Jedes zweite Pferd ist zu dick, dünne Pferde hingegen kommen in den Industrieländern selten vor – dafür sorgen Bewegungsmangel und Hochleistungsgräser. Dennoch gibt es immer wieder Fälle, in denen man seinem Vierbeiner etwas mehr auf die Rippen wünscht – nach einer Erkrankung zum Beispiel oder wenn das Pferd aus einer nicht so optimalen Haltung stammt. Aber auch beim Auffüttern ist – wie beim Füttern generell – Know-how gefragt, damit es nicht zu ungesunden Stoffwechselbelastungen bis hin zu schweren Erkrankungen wie Hufrehe kommt.
Rosi, eine etwa 14-jährige Reitponystute, trägt ihren Namen, weil sie nach Rosinante benannt wurde – dem dürren Klepper von Don Quijote. Ihre Besitzerin Lena Wendler nannte sie so, nachdem sie die Stute bei einem Händler für wenig Geld erstanden hatte. „Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ich dieses dünne Pferd überhaupt durchbekomme. Aber sie hatte mir so leid getan, und ich hoffte, sie würde irgendwann ein tolles Kinderreitpony abgeben.“
So zog Rosi also aus der Ständerhaltung des Händlers aus und auf einer Wiese mit Offenstall beim Bauern ein. Gemeinsam mit drei dicken Tinkern stürzte sie sich nun täglich ins grüne Schlaraffenland, zunächst, aufgrund ihrer Gier, noch mit einem Maulkorb. Wendler beobachtete sie dabei skeptisch. Die Wiese lag am Ortsrand, zahlreiche Spaziergänger wunderten sich über die dürre kleine Schimmelstute, der irgendein gemeiner Mensch auch noch eine Fressbremse verpasst hatte. „Manche setzten bei ihrem Anblick ein Gesicht auf, als hätten sie die Telefonnummer vom Tierschutzverein schon gewählt. Am liebsten hätte ich sie über Nacht rund gefüttert“, erinnert sich Wendler. Ob das Gras wohl ausreichen würde, fragte sie sich und dachte über Mash und Maisflocken nach.
Auffüttern, aber möglichst schnell – diesen Gedanken haben viele Pferdehalter mit dünnen Vierbeinern. Denn obwohl jeder weiß, dass Übergewicht im Normalfall mehr schadet als Untergewicht, gilt ein dünnes Tier immer noch als Schande. Ein dickes wird allenfalls belächelt. Um bei der Auffütterung richtig vorzugehen, heißt es deshalb zunächst: ruhig bleiben. Innerhalb weniger Wochen bessere sich der Zustand eines gesunden abgemagerten Pferdes meist enorm, weiß die Mikrobiologin und Tierärztin Dr. Dorothe Meyer von der Firma iWest Tier-Ernäh- rung, die sowohl Olympia- als auch Freizeitreiter bei Fragen rund um die Pferdefütterung betreut. Auch Dr. Christine Iben von der Arbeitsgruppe Tierernährung der Veterinärmedizinischen Universität Wien setzt die Auffütterungsphase mit allenfalls sechs bis acht Wochen an. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass das Pferd keine Grunderkrankungen hat und seine Haltung und Fütterung ab sofort artgerecht sind.
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Ursachen und Auswirkungen
Was der Besitzer eines solchen Tieres zu allererst tun sollte: die Ursache für die Abmagerung finden und beseitigen. An erster Stelle, weshalb ein Pferd zu dünn wird, steht laut Dr. Iben und ihrer Kollegin Dr. Sonja Berger weder Krankheit noch Vernachlässigung, sondern schlichtweg zu wenig oder qualitativ minderwertiges Raufutter. „Gerade im Winter verlieren viele alte Offenstall-Pferde an Gewicht, weil ranghöhere Tiere sie vom Futterplatz vertreiben oder sie aufgrund von Zahnproblemen nicht mehr so schnell und gut kauen können wie jüngere Pferde“, erklärt Dr. Iben.“
Doch auch kerngesunde junge Boxenpferde magern ab, wenn der Stallbetreiber die Heumenge kürzt oder den holzigen Rest seiner schlechten Ernte verfüttert. Von Bedeutung ist auch die Jahreszeit, in der ein Pferd abnimmt. Im Winter können die Ursachen laut Dr. Christina Fritz, Diplombiologin mit Schwerpunkt Tierphysiologie, sehr vielfältig sein. „Aber spätestens mit der Weidesaison gibt sich das Problem in der Regel, und die Pferde nehmen über den Sommer gut zu.
Nimmt ein Pferd aber in der Weidesaison ab, dann sollte man dringend therapeutische Unterstützung suchen, dann hier stimmt etwas nicht“, so die Fütterungsexpertin, die in Berlin eine Praxis für integrierte Pferdetherapie führt. Ist ein Pferd zu dünn, so fehlen ihm wichtige Spurenelemente, Mineralien und Vitamine, was zu Mangelerscheinungen und Folgeerkrankungen führen kann. Zudem hat es weniger Energie, ist schneller erschöpft und kann nicht mehr die gleiche Leistung erbringen wie ein gut genährtes Pferd. Muskelmasse wird abgebaut, das übliche Trainingspensum kann nicht mehr eingehalten werden. Zudem steigt die Infektanfälligkeit, denn auch die körpereigenen Abwehrkräfte leiden unter dem Nährstoffmangel des Pferdes. Alles stichhaltige Gründe, um aufzufüttern. Aber wie geht das nun genau?
Gründe für Abmagerung beim Pferd
- zu wenig Raufutter
- qualitativ minderwertiges Raufutter
- Zahnprobleme
- Stress
- Schmerzen
- Grunderkrankungen
- Verwurmung/Parasitenbefall
- Aufnahme von Giftpflanzen
- Rangordnungsprobleme im Offenstall
- hoher Energieverbrauch, z. B. durch vermehrtes Training oder Aufstallung in Höhenlagen
- Vernachlässigung
Richtig auffüttern
Dr. Dorothe Meyer sagt ganz klar: „Das Pferd ist ein frei umherziehender Pflanzenfresser, der von Rohfaser profitiert. Getreidefelder sind in der Steppe eher selten.“ Ergo muss die Grundlage jeder Fütterung, auch beim Auffüttern, hochwertiges Heu sein. „Und zwar Heu mit einem möglichst hohen Gehalt an Zellulose und Hemizellulose bei dennoch ausreichend guter Struktur“, so Dr. Meyer. „Ein früh geerntetes Heu, spätestens Mitte der Blüte, erfüllt diese Voraussetzungen in der Regel. Dieses Heu ist gut im Griff, man fühlt die Struktur, es ist nicht weich und wollig, sondern blattreich, duftend und hygienisch einwandfrei.“
Die Bedeutung von Kraftfutter hingegen werde regelmäßig überschätzt. Getreide wie Mais, Gerste und Hafer haben nämlich einen hohen Stärkeanteil. Und Stärke zu verdauen, ist für das Pferd nicht ganz einfach. Gelangt ein Zuviel an Stärke in den Dickdarm, so entstehen massive Fehlgärungen, die Hufrehe oder Kolik auslösen können, warnt Dr. Christina Fritz.
Verdaut werden muss die Stärke deshalb im Dünndarm, wo sie in Zucker zerlegt und in den Blutkreislauf eingespeist wird. Dadurch steigt der Blutzuckerspiegel an, was – bei wenig Bewegung und entsprechender Veranlagung – zu Lympheinlagerungen, Diabetes und Stoffwechselerkrankungen führen kann. „Füttert man Pferde schnell mit sogenannten Dickmachern wie Maiswürfeln, großen Mengen nahrhafter Müslis oder mit Heulage auf, dann kommt es in der Regel nicht nur zu einer falschen Gewichtszunahme in Form von Lympheinlagerungen oder Fetteinlagerung, sondern vor allem zu massiven Stoffwechselbelastungen, die letztlich zu Gesundheitsproblemen wie Ekzemen, Mauke, Strahlfäule oder Hufrehe führen können“, so Dr. Fritz. Gewichtszunahme und -abnahme solle beim Pferd daher immer dosiert erfolgen. „Auch wenn das bedeutet, dass man länger ein dünnes Pferd im Stall hat, das zwischen den meist übergewichtigen Stallkollegen oft wie ein Tierschutzfall aussieht. Aber lieber gesund und langsam Muskelmasse anfüttern – im Sinne einer das Training unterstützenden Fütterung – als schnell krankfüttern.“
Speziell Mais ist laut Dr. Meyer nicht das richtige Futter für ein dünnes Pferd. Ebenso wenig Gerste. Beide Getreidearten beinhalten schwer abbaubare Stärke, die die oben genannten Probleme hervorrufen kann. Besser können diese Getreidesorten verdaut werden, wenn sie hydrothermisch – also unter Wärmeeinwirkung – aufgeschlossen sind. Durch diese Technik können Mais und Gerste ähnlich gut verstoffwechselt werden wie Hafer. Expertin Meyer findet jedoch: „Warum dann nicht gleich gequetschen Hafer füttern?“ Klar ist also: Gutes Heu ad libitum ist die Grundlage der Auffütterung eines dünnen Pferdes.
Bei älteren Semestern und Pferden, die aufgrund von Zahnproblemen Heu nur noch in geringen Mengen fressen oder nur schlecht verwerten können, tun Heuersatzprodukte wie Heu- oder Luzernehäksel sowie eingeweichte Wiesen- und Heucobs gute Dienste. Da es sich dabei um eine Alternative zu herkömmlichem Raufutter handelt, müssen derlei Produkte allerdings in ausreichender Menge verfüttert werden. Mit Kraftfutterportionen kommt man hier nicht weit.
An der Frage, ob zusätzlich Getreide eingesetzt werden sollte oder nicht, scheiden sich die Geister. Die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Susanne Weyrauch-Wiegand findet zum Beispiel: „Eine getreidefreie Fütterung kann Pferde gerade im Fellwechsel oder in der Zeit des Übergangs zur kalten Jahreszeit rasch abmagern lassen. Viele Voll- und Warmblüter sind bei Robusthaltung auf die Zufuhr von Getreide angewiesen. Der Bedarf an Getreide steigt mit sinkenden Temperaturen und vermehrter Beanspruchung.“
Ob nun also Getreide zugefüttert wird und wenn ja, in welcher Form, muss der Besitzer am Ende selbst entscheiden. Abhängig ist diese Entscheidung sowohl von der Rasse als auch von der Futterverwertung des Tieres und von seiner bisherigen Fütterung. Egal, ob Hafer oder aufgeschlossene Gerste bzw. Mais: Wer bei der Auffütterung seines dünnen Pferdes Getreide einsetzen will, sollte auf keinen Fall die verträglichen Mengen überschreiten. In den Futtertrog dürfen nicht mehr als 250 Gramm Kraftfutter pro 100 kg Körpergewicht pro Mahlzeit – bei drei Mahlzeiten am Tag. Wichtig: Hier wird mit dem zukünftig gewünschten Idealgewicht gerechnet, nicht mit dem tatsächlich vorhandenen Untergewicht.
Öl, Mash und Rübenschnitzel
Öl ist eine Kalorienbombe, die ohne viel Aufwand über das Krippenfutter gekippt werden kann. Daher wird es gern bei der Fütterung dünner Pferde eingesetzt. Doch auch hier gilt wieder: Weniger ist mehr. Massen von Pflanzenöl lösen beim Pferd Durchfallerkrankungen aus. Dr. Christina Fritz warnt: „Öle und Fette können in größeren Mengen nicht gut verdaut werden und tragen auch nicht zur Energiegewinnung bei. Sie sorgen für Fetteinlagerung, fördern jedoch nicht den gesunden Muskelaufbau, der ja gewünscht ist.“ Dr. Meyer rät, nicht mehr als 50 ml Öl dreimal pro Tag mit den Mahlzeiten zu verabreichen, Dr. Fritz empfiehlt, Öl gänzlich wegzulassen.
Eingeweichte, unmelassierte Rübenschnitzel stehen hoch in der Gunst der meisten Experten, denn sie liefern gut verdauliche, weitgehend stärkefreie Energie. Zudem bilden sie Schleimstoffe und regulieren so die Darmtätigkeit. Dr. Fritz gibt allerdings zu bedenken, dass sie viel Zucker und Pektine enthalten, wobei letztere – wenn sie in großen Mengen in den Dickdarm gelangen – eine Absenkung des pH-Werts bewirken, was dann in Folge zu einer geringeren Nährstoffausbeute aus dem Heu führt.
Magenschonend ist auch die Fütterung von Mash, das aus Weizenkleie, Leinsamen und Quetschhafer gekocht wird. Dr. Iben hat damit gute Erfahrungen gemacht. Sie empfiehlt, in den ersten sechs Wochen einer Auffütterung nur Heu und zusätzlich zwei bis dreimal pro Woche Mash anzubieten. Eine tägliche Fütterung wird nicht empfohlen, da Weizenkleie sehr phosphorreich ist, was auf Dauer das Kalzium- Phosphor-Verhältnis durcheinanderbringt und zu einer Entmineralisierung der Knochen führen kann.
Wie viel Training tut gut?
Je nachdem, aus welchem Grund ein Pferd abgenommen hat und in welchem Allgemeinzustand es sich befindet, darf es auch während der Auffütterungsphase weiter trainiert werden. Ein Vollblüter aus dem Distanz- oder Rennsport kann beispielsweise auch in magerem Zustand noch eine ausgeprägte Muskulatur haben und das Training gut wegstecken. Ein älteres Robustpferd aus schlechter Haltung hingegen wird schon beim ersten Galopp zusammenbrechen. Die Form des Trainings hängt also immer mit der Leistungsfähigkeit des Pferdes zusammen. Wer diese nicht zuverlässig einschätzen kann, sollte einen Tierarzt hinzuziehen. Dieser kann auch eine detaillierte Einschätzung des Futterzustands und einen Rationsplan für die Ernährung erstellen.
Wurde die Abmagerung durch eine Krankheit hervorgerufen, so hängt das Training ganz von der Belastungsfähigkeit und dem Genesungsfortschritt ab. Was jedem Pferd gut tut: lange Spaziergänge im Schritt. Das bringt die Muskeln langsam wieder auf Trab und beugt Verspannungen vor, wie sie durch die Belastung mit dem Reitergewicht entstehen könnten.
Und was ist nun aus Schimmelstute Rosi geworden? Ein Kandidat für eine Pferde- Diät, genau wie die Tinker, mit denen sie auf der Weide steht. Ohne jegliche Zufütterung lieferten die fetten Wiesen genug Energie, um das abgemagerte Tier innerhalb eines Sommers mit einem Hängebauch auszustatten. Lena Wendler bekam das Problem erst wieder in den Griff, als sie eine gute, leichte Reiterin fand, die die Stute auch über das gelegentliche Ponyreiten hinaus bewegte. Mittlerweile galoppieren die beiden mit den Tinkern um die Wette.