Irgendwann zwischen vier und sieben Jahren durchlaufen die meisten Vierbeiner ihre Sturm-und-Drang-Zeit, der genaue Zeitpunkt hängt jedoch weniger vom Alter als vom Trainingszustand der jungen Pferde ab. Dressurreiterin Luise Wessely beobachtet seit Jahren, wie der jugendliche Übermut proportional zu Kraft und Kondition wächst. Sie ist der Überzeugung, dass Pferde, die nicht schon zu Beginn der Ausbildung unter Zwang ihre Persönlichkeit aufgeben mussten, mental immer mehr Selbstsicherheit gewinnen. Häufig seien es ihre Viereinhalb- bis Fünfjährigen, die sich nach rund einem Jahr unter dem Sattel plötzlich viel fordernder zeigen. Was die erfolgreiche Dressurspezialistin besonders fasziniert, ist der Kick, den die Jungpferde durch ihre ersten Turnierstarts erhalten: „Wenn sie merken, dass sie gut waren – und ich behaupte, sie merken das –, dann ändert sich auch die Rangordnung in der Herde. Da werden so manche plötzlich vom Underdog zum Boss, weil sie mehr Selbstvertrauen gewonnen haben.“
Die Herde als Regulativ
Selbstvertrauen, Kraft und Kondition, das sind also die Zutaten für pubertäre Kraftanwandlungen bei den Equiden. Menschen dienen da nur in zweiter Linie als Sparringspartner, vorrangig wird die bestehende Rangordnung im Herdenverband hinterfragt. Die unterwürfigen Signale aus dem Fohlenalter sind verschwunden, stattdessen versuchen die Heranwachsenden, mit drohenden Gesten Eindruck zu schinden. Die ersten ernsteren Rivalitätskämpfe ermöglichen es den Jüngeren auszuloten, wo ihre Grenzen sind. „Meist behalten allerdings die Alten weiterhin die Hosen an“, so Wessely, „selbst wenn die Jungen einiges probieren und teilweise wie die Clowns herumhüpfen.“ Auch der Vielseitigkeitsreiter und Tierarzt Dr. Clemens Croy hält viel vom natürlichen Regulativ der Herde:
Als Ausbilder macht sich Clemens Croy diesen natürlichen Umgang mit aufkeimenden Dominanzwünschen zunutze, indem er seine Sportpferde nach dem ersten Anreiten wieder für eine Zeit lang zurück auf die Koppel stellt. Damit wäre schon der erste wichtige Ansatz zur konfliktfreien Bewältigung der Flegelphase genannt: Alles beginnt mit A wie Aufzucht und Ausbildung. Der Vorteil der Herdenhaltung besteht unter anderem darin, dass sich die jugendlichen Energiebündel ihre Hörner – oder besser gesagt Hufe – in erster Linie bei ihren Artgenossen auf der Wiese abstoßen. Denn jeder Kampf, der auf vier Beinen ausgefochten wurde, erspart Diskussionen mit dem Zweibeiner, jedes erfolglose Austesten der eigenen Grenzen im Herdenverband macht das Pferd für den Menschen besser handhabbar. Oder, wie es Zirzensik- und Reittrainer Wolfgang Hellmayr kurz und knackig formuliert: „Je besser sozialisiert, desto weniger Probleme.“
Die Gunst der Stunde
Das bedeutet jedoch weder für ihn noch für die von uns befragten Turnierreiter: innen, junge Pferde endlos im Rohzustand zu belassen. Nach der Fohlenschule folgt ein erstes Anreiten der Warmblutpferde meist vor dem vierten Lebensjahr. „Mit dreieinhalb lernen sie, unter dem Sattel Schritt, Trab und Galopp zu gehen, mehr müssen sie da auch nicht können“, bricht Clemens Croy eine Lanze für eine Jungpferdeausbildung ohne Eile. Erst mit etwa fünf Jahren beginnt für seine zukünftigen Vielseitigkeitspferde der richtige Ernst des Lebens.
Ganz ähnlich hielt es Wolfgang Hellmayr mit seinem Lipizzanerhengst Favory Cattinara, der mit einer perfekten Kinderstube ins Horse Training Center Hellmayr einzog. „In Piber wurde eine ehrliche Grundlage gelegt, bei mir hat er nun die Grundausbildung erhalten, und jetzt geht er wieder zurück in den Aktivstall.“ Obwohl auch er seinen Nachwuchs nach der Volksschule nochmals in die Freiheit der Herde entlässt, hält Wolfgang Hellmayr große Stücke auf eine zeitgerechte Erziehung. Die Kraft eines unausgebildeten Jungpferds jenseits der fünf Jahre in geordnete Bahnen zu lenken, sei weder für das Tier noch für den Menschen zumutbar. Der erfahrene Pferdemann rät daher dezidiert davon ab, „zu warten, bis ein Pferd brutal stark ist.“
Mit frühzeitiger Ausbildung meint keine:r unserer Interviewpartner:innen den Aufbau von Leistungsdruck oder das Vorstellen von dreijährigen Pferden auf Auktionen oder in Prüfungen, wo sie sich perfekt unter dem Sattel präsentieren müssen. Vielmehr sollen die Grundregeln des guten Benehmens erlernt sowie ein Reiter auf dem Rücken akzeptiert werden, noch bevor einschießende Hormone und pubertäres Aufbegehren das Miteinander auf die Probe stellen. Denn, so das Motto von Wolfgang Hellmayr, „was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nur mehr schwer.“
Richtige Männer
Eine besondere Bedeutung hat eine sorgfältige Früherziehung naturgemäß bei Hengsten. Denn die Flegelphase ist bei den Jungmännern besonders deutlich ausgeprägt, da sie ab der Zeit der Geschlechtsreife nicht nur an Kraft zulegen, sondern zunehmend hormonell gesteuert agieren. Einer, der jahrzehntelang in herausragender Weise Hengste erzogen und herangebildet hat, ist der ehemalige Oberbereiter der Spanischen Hofreitschule und international gefragte Dressurtrainer Arthur Kottas-Heldenberg. Die sogenannten Flegeljahre – „ein liebes Wort“, wie der Meister der Reitkunst meint – würden zwar in unterschiedlich starker Ausprägung vorkommen, bei jungen Hengsten werde aber doch mit der Entwicklung der Manneskraft immer alles ein wenig komplizierter. Der Deckeinsatz der Lipizzaner-Hengste in Piber zum Beispiel verändere manche mehr, manche weniger zu kraftstrotzenden Machos.
Um in der angehenden Sturm-und-Drang-Zeit in jedem Fall einen guten Umgang mit den heranwachsenden Hengsten pflegen zu können, müsse das Grundgerüst des Gehorsams bereits im Fohlenalter stehen. „Auch zählen lernen beginnt bei eins“, so der langjährige Oberbereiter. Ein junges Pferd solle von Anfang an lernen, dass es gewisse Grenzen gäbe, die der Mensch setze, und dass Frechheiten nicht toleriert würden. Wie bei manchen Zweibeinern, die der Pubertät anscheinend nie entwachsen sind, stelle sich auch der Umgang mit einem ausgewachsenen Pferd, das über Jahre keine klare Grenzsetzung erfahren habe, als erheblich schwieriger dar. „Doch“ – und das betont Arthur Kottas-Heldenberg nochmals ausdrücklich:
Zwischen Übermut und Ungehorsam
Tierarzt Clemens Croy kann dem Vergleich von Jungpferden mit Teenagern auf der Suche nach ihren Grenzen ebenfalls etwas abgewinnen. Wie reagiert er, wenn sich seine Nachwuchspferde im Flegelalter sehr herausfordernd zeigen? „Ich bemühe mich, unmissverständlich zu sagen: ‚Bis dahin und nicht weiter!‘. Je konsequenter man in dieser Phase ist, desto leichter hat man es im späteren Pferdeleben.“
Allerdings gibt es für den passionierten Vielseitigkeitsreiter durchaus Zeiten, in denen er zur Sicherheit von Mensch und Tier vor dem Reiten ablongiert. Denn oft ist es sinnvoller, dem jungen Pferd die Möglichkeit zu bieten, erst einmal ohne Reiter Dampf abzulassen. Damit haben sich vielleicht schon einige Diskussionen erübrigt.
Letztendlich sollte man in dieser besonderen Zeit permanent sorgfältig abwägen:
- Wo vermeide ich unnötige Auseinandersetzungen, wo muss ich durchgreifen?
- Was kann ich mit einem Augenzwinkern als jugendlichen Übermut abtun, welches Verhalten verletzt meine Regeln und kann niemals toleriert werden?
- Wie langsam gehe ich voran, um den pubertierenden Jungspund nicht zu überfordern, und wo beginnt er sich durch Unterforderung vielleicht zu langweilen?
Petra Zobl-Wessely, Springtrainerin und Richterin, versucht, in der Ausbildung ihres Nachwuchses individuell auf jedes Tier einzugehen. Es sei ihre Aufgabe zu unterscheiden, ob es sich noch um Übermut oder schon um Ungehorsam handle: „Wenn ein Pferd gegen mich geht, muss ich natürlich reagieren und mir den Gehorsam erarbeiten. Wenn es Übermut ist, werde ich hingegen an mir arbeiten und das Training abwechslungsreicher gestalten.“ Sie nimmt als erfahrene Ausbilderin also nicht nur ihre Vierbeiner, sondern auch durchaus sich selbst in die Pflicht. Ihr Trainingsplan müsse so gestaltet sein, dass keine Langeweile aufkomme und das Pferd dort abgeholt werde, wo es sich gerade befinde. So hat sie etwa derzeit ein vierjähriges Jungpferd, das noch sehr ungern allein bleibt. Damit die Situation nicht schon von Beginn an in Stress ausartet, bittet sie einfach einen zweiten Reiter, in die Bahn zu kommen.
Eine ähnliche Art der präventiven Deeskalation praktiziert Luise Wessely. Um den „Krawall beim Dressurreiten zu vermeiden“, gehen ihre jungen Energiebündel fallweise vor dem Training im Viereck ins Gelände und können sich beim Galoppieren auf den Berg austoben. „Ab dem Zeitpunkt, wo sie mir Aufgaben stellen, dürfen sie mehr arbeiten. Außerdem bekommen sie neue Inputs, um vom Kopf her beschäftigt zu werden und etwas zum Nachdenken zu haben.“ Damit lenkt sie einen möglichen Überschuss an origineller Energie unter dem Sattel von Anfang an gezielt in geordnetere Bahnen.
Was das Handling ihrer eigenen Nachwuchspferde vom Boden aus betrifft, habe sie eigentlich noch nie Probleme gehabt. Schließlich kann die Dressurreiterin auf jahrzehntelange Erfahrung zurückblicken, und kein Vierbeiner führt sie so leicht an der Nase beziehungsweise am Strick herum. „Pferde sind total glücklich über Grenzen“, so Luise Wessely. „Sie wollen ja jemanden haben, der über ihnen steht und ihnen sagt, wo es langgeht.“ Diese gut ausgemachten Regeln erlauben es ihr später, in gewissen Situationen auch einmal die Pferde entscheiden zu lassen. Ihre Turnierpferde werden beispielsweise zwischen den Bewerben am Austragungsgelände spazieren geführt und dürfen den Weg selbst wählen. Ein liebevoller Deal, bei dem nie in Frage steht, dass sie als Alphamensch jederzeit wieder die Führung übernehmen kann.
Anders stellt sich die Situation oft für weniger erfahrene Pferdebesitzer:innen dar. So beschäftigt sich Wessely gerade mit einem Gastpferd, das, dreijährig gekauft, seine junge Besitzerin nun eineinhalb Jahre später vor unlösbare Aufgaben stellt. Da gilt es, wieder ganz von vorne mit der Grunderziehung zu beginnen: Wer bestimmt den Weg, das Tempo, die Richtung? Selbst eine so entspannte Pferdefrau wie Luise findet es nämlich gar nicht witzig, wenn ein Pferd versucht, mit ihr falsch abzubiegen – und sei es nur in der Stallgasse. Hier gibt es keinerlei Verhandlungsspielraum, und die Grenze muss unmittelbar und unmissverständlich gezogen werden.
Erziehung ist Beziehung
Wenn Halbstarke in der Flegelphase nicht in den Griff zu bekommen sind, ist der Grund dafür im Großteil der Fälle am anderen Ende des Stricks zu suchen. „Meist werden die Fehler durch die Menschen gemacht“, beobachtet Arthur Kottas-Heldenberg immer wieder. Die Probleme würden den überforderten Besitzer:innen so enorm über den Kopf wachsen, dass manche sogar Angst vor dem eigenen Tier hätten. Er rät daher in jedem Fall dazu, Fachleute beizuziehen, sobald das eigene Jungpferd voll im Saft steht und nicht mehr weiß, wohin mit seiner Kraft. Denn der Umgang mit heranwachsenden Pferden sollte von Liebe und Sorgfalt geprägt, aber dennoch konsequent sein. „Das Pferd muss dich lieben, respektieren und dir vertrauen, sonst hat man keine Kontrolle“, lautet die Philosophie des Reitmeisters. Immer langsam und immer konsequent mit den jungen Pferden also.
In dieselbe Kerbe schlägt Wolfgang Hellmayr, der bei der Erziehung seiner Pferde und der Begleitung seiner Schüler:innen einen ganz individuellen Weg geht. So hält er wenig davon, pubertären Anwandlungen bei Jungtieren mit mehr Arbeit und Training zu begegnen, da diese dadurch noch zusätzlich Kraft gewinnen würden. Das könne ein Profi beherrschen, nicht jedoch der Freizeitreiter. „Meine Pferde müssen mit fremden Reitern gehen und auch für andere handhabbar sein“, so der Oberösterreicher. „Ich möchte zu einem Mädchen sagen können: ,Du gehst mit diesem Hengst von A nach B‘ – ohne dass eine Gefahr besteht.“ Für ihn stellt die Ausbildung ein Beziehungsprogramm dar, und das Mittel seiner Wahl ist die Freiheitsdressur. Damit gebe es Wege, die jedermann erlernen könne, um sich bei den Nachwuchspferden gewaltfrei als Alphatier zu etablieren. Die unter anderem von Jean-François Pignon inspirierte Freiheitsdressur, wie sie bei Wolfgang Hellmayr praktiziert wird, ist ein druckarmer, aber konsequenter Weg und hat nichts mit Horsemanship zu tun. „Wir müssen uns von der Idee des großen Drucks in der Pferdeausbildung verabschieden“, ist Hellmayr überzeugt. „Es ist die Körpersprache, die uns zum Alphatier macht.“
Diese will – wie alles andere – erlernt sein, schließlich gehe es darum, das Wesen der Pferde zu studieren und zu erfassen. Darüber hinaus brauche es Einsicht in die Natur eines Jungtiers, denn ein Dreijähriger habe ganz andere Gesetze als ein fertig ausgebildetes Pferd. Hat sich Wolfgang Hellmayr mit seinem Vierbeiner auf eine Beziehung mit korrekter Rollenverteilung geeinigt, ergeben sich daraus Lösungen für sämtliche potenzielle Problemfelder während der Flegelphase und auch später. „Für mich ist die Freiheitsdressur die Grundlage für meine Beziehung zum Pferd. Darauf baue ich alles andere auf, sei es Reiten, Fahren oder Verladen“, erklärt der Ausbilder. So wie jeder Reiter irgendwann den Reiterpass erwerbe, um seine Reitkünste auf ein Basisniveau zu bringen, solle sich jeder Pferdehalter diese Fertigkeiten im Umgang mit seinem Pony oder Pferd aneignen, um ein menschen- und tiergerechtes Miteinander zu ermöglichen, lautet sein Plädoyer.
Wenn also das Jungtier in der Herde aufwachsen durfte und die Fohlenschule erfolgreich absolviert hat, wenn der lockere Einstieg ins Leben als Reitpferd noch vor der Sturm-und-Drang-Zeit erfolgte und die Flegeljahre mit Konsequenz und Geduld von einem Profi begleitet wurden, hat man dann mit sieben bis zehn Jahren ein erwachsenes, fertiges Pferd unter dem Sattel oder vor dem Wagen? Das könnte man vielleicht fälschlich annehmen, hätte nicht Arthur Kottas-Heldenberg das Schlusswort: „Es geht immer um den ‚denkenden Reiter‘, welcher jede Herausforderung dazu nutzt, weiterzulernen. Denn weder Pferd noch Reiter sind jemals fertig, auch wenn dies oft behauptet wird.“