für ihn ist“, verrät Morgan.

Auf dem heimatlichen Hof verbringt der Wallach seine Zeit am liebsten auf der Weide – zusammen mit Ponystute Cinnamon. Sie hilft ihm, sich zurechtzufinden, wenn Morgan gerade nicht an seiner Seite ist. „Endo ist wie ein Rasenmäher. Essen ist seine Lieblingsbeschäftigung“, lacht Morgan. Was Endo noch mag? Ausgiebig geputzt werden. Und zusammen mit seiner zweibeinigen Freundin durch die Gegend galoppieren.

Wie der tapfere Appaloosa seinen Alltag trotz seiner Einschränkung meistert, inspiriert unzählige Pferdefreunde auf der ganzen Welt. Mit seinen 19 Jahren ist Endo eine gefeierte Social-Media-Berühmtheit. Seine Facebook-Seite „Endo the Blind“ zählt 200.000 Fans, 60.000 Menschen folgen ihm auf Instagram. Und alle sind begeistert von seinen Fotos, seinen Videos und seinem unbändigen Willen, trotz seiner Behinderung sein Leben in vollen Zügen zu genießen. Sie alle wissen: Das ist etwas ganz Besonderes. Genauso besonders, wie Endo und seine Verbindung zu Morgan es sind.

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Dass er nichts sieht, ist für Endo heute kein Problem mehr. Mit der Hilfe seiner Besitzerin Morgan Warner hat er es geschafft, sich trotz seiner Blindheit gut im Leben zurechtzufinden. © www.michaelt.photography