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Leinsamen ist vor allem in der Fellwechselzeit ein beliebtes Zusatzfutter für Pferde. © anetlanda - fotolia.com

Leinsamen: Vielseitiges Superfood

Ein Artikel von Pamela Sladky | 29.11.2017 - 11:52
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Leinsamen ist vor allem in der Fellwechselzeit ein beliebtes Zusatzfutter für Pferde. © anetlanda - fotolia.com

Zumindest in einem Punkt sind sich alle einig: Leinsamen gehört definitiv in die Kategorie Superfood. Die kleinen, meist braunen Samen des Flachses sind vollgepackt mit positiven Inhaltsstoffen, die sich günstig auf die Verdauung, Haut und Haar, das Immunsystem sowie den Blutzuckerspiegel auswirken. Vor allem der hohe Anteil an wertvollen Omega-3-Fettsäuren hat Leinsamen den Ruf eines wahren Wundermittels eingebracht. Leinöl besteht zu rund 58 % aus Omega- 3-Fettsäuren. Das macht pro Teelöffel 2,6 g des essenziellen Stoffes, der Entzündungsprozesse im Körper nachweislich hemmt. Davon abgesehen ist Leinsamen reich an Eiweiß, den Vitaminen B1, B2, B6 und E sowie Selen, Nicotin-, Fol- und Pantothensäure. All diese Eigenschaften machen die Ölsaat zum geschätzten Ergänzungsfutter im Fellwechsel, einer Zeit, in der der Pferdeorganismus auf Hochtouren läuft, um ein neues Haarkleid zu bilden.

Magenpflaster

Und es gibt noch einen weiteren ganz entscheidenden Pluspunkt: Leinsamenschalen enthalten in großer Menge natürliche Schleimstoffe, die ihre positive Wirkung vor allem im Pferdemagen entfalten. „Der Schleim des Leinsamens scheint die natürliche Schleimbarriere des Magens zu unterstützen, wodurch sich die Magenschleimhaut besser regenerieren kann. Inwieweit die anderen Nährstoffe hier auch eine Rolle spielen, ist bisher nicht geklärt. Fakt ist, dass man bei der täglichen Gabe von gekochtem Leinsamen in größerer Menge zugucken kann, wie sich die Magenprobleme der Pferde bessern“, weiß Fütterungsexpertin Dr. Christina Fritz.

Häufig wird Leinsamen auch bei Kotwasserproblemen empfohlen. Das freie Wasser im Darm soll durch die Quelleigenschaft der Ölsaat gebunden und das Pferd vom lästigen Problem befreit werden. Ein Irrglaube, wie Dr. Fritz erklärt: „Der Leinsamen wird im Wesentlichen im Dünndarm verdaut, sodass er im Dickdarm keine ,aufsaugende‘ Wirkung hat.“ Dass Leinsamen manchmal auch bei Kotwasserproblemen hilft, hat einen anderen Grund, wie die promovierte Biologin ausführt: „Kotwasser ist oft stressbedingt. Dieser Stress kann unter anderem auch durch schmerzhafte Magengeschwüre oder Magenschleimhautentzündungen hervorgerufen werden. In solchen Fällen sprechen betroffene Pferde natürlich hervorragend auf eine Therapie mit gekochtem Leinsamen an. Ist das Kotwasser aber anders begründet, hilft auch der Leinsamen meist nicht viel. Kotwasser ist ein hochkomplexes Problem, das viele mögliche Ursachen haben kann. Magenprobleme sind nur eine davon.“

Problemstoff Blausäure

So einig man sich hinsichtlich der positiven Eigenschaften von Leinsamen ist, so groß ist die Uneinigkeit, wenn es darum geht, in welcher Form man die Ölsaat denn nun am besten ins Pferd bekommt. Grund für die unterschiedlichen Ansichten ist der Gehalt an cyanogenen Glukosiden. Diese Blausäure-Vorstufen werden im Körper durch das Enzym Linase in ihre Bestandteile gespalten. Bei dieser Reaktion wird giftige Blausäure freigesetzt. Vielfach wird deshalb empfohlen, Leinsamen vor dem Verfüttern zu kochen, um die Linase zu deaktivieren und damit eine stoßweise Freisetzung von Blausäure im Darmkanal zu verhindern.

Blausäure-Vorstufen sind in vielen Nahrungspflanzen enthalten – ein Grund, warum der Körper von Mensch und Tier im Laufe der Evolution durchaus gelernt hat, damit umzugehen. Freigesetzte Blausäure wird im Körper zu Rhodanid entgiftet und anschließend über den Harn ausgeschieden. Die Gefahr einer schädlichen Wirkung besteht in der Regel nur dann, wenn entweder die Entgiftung des Körpers nicht mehr ausreichend funktioniert oder solche Massen des Toxins aufgenommen werden, dass der Körper mit der Umwandlung nicht mehr fertig wird.

Im Leinsamen ist die Konzentration an cyanogenen Glucosiden höher als in vielen anderen Nahrungspflanzen. Trotzdem wird das damit verbundene Risiko für die Pferdegesundheit als gering angesehen. Zumindest bei einer maßvollen Fütterung. Schon der deutsche Pferdefütterungs- Papst Prof. Dr. Dr. Helmut Meyer führte in seinem 1995 veröffentlichten Standardwerk „Pferdefütterung“ aus, dass eine tägliche Aufnahme von 100 bis 120 g der Ölsaat im rohen Zustand für Pferde unbedenklich sei.

Diese Angabe bestätigt auch ein kleines Rechenbeispiel: Beim erwachsenen Pferd gelten 4 mg Blausäure pro Kilogramm Körpergewicht als tödlich. Das wären bei einem 500 kg schweren Pferd umgerechnet 2 g reine Blausäure. In einem Gramm Leinsamen befinden sich etwa 0,2 mg Blausäure. Ein durchschnittliches Warmblutpferd müsste somit schon mehrere Kilogramm Leinsamen auf einmal zu sich nehmen, um sich ernsthaft zu vergiften. In der Praxis sind derartige Mengen völlig unrealistisch.

Auf Nummer sicher

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Gelber Leinsamen enthält weniger blausäurehaltige Glukoside, ist allerdings auch nicht so reich an wertvollen Omega-3-Fettsäuren. © Brian Daly - fotolia.com

Gänzlich umgangen werden kann das Thema Blausäure durch ausreichendes Abkochen des Leinsamens. Der Problemstoff ist wasserlöslich und verdampft während der empfohlenen Kochdauer von 15 Minuten. Doch das Erhitzen hat auch Nachteile: „Abgesehen von den Vitaminen werden dabei auch die Fettsäuren zerstört, und es können Zwischenprodukte entstehen, die nicht unbedingt gesundheitszuträglich sind. Das Kochen der Leinsamen bei Magenproblemen ist deshalb immer nur für therapeutische Zwecke und über einen begrenzten Zeitraum gedacht – und nicht für die Gabe auf lange Sicht. Hier sollte man besser nur kleine Mengen füttern und diese quellen lassen oder frisch schroten“, erklärt Dr. Fritz.

Völlig unbehandelt sollte man Leinsamen allerdings nie füttern. „Viele Pferde tun sich schwer damit, die kleinen Samen richtig zu kauen. Damit die Leinsaat im Verdauungstrakt aufgeschlossen werden kann, sollte man sie vorher quellen lassen oder frisch schroten.“

Vom Kauf bereits geschroteter Produkte rät Dr. Fritz ab: „Diese sind entweder mit Konservierungsmitteln versetzt – oder aber sie sind bereits beim Kauf ranzig, da sich die Fettsäuren des Leinsamens an der Luft schnell zersetzen und verderben.“

Alles in allem ist Leinsamen eine wert- und sinnvolle Ergänzung auf dem Speiseplan. Das gilt ganz besonders für Pferde mit Magengeschwüren und solche, die schwere Koliken hinter sich haben. „Dabei handelt es sich immer um eine Gabe über einen begrenzten Zeitraum von einigen Tagen oder mal zwei bis drei Wochen. Große Mengen sollten nicht auf Dauer gegeben werden“, so Dr. Fritz. Denn auch wenn sich das im Leinsamen enthaltenen Öl hinsichtlich seiner Zusammensetzung noch mit am besten fürs Pferd eignet, optimal ausgeglichen ist auch dieses nicht.

Wer Leinsamen regelmäßig geben will, beispielsweise wenn im Fellwechsel ein erhöhter Fettsäurebedarf besteht oder als Ergänzung im Winter bei nicht optimaler Heuqualität, dem empfiehlt die Fütterungsexpertin eine Ausbalancierung mit anderen Ölsaaten. „Bei einer dauerhaften Fütterung haben sich folgende Gaben im täglichen Wechsel bewährt: ein bis drei Esslöffel Leinsamen, eine Handvoll Sonnenblumenkerne (mit Schale), eine Handvoll Hagebutten (frisch oder trocken), ein bis zwei Esslöffel Wildsamenmischung (enthält z. B. Leindotter, Chia und viele andere Samen). Auf diese Weise kann man das Fettsäuremuster besser ausgleichen und vermeidet eine einseitige Versorgung.“ Und das Pferd freut sich über die Abwechslung im Futtertrog.

ps

Buchtipp

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„Durch die Küche, nicht durch die Apotheke kommt die Gesundheit ins Haus“ sagt ein chinesisches Sprichwort und nichts könnte wahrer sein, auch in der Ernährung von Pferden. Viele Krankheiten gab es früher nicht, etwa das Equine Metabolische Syndrom (EMS) oder die Polysaccharid-Speicher-Myopathie (PSSM) oder sie waren zumindest viel seltener, ähnlich wie Hufrehe oder Cushing.

In "Pferde fit füttern - wie ich mein Pferd artgerecht ernähre" zeigt die promovierte Biologin und Fachbuchautorin Dr. Christina Fritz Zusammenhänge zwischen den einzelnen Nährstoffen, der Verdauung und der Verwertung im Stoffwechsel auf. Dem Leser wird anschaulich erläutert, welche Futtermittel welche Wirkung auf den Organismus haben. Daraus lassen sich direkt und einfach Richtlinien für die ideale Fütterung jedes Vierbeiners und seiner individuellen Bedürfnisse ableiten. Ein praxisnahes Buch für jeden Pferdehalter und Stallbetreiber.


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Dr. Christina Fritz, Cadmos Verlag
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