Für Wildpferde ist das Leben in der Herde seit jeher überlebenswichtig. Nur dort fühlen sie sich sicher, weil viele Augen und Ohren einen besseren Schutz und Überblick bieten als nur ein Paar. Dabei wird zwischen zwei grundsätzlichen Herdenstrukturen unterschieden: den Familienverbänden und den Hengst- bzw. Junggesellengruppen. „Für die richtige Gruppenzusammenstellung unter Haltungsbedingungen in menschlicher Obhut sollte man deshalb die beiden grundsätzlichen Herdenstrukturen (= gemischtgeschlechtliche und gleichgeschlechtliche), die richtige Gruppengröße, die Verträglichkeit der Tiere, das Alter, die Farbe und das Geschlecht mit beachten“, so DI Kathrin Weber in ihrer bereits 2010 verfassten Diplomarbeit „Untersuchung des Sozialverhaltens bei getrenntgeschlechtlicher und gemischtgeschlechtlicher Gruppenhaltung von Pferden“ an der BOKU – Universität für Bodenkultur der Universität Wien.
DI Kathrin Weber hat für ihre Diplomarbeit je eine Stutengruppe, eine Wallachgruppe und eine gemischtgeschlechtliche Pferdegruppe hinsichtlich der Funktionskreise des Pferdeverhaltens (Sozial-, Ruhe-, Lokomotions-, Komfort- und Sexualverhalten) beobachtet. Laut der renommierten Ethologin Prof. Dr. Margit Zeitler-Feicht von der Technischen Universität München-Weihenstephan Prof. Zeitler-Feicht entwickeln sich zwischen Wallachen und Stuten oft sehr enge Freundschaften, was zu hengstartigem Verhalten der Wallache und somit zu Auseinandersetzungen und Verletzungen führen kann. Deshalb empfiehlt sie in der Gruppenhaltung eine Geschlechtertrennung, da die gemeinsame Haltung von Stuten und Wallachen Instabilität in die Gruppen bringen könne. Diese Empfehlung von Prof. Zeitler-Feicht war Grundlage folgender Hypothesen der Diplomarbeit:
- Reine Stuten- und Wallachgruppe zeigen geschlechterspezifisch übliches soziales Verhalten.
- Gemischte Stuten-/Wallachgruppe sind aktiver im Verhalten und in ihrer sozialen Struktur instabiler.
Die Untersuchung der reinen Stutengruppe (zehn Stuten, vier bis 18 Jahre alt) und der reinen Wallachgruppe (elf Wallache, vier bis 17 Jahre alt) wurde in einem Pensionspferdebetrieb im Bezirk Wiener Neustadt durchgeführt. Die gemischtgeschlechtliche Gruppe (zwölf Tiere, vier Wallache (zehn bis 27 Jahre alt) und acht Stuten (ein bis 21 Jahre alt) wurde in einem Pensionspferdebetrieb 20 Kilometer nordöstlich von Wien beobachtet. Verhaltensweisen und Verhaltenshäufigkeiten in den drei Gruppen wurden mit Hilfe eines Computerprogramms aufgezeichnet und miteinander verglichen.
Dabei zeigten sich folgende Auffälligkeiten:
- In der gemischtgeschlechtlichen Gruppe wurden in den fünf Beobachtungstagen die meisten kämpferischen Auseinandersetzungen (444) beobachtet, gefolgt von der Stutengruppe mit 251. Am friedlichsten war die Wallachgruppe (170).
- Ähnlich verhielt es sich mit Drohgebärden. Am häufigsten wurde in der gemischten Gruppe gedroht, gefolgt von der Stutengruppe und der Wallachgruppe.
- Gebissen wurde am öftesten, wenn Stuten unter sich waren, ausgetreten in reinen Stuten- und Wallachherden deutlich häufiger als in gemischtgeschlechtlichen Gruppen.
- Sexualverhalten, meist repräsentiert durch Beriechen und Flehmen, wurde ausschließlich in der gemischten Gruppe gezeigt.
- Am bewegungsfreudigsten war die Wallachgruppe. Hier entstand mehr Dynamik durch Spielen, Gehen, Laufen und Schlagen. Gespielt wurde am meisten, wenn Wallache unter sich waren.
Obwohl in der gemischten Pferdegruppe die meisten kämpferischen Auseinandersetzungen stattfanden, kommt Kathrin Weber in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sich „in der gemischten Gruppe die Wallache durch die Stuten ausgeglichener verhielten, es herrschte eine klare Rangordnung, und ernsthafte Auseinandersetzungen entstanden erst gar nicht, obwohl vermehrt agonistische Interaktionen beobachtet werden konnten“. Somit konnte die zu Beginn aufgestellte Hypothese, die gemischtgeschlechtliche Pferdegruppe sei in ihrer sozialen Struktur instabiler, nicht bestätigt werden.
Bei der gemischtgeschlechtlichen Pferdegruppe in der Studie handelte es sich augenscheinlich um eine stabile Gemeinschaft. Das kann daran liegen, dass sich in der zwölf Tiere umfassenden Gruppe nur vier ältere Wallache befanden, die keinerlei sexuellen Druck auf die Stuten ausübten. Grundsätzlich ist es aber so, dass sich mit dem prozentualen Anteil von Wallachen in einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe auch der Anteil des Sexualverhaltens erhöhen kann, besonders dann, wenn bei einem Wallach durch eine unvollständige Kastration weiter Sexualhormone gebildet werden – was sehr selten vorkommt – oder ein psychisch verankertes Hengstverhalten als Teil der normalen sozialen Interaktion besteht.
Ein weiterer Grund liegt darin, dass bei Pferden „Geschlechtsverhalten nicht nur der Fortpflanzung dient, sondern in freier Wildbahn auch dem Zusammenhalt der sozialen Gruppe“, wie Christine Aurich, Leiterin der Plattform Besamung und Embryotransfer der Vetmeduni Wien, erklärt „Zudem ist die Nebennierenrinde Ort der Produktion des Stresshormons Kortisol. Infolge einer engen biochemischen Verwandtschaft von Kortisol mit den Geschlechtshormonen kann es bei einer massiven Produktion von Kortisol dazu kommen, dass auch Geschlechtshormone in geringen Mengen in die Blutbahn gelangen und Geschlechtsverhalten auslösen“, erklärt Aurich weiter. Man müsse davon ausgehen, dass auch bei Wallachen – ganz besonders in Stresssituationen, wie sie z. B. bei der Umstellung in eine andere, insbesondere in eine gemischtgeschlechtliche Pferdegruppe entstehen – die Nebenniere Geschlechtshormone produzieren kann und dann überraschend Hengstverhalten zu beobachten sei.
Gleichgeschlechtliche Gruppen im Trend
Der Entwickler und Gründer der HIT-Aktivställe DI Thorsten Hinrichs hat aktuell die folgende Entwicklung festgestellt: „Es gibt zwar unterschiedliche Meinungen zur Geschlechtertrennung, drei Viertel der Stallbetreiber empfehlen sie aber inzwischen.“ Denn es gebe „Wallache, die viel spielen und ansonsten sehr verträglich sind, bei rossigen Stuten aber plötzlich durchdrehen“, so Hinrichs. „Viele Kunden bzw. Pferdebesitzer sind inzwischen froh, wenn die Pferde nach Geschlecht getrennt werden. Denn keiner findet es amüsant, wenn ein 600-Kilo-Wallach auf eine 400-Kilo-Stute springt“.
Hier weist Hinrichs auf die Möglichkeit hin, innerhalb eines Bewegungsstalls eine ausgegliederte „Rambogruppe“ einzurichten. Diese Idee bzw. dieser Begriff stammt von den Beratern der HIT-Aktivställe: So seien hengstige Wallache prinzipiell total lieb und verspielt, würden sich beim Auftauchen einer rossigen Stute aber wie Rambo aufführen.
Ideal: Der Hahn im Korb
Bei der Bildung reiner Stuten- und Wallachgruppen werden geschlechtsspezifische Probleme von vorneherein ausgeschlossen. Nicht ausgeschlossen sind dabei freilich Auseinandersetzungen, die auf Rangordnung, Futterneid und andere Faktoren zurückzuführen sind. Ideal sind gemischtgeschlechtliche Gruppen ohne sexuell auffällige Wallache, weil sich dort mehr Freundschaften entwickeln und die Gruppe insgesamt aktiver ist. Günstig ist ein Wallach mit mehreren Stuten, mehrere Wallache und eine Stute können hingegen problematisch sein.