Laufen ist uns in die Wiege gelegt. Kinder gehen selten, sie laufen. Unser Körper ist ausgelegt für sehr lange, langsame Laufstrecken. Einen Zugang zum Laufen findet trotzdem nicht jede:r so leicht.... Mehr lesen ...
Perline und Hermeline, Isabellen, Porzellanschecken und Mohrenköpfe – eine barocke Lipizzanerherde bot ein buntes Bild. Der vielzitierte und im Zeitalter der Aufklärung geprägte Satz: „Ein gutes Pferd hat keine Farbe“ entsprach nicht dem Geist des barocken Pferdezüchters. In dieser Epoche der Sinneslust und des opulenten Luxus in allen Lebensbereichen galt vielmehr, dass ein gutes Pferd selbstverständlich auch eine extravagante Farbe haben sollte. Nicht zuletzt, um den Rang seines Besitzers auf den ersten Blick erkennbar zu machen: Es waren auch die Könige und Fürsten, die Pferde der seltensten Farbvarianten züchteten. Die Mutterstutenherde des Hofgestüts Lipizza zeigte im frühen 18. Jahrhundert beispielweise ein typisch barockes Farbspektrum: alle Grundfarben in diversen Schattierungen und Aufhellungen sowie einzelne Scheckungsmuster waren vertreten. Gegen Ende dieses Jahrhunderts begann dann jedoch die Selektion auf die Schimmelfarbe in der Habsburger Hofpferdezucht. Man brauchte mehr Wagenpferde für den Wiener Hof, und diese sollten möglichst idente Passergespanne ergeben. Da kam die dominante Vererbung der Schimmelfarbe sehr gelegen, denn so konnten schnell viele Pferde derselben Farbe bereitgestellt werden.
Der Siegeszug der Schimmel
Man leitete zuerst in Kladrub mit der Etablierung des Generale- und Generalissimus-Hengststammes den Siegeszug der Schimmel ein. Dennoch sollte es weitere 100 Jahre dauern, bis in Wien auch in der Spanischen Hofreitschule schließlich vorwiegend Schimmel tanzten. Der Falbe, das „goldene Pferd“, hatte seinen letzten großen Auftritt in der Spanischen Reitschule mit den Hengsten Pluto Ballerina und Pluto Betalka in den 1890ern. Anfang des 20. Jahrhunderts debütierte dort zum letzten Mal ein Schecke, Pluto Lina. War das Verhältnis farbiger zu weißen Hengsten in den 1860er-Jahren noch annähernd gleich, mutierte der Lipizzaner um 1880 endgültig zum „Kaiserschimmel“. Dass die weiße Farbe dann zum markanten rassespezifischen Charakteristikum des Lipizzaners wurde, ist auch den Gemälden des Malers Ludwig Koch zuzuschreiben: Seine Darstellungen haben das Bild des Lipizzaners nachhaltig und bis heute geprägt. So werden im Lipizzanergestüt Piber aktuell ausschließlich Schimmel für die Zucht eingesetzt. Obwohl der Anteil an reinerbigen Schimmeln hoch ist, werden auch immer wieder färbige Fohlen geboren. Auch in der Wiener Stallburg gibt es ein wenig Farbe: Als traditioneller „Glücksbringer“ steht dort immer zumindest ein brauner Hengst. Welche der barocken Farbvarianten im Genpool der aktuellen Lipizzanerpopulation des Gestüts Piber und der Spanischen Reitschule unter der Schimmeldecke noch vorhanden sind, war bislang allerdings nicht bekannt.
Auf der Suche nach den Farben
Forscher:innen der veterinärmedizinischen Universität Wien sind im Rahmen des Forschungsprojekts FarbGEN der Frage nachgegangen, welche der barocken Farbvarianten beim Lipizzaner heute noch vorhanden sind. Zu diesem Zweck wurden Haarproben von adulten Lipizzanern aus Piber und der Hofreitschule untersucht. Über eine Untersuchung der DNA konnte die unter der Schimmelfarbe verborgene Farbzusammensetzung der Lipizzanerpopulation umfassend erhoben werden. Jene Tiere, die heute seltene Farbvarianten vererben, wurden ebenfalls im Rahmen der Studie identifiziert.
In einem ersten Schritt bewertete man die Pedigrees und die äußerliche Erscheinung der insgesamt 213 berücksichtigten Lipizzaner (210 Schimmel und drei Braune). Es bestätigte sich, dass der Großteil (80,6 %) der untersuchten österreichischen Lipizzaner reinerbige Schimmel sind. Diese Reinerbigkeit hat auch Auswirkungen auf die Geschwindigkeit des Ergrauens, wie eine kroatische Forschergruppe bereits 2013 nachweisen konnte. Reinerbige Schimmel werden schneller weiß, durchschnittlich sind sie in einem Alter von sieben Jahren komplett ergraut. Bei mischerbigen Schimmeln dauert das vollständige Ausschimmel dagegen rund zwölf Jahre. Historisch wurden reinerbige Schimmel daher züchterisch bevorzugt, der dadurch entstehende reinweiße Milchschimmel gilt als Zuchtziel beim Lipizzaner. Wie man weiß, geht die Schimmelfarbe allerdings auch mit dem verstärkten Auftreten von Melanomen einher – und das gilt besonders für reinerbige Schimmel.
Vom Falben bis zum Schecken
Bei den unter der Schimmeldecke verborgenen Grundfarben hat sich das Spektrum seit dem Barock indes nur wenig verändert. Noch immer dominieren mit über 80 % die Braunen, besonders die Dunkelkastanienbraunen. Die lichteren Braunvarianten sind in der Population des Gestüts Piber mit 6,5 % vertreten. Die häufigste Grundfarbe des österreichischen Lipizzaners ist somit, genau wie im 18. Jahrhundert, das Dunkel- bis Kastanienbraun. Die Fuchsfarbe, die auf den orientalischen Genpool zurückzuführen ist, war in der untersuchten Lipizzanerherde nicht präsent. Auch in Zukunft wird es also kaum Füchse unter Österreichs Lipizzanern geben. Rappen werden heute hingegen z. B. im slowakischen Staatsgestüt Topolcianky planmäßig gezüchtet. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war außerdem die Falbfarbe besonders begehrt. Damals wie heute ist sie allerdings selten: Das dafür verantwortliche Cream-Gen wurde im Rahmen der Studie bei nur drei Lipizzanern in mischerbigem Status festgestellt.
Vereinzelt gibt es in Piber sogar „heimliche“ Schecken, und zwar mit besonders ungewöhnlichen Mustern, die den Forscher:innen Rätsel aufgaben. Die Scheckungsmuster, die von sehr breiten Blessen und hohen Stiefeln über einzelne den Rumpf umfassende Streifen bis zu einer ausgeprägten, den ganzen Körper erfassenden Zeichnung reichten, entsprachen nicht dem bekannten Klassifikationsschema. Auch die Gentests bestätigten, dass diese Schecken keine „typischen“ Schecken sind. Schlussendlich fand man eine genetische Variation des sogenannten Dominant White Komplex, der stärkere Scheckungsmuster und sogar eine vollständige Weißzeichnung verursachen kann.
Quo vadis, Kaiserschimmel?
Barockpferde boomen seit Jahren, und auch unter Lipizzanerzüchter:innen wächst damit das Interesse daran, die Farbenvielfalt beim Lipizzaner als charakteristischen Aspekt des barocken Erbes wieder aufleben zu lassen. In Piber würde z. B. die Anpaarung der versteckten Träger der Falbfarbe an die vorhandenen braunen Lipizzaner die einzigartige Möglichkeit bieten, diese historische Fellfarbe wieder zum Vorschein zu bringen. Eins ist jedenfalls gesichert: Selbst nach 200-jähriger intensiver Selektion auf die Schimmelfarbe ist noch ein Teil der genetischen Farb-Varianz beim Lipizzaner vorhanden. Und sie eröffnet die Möglichkeit, die Farbpalette der „Kaiserschimmel“ wieder zu erweitern.
Die Genetik der Farben
Die genetische Grundlage der Schimmelfärbung ist eine sich dominant vererbende Mutation im STX17- Gen (Grau-Gen). Sie überlagert sozusagen die Grundfarbe des Pferdes und führt zu einem vorzeitigen Ergrauen. Sind beide in der DNA vorhandenen Allele (Varianten) des Grau-Gens (Grau-Locus) mutiert, spricht man von einem reinerbigen Schimmel. Mischerbige Schimmel tragen nur ein mutiertes Allel in sich, sie vererben die Schimmelfarbe im Gegensatz zu den reinerbigen Schimmeln daher nicht an sämtliche ihrer Nachkommen.
Zur Untersuchung versteckter Grundfarben unter der „Schimmeldecke“ kann z. B. die DNA aus den Haaren eines Pferdes genauer untersucht werden: Man analysiert (genotypisiert) jene Stellen im Erbgut, die bekanntermaßen für die Fellfarbe „zuständig“ sind (Farb-Loci). Sie sind auch bei Schimmeln vorhanden. Diese Gene zeigen je nach Fellfarbe verschiedene Allele. So kann unter dem frühzeitig ergrauten Fell eines Schimmels z. B. ein Rappe oder ein Brauner stecken – beim Fohlen sieht man diese Grundfarbe bekanntlich noch.
Manche Fellfarben entstehen durch eine zusätzliche genetische Auhellung der Grundfarbe. Durch bestimmte Allele des sogenannten Cream-Gens wird so beispielweise aus einem Braunen ein Falbe. Andere für Auhellungen verantwortliche Allele sind das Silver- und Champagne-Allel.
Schecken sind genetisch ein eigenes Kapitel: Für Tobiano-, Overo- oder Sabinoscheckung gibt es jeweils bestimmte Allele. Die mit ausgeprägten Abzeichen einhergehende Splashed-White-Zeichnung hat eine andere genetische Basis, bedingt aber auch ein geschecktes Fell. Beim Dominant White Komplex handelt es sich wiederum um insgesamt 27 verschiedene Allele, die in diversen Kombinationen verschiedene Scheckungen herausbringen oder sogar zu einer kompletten Weißfärbung mit heller Haut führen.
Die Studienergebnisse sind nachzulesen in Grilz-Seger G. et al. (2020): Untersuchungen zum Allelstatus einzelner Farbloci und Abzeichen beim Lipizzaner, Züchtungskunde, 92, (2) S. 76-86
Mehr Infos zum Projekt FarbGen finden Sie hier