„Pferde sind auch nur Menschen!“ Der Spruch, der inzwischen ein Sprichwort geworden ist, gilt wahrscheinlich für nichts so sehr, wie für Lärm. Wie es Menschen gibt, die mit einem bestimmten Geräusch oder einem Song etwas ganz Spezielles verbinden, so gibt es auch Pferde, denen das genauso geht – im Guten, wie im Schlechten. Da ist der bahnsaure Traber, der bei Geräuschen durchdreht, die von vielen Menschen und Musik stammen und mit dem man im Sommer auf der Hausrunde nicht am Biergarten vorbeikommt, wenn da Betrieb ist. Da ist das ehemals hocherfolgreiche Dressurpferd, das sich, wenn in der Halle das Radio läuft, bei manchen Songs trotz seiner 24 Jahre selber versammelt und Verstärkungen wie nie anbietet. Egal wie Pferde bestimmte Geräusche, Lärm oder Musik kennengelernt und verknüpft haben – ein Termin im Jahr ist für sehr viele Pferdebesitzer:innen diesbezüglich mit zumindest einem Fragezeichen versehen: Silvester. Das Feuerwerk zum Jahreswechsel kann auch ansonsten coole Vierbeiner stressen, vor allem wenn sehr unruhige vierbeinige Kollegen sie anstecken oder ein neuer Stall sie vor ungewohnte Herausforderungen stellen.
Studie zur Geräuschgewöhnung
Forscherinnen der Uni im polnischen Lublin wollten herausfinden, ob sich Pferde dauerhaft an zuerst angstauslösende, irritierende Geräusche gewöhnen. Die gute Nachricht für Silvester vorweg: Ja tun sie. „Die Gewöhnung an akustische Reize ist bei Pferden anhaltend“, so das Ergebnis der Studie (tinyurl.com/j9nchszr). Im Vorfeld der Forschungsarbeit wurden aus 40 Geräuschen unterschiedlicher Herkunft mit deutlich ablenkender Wirkung auf die Pferde – die sie also ihre Aktivität unterbrechen ließen und so beunruhigten, dass der Herzschlag sich erhöhte – fünf zur Gewöhnung ausgewählt. Die Pferde gewöhnten sich recht zügig an die sie anfänglich irritierenden Geräusche. Allerdings brauchten sie unterschiedlich viele Wiederholungen dafür. Zudem bestätigte die Studie die Wiedererkennung von Geräuschen und die schnelle und anhaltende Gewöhnung daran.
Fakt ist: Obwohl Pferde seit Jahrtausenden domestiziert und somit an die menschliche Umwelt und an unsere Bedürfnisse angepasst wurden, sind die allgemeinen Verhaltensmuster ihrer wilden Vorfahren noch immer erhalten. Als Beutetiere bleiben sie wachsam gegenüber den sie umgebenden Reizen, da diese auf eine mögliche Gefahr hinweisen können. Als Fluchttier muss das Pferd jedes unbekannte Signal – ob akustisch oder visuell – ernst nehmen.
Am Silvesterabend: Die Top-Fünf-Tipps damit die Pferde das Feuerwerk gut zu überstehen.
- Mindestens eine pferdeerfahrene Person sollte sich im Stall befinden, um notfalls – und das betrifft nicht nur die Pferde, sondern auch die Feuergefahr durch noch glimmende Feuerwerksraketen – für Hilfe zu sorgen.
- Wo immer es geht, die Türen und Fenster schließen – oder letztere sogar verdunkeln und die vorhandene Beleuchtung (auch draußen) anmachen – das gilt auch für den Offenstall. Je heller es im Stall oder auf dem Paddock ist, umso weniger fallen die Lichtblitze der Raketen auf.
- Vielfach wird empfohlen, die Pferde während des Feuerwerks zu füttern – mit Leckerchen wie Möhren. Aber aufgeregte Pferde kauen oft nicht, was zu einer Schlundverstopfung führen kann. Es kann aber sinnvoll sein, eine Extraportion Heu eine oder zwei Stunden vorher zu füttern, damit die Pferde satt sind und der Magen noch zu tun hat.
- Wer sich mit den Nachbarn gut stellt kann sie beispielsweise bitten, in eine andere Richtung oder ein paar hundert Meter weiter als direkt am Stall zu böllern. Vielen ist gar nicht klar, wie schlimm das Feuerwerk für die Pferde sein kann.
- Bewegen Sie ihr Pferd an den Tagen vor und nach Silvester regelmäßig und lasten sie es vor allem vorab so gut wie möglich aus. Von der Arbeit zufriedene Pferde müssen keinen angestauten Bewegungsdrang abbauen. Am Neujahrtag hilft entspannte Bewegung etwaigen Stress abzubauen und die Muskeln zu lockern und ist damit auch eine sinnvolle Kolikvorsorge.
In der Praxis
Pferdebesitzer:innen beobachten allerdings, dass die Tiere unterschiedlich reagieren, je nachdem ob sie das laute Objekt sehen können oder nicht. Ein sich nähernder Faschingsumzugswagen mit musikalischer Volldröhnung macht die meisten Pferde erst einmal unruhig. Wenn sie können, richten sie sich nach der Geräuschquelle aus, um auch mit den Augen zu erfassen, worum es geht. Taucht der Wagen dann im Blickfeld auf, wird das Pferd gemäß seiner „Vorbildung“ und seines Temperaments entweder ruhiger oder bekommt noch mehr Angst. Vorbildung meint hier tatsächlich die Erfahrungen, die das Pferd mit dem Kontext des Lärms gemacht hat. In diesem Fall: Bleibt es bei Traktoren, Lkw und rumpelnden Anhängern entspannt oder hat es damit – etwa im Straßenverkehr – große Probleme?
Ähnliches beobachten viele Pferdebesitzer auch an Silvester: Können die Pferde das Feuerwerk sehen sind viele oft ruhiger als wenn sie die Knallerei nur hören – oder eben nicht. In einem Stalltrakt mit 20 Pferden oder mehr wird man sich eher schwer tun, individuelle Lösungen zu finden. Insofern wird man die Möglichkeit wählen, die sich bei den meisten Pferden bewährt hat: Licht an, Radio an.
Wer allerdings weiß, dass sein eigenes Pferd grundsätzlich geräuschempfindlich ist, der sollte es entsprechend vorbereiten. Vor allem, wenn im Stall normalerweise kein Radio läuft – oder zumindest nicht in der während des Feuerwerks benötigten Lautstärke. Da leider vielfach bereits an den Tagen vor dem Silvesterabend, sowie am 31. Dezember und am 1. Jänner selbst noch geböllert wird, und das für die Pferde in der Regel dann tatsächlich komplett unvorbereitet kommt, lohnt es sich auf alle Fälle, sein Pferd „schussfest“ zu machen.
Geeignete Methoden
In der Regel wird man – außer man spricht sich in der Stallgemeinschaft ab – für sein Pferd alleine üben. Abhängig davon, wie mit Silvester am Stall umgegangen wird, kann man dann sein Vorgehen entwickeln. Angenommen, der Stall favorisiert die weitverbreitete Methode, bei der die Fenster und Türen möglichst dicht gemacht werden und am ganzen Abend Radio läuft, sollte man sicherstellen, dass das eigene – und idealerweise auch die Nachbarpferde – bereits an entsprechend laute Musik gewöhnt sind. Falls nicht, kann man das aktuell den ganzen Dezember über noch einführen: Am Anfang mit leiser Musik – und wenn alle ruhig bleiben erhöht man die Lautstärke Schritt für Schritt.
Studien zu Pferden und wie sie auf Musik reagieren haben unter anderem herausgefunden, dass unruhige Musik wie Jazz die Pferde nervös macht, während klassische oder Country-Musik sie beruhigt. Es sollte also auch die passende Musik gewählt werden – oder ein Sender, der eben eher eine fröhliche, entspannende Playlist hat. Man kann aber natürlich auch auf dem Handy seine eigene Playlist zusammenstellen und sie dem Pferd beim Putzen, Spazierengehen oder bei der Arbeit vorspielen. In diese Playlist kann man dann auch die Geräusche von Feuerwerken aufnehmen und – zuerst leise, dann lauter werdend – abspielen. In die Musik aus dem Radio mischt sich dann ein Klangteppich aus Böllern, genau wie man es am Silvesterabend machen möchte. Ideal ist die Fütterungszeit, wie auch Horseman Bernd Hackl nachfolgenden YouTube-Lehrvideos beschreibt.
Musik unterstützt aber nicht nur beim Silvester-, sondern auch als Turniertraining oder als Vorbereitung für Brauchtumsveranstaltungen. Denn dort und auf dem Turnier spielt ständig wechselnde Musik – bei Dressurprüfungen, zur Unterhaltung und bei Siegerehrungen – und verwebt sich mit Ansagen aus dem Lautsprecher, dem Applaus des Publikums und dem Wiehern aufgeregte Artgenossen zu einem für Pferde sehr fordernden Geräuschteppich. Man kann Musik nicht nur deshalb gut auch beim Reiten einsetzen. Pferde reagieren auf Takt und Rhythmus der Musik oft sehr intuitiv und teilweise extrem. Es lohnt sich, an die passende Musik und Lautstärke vorsichtig heranzutasten – zur Beruhigung oder um besseren Takt oder mehr Kadenz anzuregen.
Noch vor etwa einige Jahrzehnten war eine Sonntagreitstunde zu Musik weit verbreitet. Häufig wurden dabei auch Quadrillefiguren geübt. Heute läuft in vielen Reithallen in moderater Lautstärke an der Bande ein Radio. Dabei ist man darauf angewiesen, zu dem zu reiten, was gerade läuft – das kann zum Pferd passen und sich positiv auswirken oder auch nicht. Deshalb lohnt es sich durchaus, herauszufinden, ob und zu welcher Musik das eigene Pferd sich individuell verbessert.
Pyrotechnik-Verwendung
Zwar dürfen in Österreich Feuerwerkskörper bis einschließlich Kategorie 2 (z. B. Feuerwerksraketen, Knallfrösche, Knallkörper) das ganze Jahr über verkauft werden (Mindestalter 16 Jahre), im Ortsgebiet dürfen sie allerdings ganzjährig nicht gezündet werden. Für Silvester gibt es die üblichen Ausnahmen, geregelt von den Gemeinden und Städten. Innerhalb und in unmittelbarer Nähe zu Krankenanstalten, Kinder-, Alters- und Erholungsheimen, Kirchen, Gotteshäusern sowie Tierheimen und Tiergärten ist die Verwendung von Feuerwerkskörpern/Silvesterknallern grundsätzlich immer verboten, auch außerhalb des Ortsgebietes. Verstöße können bis zu mehrere tausend Euro Bußgeld kosten. Mehr Infos in der Pyrotechnikverordnung des Bundesministeriums für Inneres.
Eine lange Tradition
Dass Pferde an ihnen unbekannte laute Geräusche gewöhnt werden müssen, das Knallen von Schüssen und Schlachtenlärm etwa, ist schon lange der Fall. In seinem im Jahr 1835 veröffentlichten Lehrbuch schreibt der k.k. Rittmeister Constantin Balassa zur Gewöhnung an die Trommel: „Auch hierin ist es gut, wenn der Unterricht anfangs langsam und gelassen vorgenommen wird.“ Er erklärt, wie man mit „etwas Naschwerk“, das man in der Hand hält, lässt die Pferde während man trommelt folgen lässt (das heutige Folge-der-Furcht-Prinzip). Das Trommeln darf dabei anfangs nicht zu laut sein. Und die Artgenossen, die es schon kennen, helfen ebenfalls bei der Gewöhnung, wie man bei Balassa weiter lesen kann. Er endet mit folgender Empfehlung: „Im Stalle trommelt man gewöhnlich drei mal des Tages, nämlich vor dem Hafergeben des Morgens, Mittags und Abends; jedoch dürfen die Pferde während des Haferfressens, damit sie denselben nicht aus dem Maule verlieren, nicht gestört werden.“ Ein Tipp, der auch heute noch sinnvoll ist, weiß man doch, dass man ansonsten dem Pferd im Zweifelsfall beibringt, es dafür zu belohnen, dass es Unruhe zeigt. Ein Argument mehr, sich mit seinem Pferd in Sachen Silvestertraining individuell zu beschäftigen.