Faszien umspannen und durchziehen uns wie ein dreidimensionales Netz. Die kollagenen Fasern geben dem Körper Struktur und Form, stabilisieren Muskeln, Organe und andere Gewebe. Sie dienen als Übertragungssystem für muskuläre Kräfte und helfen bei der Koordination von Bewegungen, indem sie den Muskelzug in die gewünschte Richtung lenken. Anders als viele Muskeln, die für das Auge gut sichtbar sind, arbeiten Faszien im Verborgenen. In unser Bewusstsein rücken sie in erster Linie dann, wenn’s nicht mehr rund läuft.
Bewegungsmangel, einseitige Belastungen, Haltungsfehler, Überlastung und Ernährungsfehler können dazu führen, dass Faszien verhärten und verkleben. Die Folge: Flexibilität und Elastizität des Bindegewebes nehmen ab, Bewegungen fallen zunehmend schwerer, Nerven können eingeengt, der Lymphfluss gestört und der Stoffwechsel verlangsamt werden. In vielen Fällen sind diese Prozesse von Schmerzen begleitet. Pferde sind davon gleichermaßen betroffen wie Menschen.
Christoph Machura, Mobilitätstrainer für Pferde, Entwickler der RollArt Faszienrollen und selbst Reiter, weiß aus seiner täglichen Arbeit, wie sensibel das Bindegewebe auf Störungen reagiert. „Faszien sind sehr stressanfällig. Stress kann natürlich viele Formen und viele Ursachen haben. Unpassendes Futter, ein schlecht sitzender Sattel, ein nicht beweglicher Reiter, eine das Pferd blockierende Reitweise. Für viele Pferde ist Boxenhaltung ein Stressfaktor, aber es gibt auch solche, für die es im Offenstall nicht passt, wenn die Herdenzusammenstellung ungünstig ist. Physisch sorgen Unfälle oder Operationen für Stress im Bindegewebe. Ein Sturz, ein Schlag, und das Bindegewebe zieht sich zusammen, verhärtet, verklebt“, so der Faszien-Profi.
Eine Ursache, viele Symptome
Um Schwachstellen im faszialen Gewebe zu erkennen, genügt manchmal schon ein Blick. „Bei einigen Pferden sieht das so aus, als hätten sie Cellulite“, erklärt Machura. Häufiger macht sich ein unflexibles Bindegewebe aber in Bewegungseinschränkungen bemerkbar. Fehlender Raumgriff in der Vorhand, eine eingeschränkte Tätigkeit der Hinterhand und/oder des Rückens, Schwierigkeiten mit seitlicher Biegung oder eine unruhige Anlehnung sind typische Anzeichen.
Was viele nicht wissen: Auch Atemwegsbeschwerden können einen Hinweis auf verklebte Faszien liefern. „Wenn das Bindegewebe in der Zwischenrippenmuskulatur verfilzt ist, z.B. durch die falsche Lage des Sattels, können sich die Rippen nicht mehr ausreichend heben und senken, wie das für tiefes Ein- und Ausatmen nötig ist. Die Lunge ist ein extrem großes Organ. Wenn sie sich nicht ausdehnen kann, kann sie auch nicht richtig arbeiten. Dann kommt es zu Schleimansammlungen und in weiterer Folge zu diesem typischen Hüsteln, für das der Tierarzt keine Erklärung findet.“
Von alleine wird’s nicht besser
Das Problem an verklebten Faszien: Von alleine werden sie nicht wieder flexibel und geschmeidig. Abwarten und Tee trinken reicht also nicht, man muss schon aktiv nachhelfen. Und das gelingt am besten von außen durch rollende, schiebende Bewegungen, wie die Forschung des international angesehenen Humanbiologen und Faszien-Papstes Dr. Robert Schleip gezeigt hat. Seit Jahren schwören Physiotherapeuten im Human- und Veterinärbereich deshalb auf sogenannte Faszienrollen. „Mit ihrer Hilfe erzielt man im Bindegewebe einen Flüssigkeitsaustausch. Das ist wie bei einem vollgesogenen Schwamm der ausgedrückt wird und sich in der nachfolgenden Phase wieder vollsaugt“, veranschaulicht Machura. Durch den verbesserten Flüssigkeitsaustausch können sich Verfilzungen auflösen, die Faszien erlangen ihre Elastizität zurück, und Bewegung fällt wieder leichter. Angenehme Nebeneffekte: Durch die gesunde „Rollkur“ werden Durchblutung und Stoffwechsel angeregt und die Selbstheilung der Zellen aktiviert.
An die Rolle, fertig, los!
Wer sein Pferd „rollen“ möchte, benötigt laut Machura keine Vorkenntnisse. „Das kann grundsätzlich jeder Pferdebesitzer, medizinisches Vorwissen ist nicht zwingend erforderlich. Die Sorge, man könnte zu viel Druck auf das Pferd ausüben und ihm dadurch schaden, ist unbegründet“, versichert er. Auch eine spezielle Vorbereitung des Pferdes ist nicht vonnöten. Man kann es direkt aus der Box oder von der Weide holen und loslegen. Ist man sich nicht sicher, wo genau es hakt, bearbeitet man in einem ersten Schritt am besten das gesamte Pferd. „Ich fange an der Zwischenrippenmuskulatur, am Rumpf, einfach an den größten Flächen an. Die Rolle lasse ich dabei gleichmäßig und langsam – das ist wichtig, dass man nicht zu schnell, sondern langsam vorgeht – über den Körper laufen, damit ich das Gewebe richtig vor mir herschiebe.“ Die Faszienrolle funktioniert dabei wie ein Körperscan. „Durch die eingearbeiteten Kugellager sind unsere Rollen besonders leichtläufig. Schon bei kleinsten Verspannungen stocken sie und heben sich ein bisschen heraus. Fühlt man dann mit der Hand nach, kann man den Unterschied im Gewebe ertasten.“ Schmerzende Stellen zeigen Pferde häufig an, indem sie sich umblicken, ausweichen, aufstampfen oder mit dem Schweif schlagen. In solchen Situationen heißt es durchhalten und dranbleiben, gegebenenfalls mit dem Druck spielen, ihn etwas verringern oder erhöhen. „Komme ich an eine Stelle, wo ich merke: ‚oh ja, da ist was drunter‘, rolle ich den Bereich von rechts nach links, kreuz und quer. Wie ein Maulwurfshügel, den man platt macht, oder ein Teig, den man ausrollt. Für gewöhnlich dauert es etwa 40 bis 50 Sekunden, bis sich eine negative Reaktion in eine positive umwandelt. Dann fängt das Pferd plötzlich an zu kauen, zu lecken, zu gähnen, und eine tiefe Entspannung stellt sich ein.“
Schnell lockern und langfristig lösen
Annähernd so schnell, wie Schmerzen nachlassen, können auch Erfolge sichtbar werden. Der Grund dafür liegt in der speziellen Funktion des Bindegewebes. „Die Statik des Pferdes ist nicht durch sein Skelett gegeben, sondern durch die Faszien. Ist der Rücken fest und deshalb zu gerade, kann ich mit der Rolle innerhalb von Minuten eine geschwungene Oberlinie erreichen. Dann ist das Pferd auch wieder in der Lage, hinten unterzutreten und sich schwungvoll durch den Körper zu bewegen. Eines darf man nicht vergessen: Alles im Körper ist miteinander verbunden. Wenn ich am Rücken rolle, habe ich auch eine gewisse Wirkung auf die Hinterhand. Dasselbe gilt, wenn ich den Kopf bearbeite, über den ja die zwölf Gehirnnerven laufen. Da wirkt man auf das gesamte Pferd ein.“
Um langfristige Erfolge zu erzielen, sollte man die heilsame „Rollkur“ allerdings regelmäßig anwenden, denn auch eine Faszienbehandlung ist keine Zauberei. Körperhaltungen müssen kontinuierlich umprogrammiert werden, um nachhaltig zu sein.
Jeder kann’s, es braucht keine Vorbereitung, und Erfolge stellen sich schnell ein. Gibt es denn auch Nachteile bei der Arbeit mit der Faszienrolle? „Ja“, sagt Christoph Machura, „man muss sie machen! Menschen haben ja immer die Hoffnung, dass sich Probleme einfach von selbst lösen. Das funktioniert aber nicht. Eine Faszie möchte bearbeitet werden.“ Eine ausgiebige Roll-Session kann gut und gerne schon mal eine Stunde dauern. Doch wer es selbst einmal ausprobiert und die sofortige Entspannung nach einer Behandlung gespürt hat weiß: Der Aufwand zahlt sich aus!
Wo wie gerollt wird
Rumpf
Das Fasziengewebe am Rumpf verläuft in alle Richtungen. Der Rumpf sollte deshalb auch kreuz und quer gerollt werden.
Bauch und Gurtlage
Am einfachsten ist die Anwendung, wenn sich auf beiden Seiten des Pferdes eine Person positioniert und einen Griff der Rolle fasst. Danach wird sie gemeinsam den Bauch entlang bewegt. Ist keine Hilfe vorhanden, geht’s auch alleine, allerdings mit weniger Druck. Die Gurtlage lässt sich besonders effektiv rollen, wenn eine zweite Person ein Vorderbein des Pferdes nach vorne herauszieht. Dann wird vom Bein Richtung Bauch gerollt und wieder zurück. Dabei wird sowohl seitlich des Rumpfes als auch unter dem Rumpf gerollt.
Schulter und Brust
Die Schulter wird entlang des Schulterblattes vom Widerrist Richtung Bein und wieder zurück gerollt. Mit kürzeren Rollbewegungen kann außerdem vom Schulterblatt Richtung Rumpf bzw. Hals gerollt werden. Die Brust wird vom Halsansatz Richtung Bein über den Brustmuskel gerollt und wieder zurück.
Hals
Der Hals kann seitlich an beiden Seiten massiert werden. Dabei wird vom Genick zur Schulter und wieder zurück gerollt.
Nackenband und Genick
Um das Nackenband zu massieren, positioniert man sich unter dem Hals des Pferdes mit Blick in Richtung Kruppe, die Rolle fasst man beidhändig oberhalb des Pferdehalses. Auf diese Weise wird vom Genick Richtung Widerrist und zurück gearbeitet. Im Bereich des Genicks wendet man kurze Rollbewegungen an und übt nur leichten Druck aus.
Kopf
Besondere Vorsicht gilt auch im Bereich des Kopfes, der nur sanft mit einer milden Rolle in den Bereichen Stirn, Nasenrücken und Backen bearbeitet werden sollte.
Widerrist und Rücken
Der Widerrist wird seitlich vom Halsansatz Richtung Rücken bearbeitet und wieder zurück. Mit einer sanften Rolle und sehr geringem Druck kann man aber auch von der linken zur rechten Seite über den Widerrist und wieder zurück massieren. Der Bereich der Lendenwirbel lässt sich sehr gut mit kurzen Rollbewegungen vom Rücken Richtung Kruppe und wieder zurück bearbeiten. Der Rücken wird in großen Bewegungen gerollt.
Beine
Im Bereich der oberen Extremitäten, wo noch verhältnismäßig viel Gewebe den Knochen polstert, wird an allen Seiten des Beins von oben nach unten und zurück gerollt. An den unteren Extremitäten wird genauso verfahren, allerdings mit einer milden Rolle und wenig Druck.
Zur Person
Christoph Machura
… ist Mobilitätstrainer für Reiter und Pferde und beschäftigt sich seit über 30 Jahren intensiv mit den Bewegungsbildern beider Spezies. Der Erfinder und Entwickler der RollArt Faszienrollen sowie Geschäftsführer der RollArt GmbH ist selbst passionierter Reiter und regelmäßig in Europas Reitställen unterwegs, um sein Wissen in Workshops weiterzugeben.