"Mit sinnvollem Training an der Longe kann das Pferd optimal auf das Tragen eines Reiters vorbereitet und in Ergänzung zum Reiten sein Leben lang gesundheitsfördernd bewegt und trainiert werden. Eintöniges, unphysiologisches Longieren hingegen ermüdet den Geist und verschleißt den Körper. Schon allein aus diesem Grund ist es wichtig, das Longieren genau wie das Reiten von der Pike auf zu erlernen, um es korrekt und vielseitig anwenden zu können“, meint Katharina Möller. Und vielseitig bedeutet für die FN-Trainerin mit besonderer Liebe für die klassische Reitlehre beim Longieren auch mal außerhalb des gewohnten Zirkels zu denken. Ganze Bahn, durch die Tour wechseln, einfache und doppelte Schlangenlinien, Übergänge zwischen und innerhalb der Gangarten, später kombiniert mit Pylonen und Cavaletti, oder auch mal ein Schenkelweichen – das alles macht das Training an der Longe nicht nur abwechslungsreich, sondern auch gymnastisch wertvoller. Denn durch das Wechselspiel zwischen Geradeaus, Biegung, Seitwärts, Rückwärts und unterschiedlichen Tempi wird der Pferdekörper auf vielfältige Weise trainiert und beweglich gehalten.
Die abwechslungsreiche Gymnastizierung ist es letztlich auch, die dem Pferd dabei hilft, seine individuell optimale Haltung an der Longe zu finden. Und zwar ganz von allein. „Ich bezeichne diese Form des Trainings als ‚übungsbasierte‘ Arbeitsweise. Wir erklären dem Pferd, was es tun soll – und nicht, wie es dabei auszusehen hat. Seine äußere Form ist für uns einfach ein Zeichen dafür, wie es ‚funktioniert‘, also wie es sich in diesem Moment fühlt und wie es sich biomechanisch bewegt“, so Möller.
Anstatt ihm einen fixen Rahmen und eine Form vorzugeben, in denen es sich bewegen soll – wie es bei der Verwendung von Hilfszügeln der Fall wäre –, nimmt man über die Änderung der funktionalen Details Einfluss auf die äußere Form. Je besser die Vorbereitung, desto öfter wird es sich aus freien Stücken für die angestrebte „Dressurhaltung“ entscheiden. „Diese Herangehensweise ist für die meisten Pferde sehr gut nachzuvollziehen. Durch logisch aufeinander aufbauende Übungen bekommt das Pferd Spaß an der Bewegung. Es lernt, wie es seinen Körper ausrichten muss, damit etwas gelingt. In welcher körperlichen Form das am besten funktioniert, findet es selbst heraus.“
Die Ausrüstung
Der Kappzaum ist der unumgängliche Ausrüstungsgegenstand für Möllers Art zu Longieren. „Ohne Kappzaum funktioniert das gesamte Konzept nicht“, sagt die Ausbilderin und erklärt auch gleich, warum das so ist: „Die geniale Wirkung des Kappzaums liegt darin, dass er uns durch die Befestigung der Longe in Höhe des Nasenbeins hilft, den Kopf des Pferdes leicht zur Seite zu wenden. Dabei rotiert das Pferd im Genick, was wir in der Reiterei als Stellung bezeichnen. Diese spielt eine wichtige Rolle beim Thema Biegung, das wiederum beim Longieren auf Kreislinien zentral ist.“
Welchen Kappzaum man wählt, hängt zum einen davon ab, was dem Pferd passt, zum anderen von persönlichen Vorlieben – denen des Ausbilders und – ganz wichtig – denen des Pferdes! Wenn es um die Longe geht, bevorzugt Möller leichte und wenig voluminöse Modelle, damit sie gut in der Hand liegen. „Ich nutze relativ schmale Biothane- Longen oder etwas breitere, aber flache aus Gurtmaterial ohne Stege.“ Stege eignen sich deshalb nicht gut, weil sie verhindern, dass man die Longe z. B. beim Zirkelvergrößern geschmeidig durch die Hand gleiten lassen kann. Das erschwert es, einen sanften, aber stetigen Kontakt beizubehalten. Besonders angenehm fürs Pferd sind außerdem Longen, die direkt am Kappzaum, also ohne Karabiner, eingeschnallt werden können. „Das ergibt den feinsten Kontakt, ohne schlenkernde Metallteile auf der Nase“, ist Möller überzeugt.
In puncto Peitschen sollte man am besten zwischen zwei bis drei Modellen wählen können – je nachdem, was man mit dem Pferd vorhat. Für die Arbeit dicht am Pferd eignet sich eine kurze Touchierpeitsche mit einer Länge von etwa 1,30 bis 1,50 Meter. „Damit kann man präzise verschiedene Körperstellen ‚kitzeln‘“, so Möller. Wird mit größerem Abstand gearbeitet, ist eine normale Longierpeitsche von etwa zwei Metern Länge mit Peitschenschlag die ideale Wahl. Wichtig ist bei allen Peitschen, dass sie gut in der Hand liegen und sich vom Ausbilder ganz präzise führen lassen. „Peitschenhilfen werden beim Longieren analog zu den Schenkelhilfen beim Reiten eingesetzt. Die Peitsche gibt dabei Impulse und setzt wieder aus. Keinesfalls soll ein Dauerfeuer stattfinden! Genau wie bei den Schenkelhilfen muss jeder Einsatz einen konkreten Zweck haben und durch richtiges Timing und angemessene Dosierung so effizient sein, dass sich die Hilfe danach erübrigt.“
Der Anfang
Ein Pferd mit Longe und Peitsche über einen Reitplatz zu dirigieren – das klingt zunächst nicht sonderlich schwierig. Ganz so simpel, wie man vielleicht annehmen möchte, ist die Sache allerdings nicht, soll die Arbeit an der Longe über reine Bewegungsverschaffung hinausgehen und einen echten Mehrwert bieten. Dann ist es durchaus sinnvoll, sich erst einmal im Detail mit der Hilfengebung auseinanderzusetzen. Denn diese ist – wie auch beim Reiten – ausgesprochen vielschichtig. „Ich lasse meine Schüler zu Beginn trocken üben. Ihren eigentlichen Sinn entfaltet die Hilfengebung zwar erst, wenn ein Pferd dazu in Resonanz geht. Die technischen Fertigkeiten lernen die allermeisten Menschen aber viel schneller, wenn sie sich vorerst ganz auf sich und die Ausrüstung konzentrieren können“, erklärt Möller. Denn auch ohne Pferd gibt es eine ganze Menge zu lernen. Etwa, wie man Dinge wie Körperdrehung, -position und -spannung gezielt nutzt, wie und wo man die Peitsche einsetzt, sodass sie auch als echte Hilfe verstanden und akzeptiert wird. Und, ganz wichtig, wie man mit der Hand an der Longe einwirkt.
Die Einzelteile der Hilfengebung technisch sauber zu erlernen, ist eine Kunst für sich. Doch es lohnt sich, in diesen Prozess etwas mehr Zeit zu investieren. Denn je besser das Zusammenspiel der Hilfen funktioniert, umso effizienter ist das Training.
Die Technik
Der Schlüssel zum gymnastisch wertvollen Training am Kappzaum liegt für Möller wie beim Reiten in der Anlehnung – nur in diesem Fall eben an die Longe. Entwickelt wird sie auf Basis von Takt und Losgelassenheit. Gibt es hier noch Probleme, ist auch die Anlehnung nicht konstant. Das äußert sich in einem immer wieder ungewollten Durchhängen der Longe oder zu starkem Zug an der Leine. Mittels Körperspannung, -haltung und Peitschenhilfe wird das Pferd an die passiv mitschwingende Hand herangetrieben.
Die für den Kreisbogen erforderliche Innenbiegung ergibt sich durch die Spannung auf der Longe und die Wirkungsweise des Kappzaums praktisch von selbst. „Der Kappzaum wirkt in exakt dem passenden Moment und in exakt der passenden Dosierung, weil wir eben nicht aktiv daran ziehen, sondern den Rumpf des Pferdes durch Körpersprache und Peitschenhilfe beeinflussen.“ Sobald das Pferd die korrekte Biegung durch den Körper einnimmt, wird der Kontakt zur Longe leichter – das Pferd gibt sich selbst die Belohnung. Den vierbeinigen Schüler durch Impulse an der Longe in eine bestimmte Kopf-Hals-Position zu ziehen, zu manipulieren oder zu locken, ist für Möller übrigens tabu: „Ich warte, bis das Pferd so losgelassen und ausbalanciert ist, dass es sein Genick freiwillig hergibt, und zwar genau so lange und so sehr, wie es ihm aktuell möglich ist.“
Wichtig ist gerade zu Beginn, wenn die Biegung noch nicht die gewünschte Form angenommen hat, das Tempo ruhig und entspannt zu halten. Erst wenn das Pferd in der Lage ist, die Biegung auf der Kreislinie problemlos zu halten, kann man dazu übergehen, dynamischere Bewegungsabläufe zu fordern.
Die Besonderheiten
Auf einem Kreisbogen zu laufen, ist beim Longieren klarerweise das Kernthema. Aber eben nicht nur. Bei Katharina Möller wechseln sich – anders als beim konventionellen Longentraining – von Beginn an ganze Bahn, Volten und Zirkel ab. „Sowohl gymnastisch als auch psychisch ist es generell immer sinnvoll, Wendungen und Geraden abzuwechseln“, erklärt sie. „Auf der Volte hat das Pferd Gelegenheit, das Sich-Biegen zu üben, auf der Geraden kann es sich wieder gerade machen und sich entspannen.“
Im fortgeschrittenen Stadium sind dann sogar Übungen wie einfache und doppelte Schlangenlinien möglich. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Pferd bereits zu jedem Zeitpunkt die Anlehnung an die Longe sucht. Stimmen dann auch noch Vorbereitung und Linienführung, bekommt man die jeweils richtige Biegung quasi geschenkt. Der sich stetig wiederholende Wechsel zwischen Biegung und Geradesein hilft dabei, Verkürzungen und Steifigkeiten abzubauen, das Pferd wird zunehmend geschmeidiger.
Das Schlüsselwort auf dem Weg dorthin lautet Genauigkeit. „Erst wenn es gelingt, ganz exakte Linien zu longieren, entfalten die Übungen ihr gymnastisches Potenzial, und daraus ergibt sich dann auch eine dressurmäßig anzustrebende Körperhaltung“, so Möller. Kommt das Pferd durch die geraderichtende Arbeit besser ins Gleichgewicht, kann es sich auch vermehrt loslassen – und die Rückentätigkeit verbessert sich. Und damit ist dann auch die optimale Basis für ein gesunderhaltendes Training unter dem Sattel geschaffen.
Buchtipp
Beim Longieren am Kappzaum ohne Ausbinder oder einen starren Ablauf tritt der Mensch in einen Bewegungsdialog mit seinem Pferd. Vielfältig aufeinander aufbauende Übungen verhelfen dem Pferd zu mehr Gleichgewicht, Losgelassenheit und einer gesunden Bewegungsweise und Tragehaltung. Dabei wird das Pferd nicht in eine äußere Form gedrängt, sondern darf physiologisch sinnvolle Bewegungen entwickeln und selbst zur individuell richtigen Form finden.
Longieren als Dialog mit dem Pferd -
Vielseitiges Longentraining am Kappzaum
von Katharina Möller
128 Seiten, 19,95 Euro
erschienen und erhältlich bei Cadmos
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